Bürgertreff Überruhr: Alles in die Waagschale werfen

Norbert Mering, Vorsitzender der Überruhrer Bürgerschaft        Alle Fotos: Janz
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„Man darf den Vereinen nicht den Strohhalm wegnehmen!“ - Norbert Mering, Vorsitzender der Überruhrer Bürgerschaft ist mehr als verärgert über die neuen Entwicklungen in Sachen Bürgertreff Überruhr. Das Begegnungszentrum, das von zahllosen Vereinen, Gruppen und der Realschule Überruhr genutzt wird, steht in Rede, aufgrund der klammen Haushaltslage geschlossen zu werden.

Das Objekt im Nockwinkel 64 versprüht den Charme der frühen 70er Jahre. Die beige-roten Vorhänge im großen Saal würden heutigen Brandschutzbestimmungen sicher nicht standhalten. Seit Eröffnung im Jahr 1973 ist hier renovierungstechnisch nicht viel passiert. Sanitäranlagen, Saaltüren, Trockenbau, Elektrik: „Es besteht ein erheblicher Sanierungsstau“, berichtet Norbert Mering.
Aus diesem Grund hat die Bezirksvertretung der Ruhrhalbinsel (BV VIII) 2009 nach einem Ortstermin beschlossen, die Verwaltung mit einem Sanierungskonzept für den Bürgertreff zu beauftragen. Und wollte damit ganz bestimmt nicht schlafende Hunde wecken. Eben so mag es nun aber erscheinen: „Der Bürgertreff ist in der Verwaltung immer ein durchlaufender Posten gewesen, das Mietverhältnis wurde quasi jährlich verlängert - bis zum Antrag der BV“, sagt Norbert Mering, „dabei handelt es sich bei der Sanierung doch um ein berechtigtes Anliegen.“ Der Überruhrer SPD-Vorsitzende Uwe Hesse bestätigt: „Schon in den 90er Jahren war der Renovierungsstau ein Thema in der BV. Dieser Rückstau wirkt sich jetzt derart negativ aus, dass die Verwaltung sagt, wir schließen.“
Etwa 55.000 Euro Miete zahlt die Stadt dem Gebäudeeigentümer Altstadt Baugesellschaft (eine 94-prozentige Beteiligungsgesellschaft der Allbau AG) jährlich für die Gaststätte und den Mehrzweckbereich. Der Verwaltung - bis jetzt hat sich allein das Amt für Immobilienwirtschaft mit der Sache befasst - ist das offenbar zu viel Geld, rechnet man noch die veranschlagten Sanierungskosten von etwa 170.000 Euro hinzu, die der Stadt ins Haus stünden.
Die Bezirksvertreter der Ruhrhalbinsel reagierten fraktionsübergreifend entsetzt über die Schließungspläne: „Wir hatten eigentlich eine Renovierung erwartet und nicht, dass man den Raum entmietet“, berichtet Rolf Reithmayer, Chef der Kupferdreher SPD und Fraktionsvorsitzender in der BV VIII dem Plenum bei der Podiumsdiskussion im vollbesetzten Saal des Bürgertreffs. „Über ein Jahr beschäftigen wir uns mit den Kostenvoranschlägen und waren bis vor einigen Wochen im Glauben gewesen, dieser Saal soll renoviert werden“, sagt auch BV-Mitglied Jürgen Klein (FDP). Über ein Jahr habe die Verwaltung die BV im falschen Glauben belassen.

Raum für Integration

Offenbar sei den Beteiligten auf Verwaltungsseite nicht klar, welchen Stellenwert der Bürgertreff in Überruhr und auf der gesamten Ruhrhalbinsel hat, vermutet nicht nur Norbert Mering: „In Überruhr leben 37 verschiedene Nationen, es gibt einen gro­ßen Teil russischstämmiger Bewohner und etwa jeder Siebte bezieht Transferleistungen. Überruhr ist quasi der Norden des Essener Südens und der Bürgertreff ist auch ein Raum, wo Integration stattfindet.“
Die Liste der Nutzer des Bürgertreffs, die Norbert Mering bei der Podiumsdiskussion präsentiert, ist lang: Die Stadtteilbibliothek und die Realschule Überruhr, die über keine eigene Aula verfügt, veranstalten hier z.B. Autorenlesungen, hier proben Chöre wie der MGV „Sängerbund“ und „Total Vokal“, zahlreiche Karnevalsvereine halten hier ihre Sitzungen ab, Kindergärten, die AWO, der SoVD, Kaninchenzüchter, die Schachfreunde, Migranten- und Seniorengruppen nutzen die Räumlichkeiten. Es gibt Gottesdienste, Theateraufführungen - nach einem vergleichbaren Raum mit Bühne sucht man im Umkreis vergebens - und nicht zuletzt die „Kulturwoche Überruhr“ hat sich hier im Bürgertreff etabliert. Norbert Mering: „Provokativ ausgedrückt - unser Bürgertreff ist unser Aalto, unser Grillo, unsere Philharmonie, unser Grend, unsere Zeche Carl, unser Jugendzentrum, unsere Schul-Aula, Ausstellungshalle und so weiter und so fort. Es ist der einzige Raum für den Karneval auf der Karnevalshochburg Ruhrhalbinsel und es ist ein Ort der Begegnung.“
Dass die Vor-Ort-Kultur mit einer Aufgabe des Bürgertreffs ins Hintertreffen geraten würde, fürchten an diesem Abend viele. Jochen Becker, Mitglied der CDU-Fraktion in der BV VIII, kritisiert: „Essens Hochkultur kostet Millionen. Beim Bürgertreff geht es um ein paar tausend Euro. Es ist mir unverständlich, dass Kultur vor Ort unberücksichtigt bleibt.“ Und Jürgen Klein moniert: „Das Pfingst-Open-Air wird von der Stadt bezahlt, da ist es nur legitim, dass dieser Saal für die Kultur erhalten bleibt.“ Man müsse auf die Leute vor Ort hören, mahnt Alfred Steinhoff (SPD), Bezirksvertreter und Mitglied im Kreisvorstand der Essener AWO. „In Überruhr leben viele Nationen auf begrenztem Territorium und wir brauchen einen Ort, wo wir diese zusammenführen können. Die Stadt will uns nun diese Möglichkeit nehmen.“ Heinz Boecker, CDU-Chef in der BV VIII, ist der Ansicht, „es kann nicht sein, was die Verwaltung hier plant.“ Der Umstand, dass das Objekt im Gegensatz zu vergleichbaren Stätten - etwa dem Bürgerhaus Oststadt in Freisenbruch - nur angemietet und nicht im Besitz der Stadt ist, sollte hier keine Rolle spielen.
Die Reihe der Fürsprecher für einen Erhalt des Bürgertreffs ist groß. Mitglieder des Stadtrats wie Susanne Asche (CDU), Dirk Kalweit (CDU), Janine Laupenmühlen (SPD) und Walburga Isenmann (CDU) sprechen sich für den Fortbestand aus und wollen in ihren politischen Gremien für den Bürgertreff kämpfen. Ratsfrau Janine Laupenmühlen hat gar nach langen Gesprächen erwirken können, dass die Kündigung des Mietverhältnisses, die am 31. Juli dieses Jahres anstünde, um zwei Monate verschoben wird. „So haben wir die Möglichkeit, das Thema im Bauausschuss, der im September tagt, zu besprechen. Wir können Transparenz in die Sache bringen und die Verwaltung bitten, über die Finanzierung zu befinden.“ Fakt ist, die Anmietung des Bürgertreffs durch die Stadt fällt nach § 82 der Gemeindeordnung NRW nicht unter die Pflichtaufgaben der Kommune, ist freiwillige Leistung. Es müsse eine Lösung gefunden werden, die die Finanzen der Stadt schont, meint Susanne Asche.

Schulterschluss

Alle Beteiligten - Verwaltung, Politik und den Eigentümer - an einen Tisch zu bringen sei dafür nötig, meinen Angelika Gabriel-Meier, Grünen-Chefin in der BV VIII, und Ratsfrau Susanne Asche. Die Bundestagsabgeordnete Petra Hinz (SPD) fordert ebenfalls den „Schulterschluss“ aller Beteiligten und auch Landtagsmitglied Manfred Kuhmichel (CDU) will das Projekt Erhaltung des Bürgertreffs „Nach allen Kräften unterstützen“ und meint, Bund und Land müssten hier Hand in Hand gehen.
Bezirksbürgermeister Heinz-Dieter Schwarze (CDU)verspricht: „Wir werden alles in die Waagschale werfen, um den Bürgertreff zu retten! Im Zweifel müssen wir die Sache selbst in die Hand nehmen, selbst Ideen entwickeln.“ So könne privatwirtschaftlich einiges geregelt werden. Heinz-Dieter Schwarze: „Der Bürgertreff ist zwar eine freiwillige Leistung der Stadt, aber darum nicht weniger wichtig!“

Autor:

Melanie Stan aus Essen-Ruhr

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