Saustarker Ehrengast
„Ein Schwein, ein Schwein“, rufen einige Damen aus, als Felix sich den Weg zu der Gruppe von Bewohnern der „Residenz zu den drei Linden“ bahnt. Im Herz-Jesu-Heim ist an diesem Tag das traditionelle Sommerfest der Burgaltendorfer Altenpflegeeinrichtung angesagt und den Senioren war im Vorfeld „ein ganz besonderer Gast“ angekündigt worden.
Überraschung gelungen! Daan Vermeulen, Physiotherapeut mit holländischen Wurzeln und eigener Praxis in Gelsenkirchen, führt den zartrosafarbenen Ehrengast in die Mitte des Stuhlkreises. „Ist das schön!“, ruft Bewohnerin Annette aus und klatscht in die Hände. „Schrei doch nicht so“, ermahnt sie ihre Sitznachbarin. „Das Schwein erschreckt sich doch!“ Und schon ist Felix, das Therapieschwein, ganz Mittelpunkt des Geschehens. Einige Gäste schauen noch etwas kritisch, andere sind unmittelbar entzückt.
Daan Vermeulen stellt sich und Felix vor. „Wir haben früher auch Schweine gehabt“, sagt eine alte Dame und bald entspinnt sich ein Gespräch innerhalb der Gruppe: Natürlich seien die Schweine damals größer gewesen, als dieses da. „An die sechs Zentner hatte ein ausgewachsenes Schwein“, verrät Vermeulen. Jetzt sollen die Leute schätzen, wieviel Felix wiegt. „Anderthalb Zentner“, ruft ein Herr in die Runde. „Nun beleidigen Sie aber den Felix nicht!“, scherzt der Therapeut.
Etwa 55 Kilogramm bringt der kleine dreijährige Eber auf die Waage. Er und sein ein Jahr älterer „Halbbruder“ Rudi (Vermeulen: „Beide stammen vom selben Züchter“) sind bundesweit die bislang einzigen Schweine, die in der tiergestützten Therapie eingesetzt werden. Im Sommer 2006 war Familie Vermeulen aufs Schwein gekommen. Zunächst sollte das Minischwein der Rasse „Bergsträßer Knirpse“ nur die Familie bereichern. Bald stellte sich aber heraus, welches Potenzial das Borstenvieh birgt. In den großen Ferien, die beiden Söhne waren in den Urlaub gefahren, nahm Daan Vermeulen Rudi mit in seine Praxis, weil er das Schweinchen nicht allein zuhause lassen wollte. Dort passierte es dann: Rudi weckte so viel Lebensfreude in den Patienten, dass sogar der Therapeut ganz erstaunt war.
„Mit viel Geduld, Konsequenz und beiderseitigem Vertrauen“ bildete Daan Vermeulen Rudi zum Therapieschwein aus. „Schweine sind stur, eigensinnig und ängstlich. Sie sind Fluchttiere, das heißt, man muss sie ganz allmählich an fremde Umgebungen, Menschen, Geräusche und Gerüche gewöhnen.“ Rudis Ausbildung sei „learning by doing“ gewesen, berichtet Vermeulen.
Bei Felix war das Ganze dann einfacher: „Der ist bei Rudi in die Lehre gegangen.“ Mittlerweile arbeitet der Borkener seit drei Jahren mit den beiden Tieren, besucht häufig Seniorengruppen wie an diesem Tag, aber auch Einrichtungen mit geistig behinderten jungen Menschen. Der Vorteil gegenüber dem Hund als Therapietier liegt für Daan Vermeulen ganz klar auf der Hand: „Winston Churchill hat einmal gesagt ‚Hunde sehen zu uns herauf, Katzen sehen auf uns herab und Schweine sehen uns als ebenbürtig an‘. Das heißt, man muss sich das Schwein erobern. Schweine sind etwas Besonderes, wecken gleich Interesse und sind eine direkte Motivation für die Leute, sich zu bewegen, um die Aufmerksamkeit des Tieres zu bekommen. Sie regen zum Nachdenken an, denn viele ältere Leute kennen Schweine von früher. Erinnerungen werden wach.“
Nicht anders ist es auch an diesem Nachmittag in Burgaltendorf. Felix macht jetzt seine Runde und schnüffelt an den Beinen der Gäste. Hände strecken sich nach ihm aus, berühren das borstige Fell. Vermeulen hält das Gespräch über Schweine im Allgemeinen und über Felix im Besonderen am Laufen und bezieht auch die zurückhaltenderen unter den Senioren immer wieder mit ein.
Thema Körperpflege: Ob Felix wohl stinkt? Das Publikum ist geteilter Meinung: Einige finden, ja, bestimmt - die anderen widersprechen. „Schweine sind ganz saubere Tiere“, ruft eine ältere Dame aus und erweist sich im Laufe des Nachmittags als echte Expertin, denn sie weiß noch einiges mehr über die Borstentiere. Etwa, dass Felix ein Minischwein ist und dass es da verschiedene Rassen gibt. Ein Gast solle doch mal schnüffeln, ob Felix müffelt, meint Vermeulen.
Ob Felix wohl müffelt?
Spontan meldet sich Annette, deren Herz Felix von der ersten Sekunde an erobert hat. Der Schweinemann sitzt jetzt auf seiner Decke in der Mitte des Kreises und Annette beugt sich zu ihm herab: „Das duftet herrlich!“, ruft sie aus. „Der wird doch auch gebadet“, entgegnet eine andere Dame. „Das Schwein wird gepflegt“, sagt eine dritte. Vermeulen bestätigt: „Ja, der Felix wird gebadet. Das letzte Mal ist aber schon ein bisschen her; im Februar.“
Die Gruppe taut immer mehr auf: Einige recken sich, wollen jetzt auch mal streicheln. Stellen Fragen: „Haben Sie noch ein Tier?“ Vermeulen: „Ja, noch ein Schwein.“ Eine Dame: „Oh, dürfen die denn auch in die Wohnung?“ Vermeulen: „Ja, die leben auch bei uns im Haus, sind aber auch viel draußen - im Garten und in ihrem Gehege.“ Einige Gäste wollen gar nicht glauben, dass Felix tatsächlich stubenrein ist. „Der macht auch nicht in sein Gehege, sondern an eine bestimmte Stelle im Garten.“ Sogar auf Kommando: „Felix, mach Pipi und A-a!“
Weiter geht es mit der Kulinarik: Auf Vermeulens Frage hin zählen die Leute auf, was Schweine so alles fressen. Dann wird Felix mit Möhrenscheibchen gefüttert. Der Therapeut ermutigt auch die Schüchternen, es einmal zu versuchen. „Nasse Schnauze wie bei einem Pferd“, stellt eine Seniorin fest. Erstaunen dann, als Felix eine Walnuss knackt und den Kern mampft. „Meinen Nussknacker habe ich immer dabei“, scherzt Vermeulen.
Ganz pünktlich zum Ende der tierischen Sitzung setzt leichter Regen ein und Therapeuten-Mensch und -Schwein verabschieden sich von den Burgaltendorfern. Im Gemeindesaal wartet schon die gedeckte Kaffeetafel auf die Senioren. Das eben Erlebte wird besprochen und vor allem Annette ist ganz hin und weg: „Das war so schön. So eine Überraschung! Wir wussten ja gar nicht, wer kommt.“ Drei Borsten von Felix, die der Therapeut zuvor verteilt hat, hält sie ganz fest in einer Hand. „Die behalte ich. Die bringen bestimmt Glück. “ Zufriedenheit herrscht auch beim Team von der Alternativen Generationenpflege der Seniorenresidenz, das den tierischen Überraschungsbesuch „ausgeheckt“ hat. „Auch die eher zurückhaltenden Bewohner waren sichtbar begeistert“, stellt Verena Krekeler, Leiterin des Sozialen Dienstes, fest. Felix‘ Besuch wird bei den Bewohnern sicher noch länger nachwirken, wenn das Erlebte erst verarbeitet wird. Annette stellt aber schon jetzt fest: „Ich habe überhaupt nichts mehr gedacht, als ich das Tier gesehen habe, keine Probleme…“
Autor:Melanie Stan aus Essen-Ruhr |
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