Von Menschen und Vampiren - Projekt zur Gewaltprävention an der Hinsbeckschule

Foto: Lukas
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Erfahrungen mit Gewalt - ganz handfest oder „nur“ verbal - kommen schon in der Kindheit vor. Bewahren können Eltern, Lehrer und Erzieher Heranwachsende vor solchen Negativ-Erfahrungen nicht immer.
Man kann Kinder aber stark machen und ihnen Formen des Umgangs vermitteln, die helfen, gewaltbestimmte Situationen besser zu meistern und das Erlebte zu verarbeiten. Eine kindgerechte Annäherung an das Thema unternahm jetzt die Kupferdreher Hinsbeckschule mit einer ganzen Projektwoche zum Thema Gewaltprävention.
„Früh erlebte Gewalt kann bei einem Kind zum Erleben von Machtlosigkeit und einem Gefühl der Minderwertigkeit führen, dem es dann wiederum mit Gewalt entgegenzuwirken versucht - ein Teufelskreis“, erläutert Lis Vincenz, Rektorin der Hinsbeckschule die Beweggründe für das Schulprojekt. Zum Auftakt las Autor Jürgen Banscherus den Schülern aus seinem Buch „Ein Fall für Kwiatkowski. Rache ist Schokotorte“ vor, wo es um Gewalt unter Schülern geht.
Den Großteil der Projektwoche aber verbrachten die Kinder der beiden vierten Klassen beim „Menschenschattentheater“.
Vier Tage lang haben sich die 46 Mädchen und Jungen in den Disziplinen Tanz, Musik, Schattenspiel und Kunst mit dem Thema Gewalt auseinandergesetzt und ihre eigenen Ausdrucksformen gefunden. Begleitet wurde das Projekt von Lehrerinnen der 4. Jahrgangsstufe und den Schulpraktikanten, ohne deren Unterstützung das Projekt nicht so produktiv hätte umgesetzt werden können. Hilfe gab es außerdem von vier Experten, die an die Schule geholt worden sind - der Tänzerin Eloisa Mirabassa, den Musikern Florian Streier (Kunsthaus Essen) und Prof. Peter Domnick (Klavierimprovisation; Folkwang Hochschule) sowie Gerd Haeh­nel, Oberstudienrat am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Velbert und der führende Experte in Sachen Menschenschattentheater in Deutschland. Haehnel beschäftigt sich „seit über 30 Jahren“ mit dem Menschenschattenspiel und hat zusammen mit Florian Söll das Standardwerk für das Menschenschattentheater geschrieben.
Die Geschichte dieser künstlerischen Darstellungsform geht auf die jahrhundertealte Tradition des asiatischen Schattentheaters zurück. Anders als beim „klassischen“ Schattentheater sind es aber nicht Figuren, die hinter der beleuchteten Leinwand bewegt werden, sondern es agieren Menschen. „Das Menschenschattentheater ist ein besonders geeignetes Medium, sich dem Thema Gewalt auf spielerische Weise zu nähern“, findet Lis Vincenz.
Die Vorteile liegen für die Pädagogin auf der Hand: „Die Kinder bewegen sich ja hinter einer Leinwand, die ihnen in gewisser Weise Schutz bietet und mögliche Scheu nimmt. Leinwand und Bühne schaffen außerdem eine gesunde und notwendige Distanz zum Erlebten - für ‚Opfer‘ und ‚Täter‘ und ein Perspektivwechsel ermöglicht eine andere Sichtweise auf die Dinge - Voraussetzung für Verständnis, Toleranz und das Entwickeln von kreativen Strategien zur Problemlösung.“
Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema spricht nach Auffassung von Lis Vincenz „ganz andere Bereiche im Kind an“ als etwa bei einem reinen Selbstbehauptungstraining. „Beim Menschenschattentheater wird nicht nur die Verstandesebene angesprochen, sondern die Kinder beschäftigen sich auch auf emotionaler Ebene mit der Thematik.“ Eigentlich, so Lis Vincenz, gehe es bei dem Schulprojekt in erster Linie nicht um Gewalt, sondern „primär um kreative Lösungen, mit Gewalt, Anfeindungen etc. umzugehen, also die Frage, wie kann man das Ganze auflösen“.
Hier waren die Kinder gefragt. Lis Vincenz hat im Vorfeld den groben Handlungsrahmen für ein Menschenschattentheaterstück geschrieben - Titel: „Vampire haben keinen Schatten, der Mensch ist von Natur aus gut“. „Den Vampir haben wir alle in uns“, so Lis Vincenz. „Dagegen steht die Überlegung, der Mensch sei von Natur aus gut - ein Menschenbild wie wir es von dem Aufklärer Jean-Jacques Rousseau kennen.“
Die einzelnen Szenen des Stückes, die sogenannten Bilder, haben die Neun- bis Zehnjährigen dann selbst entwickelt. Nach Beispielen für Szenen mussten die Kinder nicht lange suchen. Da gab es Ungerechtigkeit beim Spielen, streitende Erwachsene oder Ausgrenzung eines einzelnen. „Wir haben auch selbst schon die Erfahrung gemacht, dass es beim Fußball manchmal unfair zugeht. Mir fiel das nicht so schwer, Beispiele für Szenen zu finden,“ sagt etwa Simon aus der 4b.
Zusammen mit seinem Freunden Tyler und Jonas hat er eine Szene entwickelt, die eben diese Erfahrungen beim Sport widerspiegelt. Das Spiel der Jungs hinter der Leinwand, wo zwei Overhead-Projektoren als Lichtquelle dienen, wirkt schon imposant, aber die Handlung läuft noch zu schnell ab und die Konturen der Akteure verschwimmen ein uns andere Mal. „Ihr müsst Klarheit in euer Spiel bringen“, erläutert Gerd Haehnel den Kindern, „beim Schattentheater haben wir nur zwei Dimensionen - im Gegensatz zu 3 D wie bei manchen Filmen“. Die Kinder verstehen, dass sie sich möglichst im Profil aufstellen müssen und das möglichst nah an der Leinwand. „Je weiter ihr von der Leinwand weg steht, desto größer wirkt die Figur und umso unschärfer“, erklärt der Experte. Die Jungs wiederholen die Szene nochmal und es klappt auch schon besser mit der Klarheit. Allein die Bewegungen sind noch zu schnell: „Versucht eine Art vorsichtige Zeitlupe“, rät Haehnel. „Eure Bewegungen sollten etwa 70% der normalen Geschwindigkeit haben.“
Die Kids sind mit Begeisterung dabei, die manchmal auch gebremst werden muss, denn bei Menschenschattentheater geht es um Exaktheit. „Kinder, vergesst nicht, euer Spiel ist ohne Geräusche“, ermahnt Haehnel die kleinen Quasselstrippen. Inhaltliches wird über die Bilder und - sehr wichtig - über Musik transportiert. Lis Vincenz: Die Songs sind sehr gefühlsbetont und bilden den Rahmen für das Menschenschattenspiel.“ Prof. Peter Domnick hat die Musik für alle Szenen frei improvisiert und die beiden Lieder „Mobbing Song“ und „Ene Meine Miste, der Mob kommt in die Kiste“ stammen aus einem Kindermusical, das er komponiert hat.
Am Ende des ersten Probentags sind die Mädchen und Jungen etwas geschafft, aber zufrieden: „Wir finden das Projekt richtig cool! Von so einem Theater haben wir vorher noch nichts gehört“, resümiert Tyler. Nachdem er und Simon, Lucie, Sina, Florine und die übrigen Viertklässler ihre Szenen weiter verfeinert hatten, präsentierten sie das Ergebnis, das fertige Stück, am Ende der Projektwoche vor großem Publikum - Eltern, Freunden und der Schulgemeinde.
Diese Aufführung war ein echtes Erlebnis für die Zuschauer, denn ein Menschenschattenspiel hatten die meisten noch nicht zu sehen bekommen. Und was die kleinen Nachwuchs-Schauspieler angeht, scheint die Frage nach der Natur des Menschen eindeutig geklärt: Die Hinsbeckschüler sind richtig gut!

Autor:

Melanie Stan aus Essen-Ruhr

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