Über den Tellerrand geschaut: Neue Runde "Europa macht Schule" an der Josefschule
„Kag yil oldu Saymadim köyden gögeli Mevsimler ...“ Das war Türkisch und ist der Anfang eines populären Liedes, das die Mädchen und Jungen der Klasse 4b der Josefschule an diesem Tag gemeinsam singen wollen.
In großen Lettern steht es an der Tafel. Aufgeschrieben hat es Bleda Çifter (20). In seiner Heimat Istanbul studiert er Wirtschaftsingenieurwesen, an der Kupferdreher Grundschule aber ist er zurzeit Lehrer auf Probe und eine Art Mini-Botschafter für sein Heimatland.
Erneut heißt es „Europa macht Schule“ an der Byfanger Straße 20. Über das Erasmus-Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) kommen Studierende aus aller europäischen Herren Länder an die „Jole“ - und das jetzt schon im dritten Jahr. Junge Leute, z.B. aus Italien, England und der Ukraine haben die Kinder schon kennengerlernt und mit ihnen ihr Heimatland - geografisch, sprachlich, kulturell und oft auch kulinarisch. Der Europa-Unterricht ist immer eine Art Universal-Fach.
„Die Klasse zeigt Neugier und Offenheit für ihren europäischen Gast und dessen Heimatland“, steht auf einer Urkunde an der Wand des Klassenzimmers, die die Kinder vom DAAD bekommen haben. Im Falle von Bleda kann man sogar von Eurasien sprechen, schließlich liegt seine Heimatstadt Istanbul auf zwei Kontinenten gleichzeitig.
An diesem Morgen verspätet sich der eurasische Gast ein wenig. Draußen ist es mal wieder ziemlich glatt und Bledas Studentenwohnung liegt nicht mal eben um die Ecke, sondern in Duisburg. Kein Problem: Schülerin Zeynep springt als Ersatzlehrerin ein und geht mit den Mitschülern das Lied von der Tafel - „Aradasim Esek“ - schon einmal durch. Ihr Türkisch ist ebenso einwandfrei wie ihr Deutsch und die Klassenkameraden machen ihre Sache ganz passabel.
Großes Hallo dann, als Bleda den Klassenraum betritt und gleich in medias res geht. Gemeinsam singt man jetzt noch einmal das Lied von der Tafel, das der 20-Jährige den Kindern am Vortag dort hingeschrieben hat. „Das Lied handelt vom Abschiednehmen. Zwei Freunde gehen auseinander und der eine wartet vergeblich darauf, dass der andere ihm schreibt“, erklärt Bleda. „Er beschimpft den Freund: ‚Ich vermisse dich so, du Esel‘.“
In fünf Minuten von Europa nach Asien
Bleda ist zufrieden mit der Gesangsleistung „seiner“ Schüler. „Das war schon ganz gut gesungen, nur etwas zu leise“, sagt er und die Kinder schmunzeln. Mit Inhalten wie diesem Lied möchte der Student „ein bisschen Spaß in den Unterricht“ bringen.
Weiter geht‘s in Bledas Stunde mit Landeskunde: Der Projektor wirft ein Foto nach dem anderen an die Wand über der Tafel. Heute geht es um Istanbul, die einzige Stadt der Welt, die sich auf zwei Kontinenten gleichzeitig befindet. Bleda zeigt Bilder von den Brücken, die über die Meerenge - den Bospurus - gehen. „Da kommt man in fünf Minuten von Europa nach Asien“, sagt er.
Die Kinder staunen. Sie staunen auch über die vielen unterschiedlichen Bauten in dieser Weltstadt. „Altes und Neues stehen hier ganz dicht beieinander“, erläutert Klassenlehrerin Christiane Engemann den Kids. Es gibt christliche Kirchen und muslimische Moscheen in großer Zahl. Hochhäuser und Hütten. Und Paläste. Vorm Çırağan-Palast, dem letzten Sultanspalast der Stadt, stehen den ganzen Tag zwei Soldaten und bewachen ihn. „Die dürfen sich nicht bewegen“, erklärt Bleda. „Wie in England!“, ruft ein Junge und eine Mitschülerin fragt etwas besorgt, wie lange die Männer denn so ausharren müssen. „Nicht so lange“, beruhigt der Istanbul-Experte die Kinder. „Nach vier Stunden ist schon Wachwechsel.“
Acht Monate bleibt Bleda als Gaststudent der Universität Duisburg-Essen in Deutschland. Sein erster Auslandsaufenthalt überhaupt. Der 20-Jährige ist froh über diese Möglichkeit, seinen Horizont zu erweitern: „Ich kann hier meine Sprache verbessern und eine andere Kultur kennenlernen.“ Seine erste Berührung mit der deutschen Sprache hatte der Student vor zwei Jahren in einem Sprachkurs am Goethe-Institut in Istanbul. „Der Austausch ist eine gute Erfahrung für mich und jetzt, mit 20 Jahren, kann ich so etwas noch machen, später bestimmt nicht mehr.“
Aachen, Dortmund, Münster, Krefeld, Köln, Bonn und sogar den holländischen Nachbarn hat Bleda schon besucht. Münster gefällt ihm besonders gut. „Ich mag Fahrräder mehr als Autos und in Münster gibt es ja eine Menge davon“, erklärt er.
Was Bleda gar nicht mag, ist der deutsche Winter. „Zu kalt“, schmunzelt er. An der Josefschule lehrt er nicht nur, er lernt auch. Zum Beispiel Unterschiede beim Unterricht kennen. „Die kleinen Kinder hier sind schon sehr selbstständig“, lobt er. „Sie machen alles selber, das ist in der Türkei nicht so. Heute haben sie den Computer selbst eingeschaltet und den Projektor. In der Türkei gibt es eher Frontal-Unterricht und weniger Gruppenarbeit - und: Die Kinder sind braver.“
Kleiner Europa-Gipfel in der Schulküche
Einen kleinen „Europa-Gipfel“ gibt es einige Tage später in der Ausgabeküche der Josefschule: Die Klasse 4a von Dorothe Noll begrüßt an diesem Morgen England, Spanien und Frankreich auf einmal - verkörpert durch Sprachassistentin Claire Johnston aus London, die hier die letzten Tage ihres Deutschland-Aufenthaltes verbringt, Praktikantin Tessa Schubert aus Byfang, die ihre Französisch-Kenntnisse einbringt, und Giada Pizzuti aus Italien. Die 20-Jährige aus Roseto degli Abruzzi, einem Küstenort in der Provinz Teramo, studiert in Civitanova Marche die Fremdsprachen Englisch, Deutsch und Französisch und steckt gerade mitten in den Vorbereitungen für ihren Bachelor-Abschluss.
Trotz Prüfungsstress findet die Italienerin Zeit für ein Austausch-Semester an der Uni Duisburg-Essen und diese Europa-Erfahrung an der Josefschule. An diesem Tag bereiten die Kinder ihr Klassenfest vor: Am Nachmittag werden die Eltern erwartet und deshalb zaubern die Kinder jetzt einen Kuchen für die Feier. Italienisch natürlich. Mit viel Kakao und Mascarpone. Seit Oktober ist Giada schon in Deutschland, an die Josefschule kommt sie an zwei Tagen in der Woche. Anders als Bleda ist sie nicht zum ersten Mal da. „Das erste Mal war ich 2010 da, habe bei einer Familie in München gelebt.“ Giada hat das Oktoberfest besucht und war 2012 erneut in München bei ihrer Gastfamilie, die sie sehr ins Herz geschlossen hat. Berlin würde die 20-Jährige gerne noch besuchen. „Aber dafür ist jetzt keine Zeit. Vielleicht klappt es ja nach dem Examen.“
Nicht nur Kuchen wird den Gästen des Klassenfestes geboten, sondern auch italienische Folklore. „Wir haben ein italienisches Lied einstudiert, das von Noah handelt und den Tieren, die er gerettet hat“, erzählt Giada. Zusammen mit der 4a hat sie Tiermasken gebastelt und die italienischen Tiernamen geübt. „Wir haben das mit einer Pantomime umgesetzt und ein Ratespiel daraus gemacht“, beweist die Studentin pädagogisches Talent, die vorher noch nie mit Kindern gearbeitet hat.
Ein echter Gewinn sei für Giada, die seit drei Jahren Deutsch lernt, die Sprachpraxis, die sie hier erhält. Auch die Vorbereitung auf ihr Schul-Projekt sei eine Erfahrung, die sie nicht missen möchte. Und nicht zuletzt den Kontakt mit den Schulkindern und dem Lehrerteam. „Ich habe gesehen, wie eine Schule funktioniert und alle sind sehr nett zu mir. Für mich ist das hier eine wunderschöne Erfahrung und ich habe schon viel gelernt.“
Über solch ein Lob freut sich Klassenlehrerin Dorothe Noll, die das Projekt „Europa macht Schule“ zusammen mit Kollegin Christiane Engemann an die Josefschule geholt hat, natürlich sehr. Der Gewinn für die Kinder läge ebenso auf der Hand: „Die Kinder von heute wachsen in einem zusammenwachsenden Europa auf und sollen möglichst früh andere Kulturen kennenlernen“, so die Pädagogin.“
„Wittgenstein hat gesagt, ‚Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt‘.“ An der Josefschule soll das anders laufen. „Wir wollen über den Tellerrand hinausschauen“, findet Dorothe Noll. „Mit anderen Sprachen in Berührung kommen, um tolerante Europäer zu werden.“
Autor:Melanie Stan aus Essen-Ruhr |
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