Sanierung S 6 - Eine Stunde das Monster der Schiene hautnah erlebt
In voller Herrlichkeit und Lautstärke fliegt der Jumbo Jetder Lufthansa über die Gleise kurz hinterm S-Bahnhof in Werden. Doch die gut 75 dba - die Messeinheit des Schallpegels einer Lärmquelle - die die Turbinen der 747 in diesem Moment erzeugen, ist nicht, aber auch gar nicht zu hören. Zumindest in Sachen Lautstärke hat die Boeing ihren Meister gefunden. Der hört auf den Namen RM 95-800W, ist das neueste Schmuckstück im Maschinenpark der Firma MGW aus Berlin und kann in Sachen Sanierung von Bahnschotter auf der Strecke der S 6 zwischen Kettwig und Hauptbahnhof so ziemlich alles.
Ausheben, transportieren, sortieren, waschen, neu schärfen, einfügen und verdichten – was sich ein bisschen wie das Fünf-Sterne-Luxus-Programm beim Schotter-Friseur anhört, ist für Männer wie Manfred Ziegerath ein echter Luxus. Inzwischen ist Ziegerath angekommen in der Baukommunikation der Deutschen Bahn in Düsseldorf. Doch vor einigen Jährchen, so mit 15 Lenzen, stand er selber noch während seiner Ausbildung an der Strecke und erledigte per Hand das, was heute vollautomatisch läuft. „Nur mit der Schottergabel bewaffnet haben wir damals Tonne um Tonne erst in die Schubkarre und dann auf den LKW gebracht. Das war echte Knochenarbeit. Gut nur, dass es das nicht mehr gibt.“ Während etwa noch vor einigen Jahren dutzende Männer der Bahn in Handarbeit und nur unterstützt von einigen Baggern, den Schotter rausschaufeln, ihn mühselig zu den entsprechenden Aufbereitungsanlagen transportieren, ihn dann wieder per LKW an die Strecke schaffen mussten, um ihn dort wieder per Handarbeit zu verteilen - dies alles macht nun innerhalb weniger Minuten der RM 95-800W.
Mit 135 dba lauter als ein Jumbo Jet
Klar, dass angesichts dieser Leistungsfähigkeit auch Rolf Kühnle von der MGW mit stolzgeschwellter Brust von der neuesten technischen Errungenschaft in Sachen Schottersanierung spricht. „Mit einem Team von zehn Mann schaffen wir rund einen Kilometer am Tag. Dazu kommt, dass wir den Schotter komplett von allen Fremdteilen wie Getränkedosen oder Glas trennen, ihn reinigen, anschärfen und wieder einbringen. Und das Beste ist, dass wir das Waschwasser auch wieder aufbereiten und erneut verwerten können.“
Viel mehr Recycling geht kaum. Doch so ganz ohne Neuschotter, frisches Wasser und Diesel geht es dann doch nicht. Rund 30 Prozent des aus-gesiebten Schotters kann nicht mehr verwendet werden. Dazu kommt, dass so ein Riese auf Schienen auch entsprechenden Durst hat. Alle 30 Stunden sind da dann schon mal 10.000 Liter Diesel fällig. Dazu kommen noch mal rund zwei Tonnen Wasser, um die Flüssigkeit aufzufangen, die auf den gereinigten Steinen verbleibt. Aber warum muss der Schotter noch mal angeschärft werden?
„Gut, dass die Zeit der Schottergabel vorbei ist.“ Manfred Ziegerath
Auch hier hat Manfred Ziegerath die Antwort: „Der Schotter wird durch den Druck der Züge, die täglich über ihn hinwegfahren, im Laufe der Jahre rund geschliffen. Und runde Steine geben keinen Halt mehr. Dagegen verkeilen sich frisch geschliffene Steine ineinander und bieten wieder die notwendige Festigkeit.“ Gewusst wie. Genau wissen, was sie tun, müssen auch die lediglich sieben Mann am Zug. Vor allem der Mann, der am Kontrollpult zwischen Einsaug- und Aushubstutzen steht. Auf sein Fingerspitzengefühl kommt es an, dass der Schotter wieder gleichmäßig auf dem Kiesbett landet und den Schienen den notwendigen Halt liefert. Ist er zu schnell, dann müsste nachgearbeitet werden. Deshalb steht er zu jedem Zeitpunkt mit dem Maschinenführer im Funkkontakt. Und das bei einer Dauerbeschallung von 135 dba – zehn Stunden am Tag. Dazu noch die brütende Hitze der vergangenen Tage, der Modder, den der nasse Schotter von sich gibt und immer schwebt eine dichte Staubwolke über den Männern.
Aber wie sagte Manfred Ziegerath so schön, als er in Reminiszenz an alte Zeiten die Schottergabel wieder einmal in die Hand nahm. „Mein Gott bin ich froh, dass ich mit diesem Ding nicht mehr arbeiten muss. In diesem Falle wirkt die Technik wirklich Wunder.“ Und das ganze fünf Tage am Stück zwischen Werden und Hügel und trotz einer Gesamtlänge von knapp 200 Metern und dem Höllenlärm seiner Maschinen fast unbemerkt von den vorbeifahrenen Pendlern. So geht Bahn heute.
Hintergrund:
Am Samstag hat sich die RM 95-800 W schon wieder von der Strecke der S 6 zwischen Hügel und Werden verabschiedet. Auf den rund 2,5 Kilometern liegt frisch sanierter und gereinigterSchotter. Der wird nun bis zum 2. September noch mit neuem Schotter aufgefüllt, verfestigt und mit Holzschwellen versehen.
Außerdem erneuert in diesem Zeitraum die Bahn noch drei Weichen im Bereich des S-Bahnhofes Stadtwald. Insgesamt investiert die Deutsche Bahn in diesen Streckenabschnitt rund 4,2 Millionen Euro. Der noch fehlende Abschnitt zwischen Werden und Kettwig wird dann während der Sommerferien 2014 sanniert.
Mehr zur S 6-Sperrung:
Interview zum Thema Schienenersatzverkehr
Hintergrundinformationen zur S 6-Sperrung
Autor:Sven Krause aus Mülheim an der Ruhr |
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