Hugenpoet: Herausforderung Schloss meistern
Laut scheppernd rast die Kutsche mit dem Glas über die Straße. Der Lenker bremst mit allen Kräften. Doch auf dem abschüssigen Weg gewinnt der Wagen weiter an Fahrt.
In letzter Sekunde springt der Kutscher, der Großvater des heutigen Schlossherrn, vom Bock. Der Wagen mit der wertvollen Fracht verschwindet in der Dämmerung dieses Wintertages. Erst strauchelnd, dann schneller werdend, hastet der Mann hinterher. Er passiert das erste Tor, überquert die steinernde Brücke. Außer sich vor Atem schaut er durch das zweite Tor: Schnaufend steht das Gespann mit dem Wagen vor dem Stall.
Es sind Begebenheiten wie diese, mit denen Hugenpoets Schloßherr, Maximiliam Freiherr von Fürstenberg, die Geschichte des Schlosses anschaulich erzählt.
Mal heiter, mal ernst nimmt der 43-jährige Schlossherr die Besuchergruppe der Kettwiger CDU mit auf die „Reise“. Nur mit Ketten rasselnden Geisternkann er nicht dienen.
Es beginnt alles mit der „Motte Nettelshof“, die im 8. Jahrhundert erstmals erwähnt wird. Wo genau die kleine Holzburg liegt, weiß man nicht so genau. „Aber hier in der Nähe war sie schon“ sagt der studierte Archäologe. Später gehört das Anwesen als Oberhof zur Abtei Werden. Die belehnt Ritter Vlecke mit dem Anwesen, das nun Hugenpoet heißt.
„Wegen der zunehmenden Anzahl der höfischen Mitarbeiter, musste neben dem Vornamen ein Zusatz gefunden werden. Da machte der Ortsname, in dem der Ritter oder Ministeriale saß, durchaus Sinn.“ Wann das neue Hofgut zur festen Burg wurde, weiß man nicht.
„Mit der Nutzung des Schießpulvers seit dem 14 Jahrhundert verlieren dicke Mauern zunehmend an Schutzwirkung“, fährt der Freiherr fort. 1478 endet die Geschichte der jungen Burg während einer Fehde.
Rund 30 Jahre später, 1509, errichten die Ritter von Hugenpoet rund 200 Meter von der alten Anlagen entfernt, einen Neubau. Während des 30-jährigen Krieges verwüsten hessische Truppen das Schloss. 1647, die Zeichen deuten auf Frieden, lässt Schloßherr Johann Wilhelm von Nesselrode zu Hugenpoet die Ruinen abreißen. An ihre Stelle tritt das neue Schloss, dass der heutigen Form weitgehend entspricht. Fast 50 Jahre werkeln die Handwerker an dem Bau, der 1696 schließlich fertiggestellt ist.
„Die heutigen Gemäuer stehen auf Pfählen“, berichtet der heutige Schloßherr und hat die nächste Anekdote parat: „Irgendwann rief mich ein Behördenvertreter an und erklärte, dass ich keine Staurechte hätte. Ich fragte ihn, was ich machen solle - das Wasser ablassen? Geben Sie mir 120 Millionen, dann mache ich das und saniere von dem Geld dann die Schäden.“ Danach herrschte Stille am anderen Ende der Hörmuschel.
Bis 1831 bleibt das inzwischen heruntergekommene Schloß im Besitz der Familie von Nesselrode.
Dann schlägt die Stunde des Freiherrn Friedrich Leo-pold von Fürstenberg. Der wirtschaftlich denkende Adlige erwirbt das Anwesen samt der rund dreihundert Hektar Land. Der Enkel gleichen Namens lässt den Neuerwerb im Stil der Zeit, der Neorenaissance, ausbauen. Zugleich legen die Fürstenbergs den Park an. Ihr Hauptsitz bleibt aber zunächst noch Schloß Borbeck.
„Doch mit Beginn der industriellen Revolution fanden meine Vorfahren es in Essen zu laut, zu klein und zu staublastig.“
Drei historische Kamine aus dem Gelsenkirchener Schloß Horst, seit 1706 im Besitz der Familie, finden ihren Weg nach Kettwig. Einer von ihnen steht im Eingangsbereich des Schlosses. Durch den schwarzen Torbogen führt die dunkle Treppe, beide aus Ratinger Dolomitgestein, ins erste Obergeschoss. Über den Aufgang, der 1696 eingebaut wurde, grassieren mehrere Geschichten, weiß der Schloßherr zu berichten. „Fest steht, dass der Granit für das abschließende Geländer im Obergeschoss nicht ausreichte“ fährt er fort und klopft - auf Holz. Farblich ist der Unterschied nicht zu bemerken - die Täuschung funktioniert seit Jahrhunderten.
Die direkten Vorfahren blicken im roten Salon von den Wänden. Unter ihnen auch der Urgroßvater und der Großvater des jungen Freiherren. Von ihnen habe er ein besonderes Gen ererbt, behauptet er hartnäckig: Die Liebe zu den Orchideen. Es war der Urgroßvater, der zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts die Deutsche Orchideen Gesellschaft gründete.
Dann führt der Schloßherr den Tross weiter - zum zweiten Kamin, der hauptsächlich die Geschichte des König Ahab erzählt. Bemerkenswert sei, dass Mose mit Hörnern abgebildet wird: „Das beruht auf einem Übersetzungsfehler“, weiß der Archäologe.
Im grünen Salon lebt Zeitgeschichte auf: Während des Zweiten Weltkrieges zog die Organisation Todt in die ehrwürdigen Gemäuer ein. Deren Verantwortlichen ließen den Stuck abklopfen, um dann Stahlträger zum Schutz vor Bomben einzubauen.
Nach Ende des Krieges finden Flüchtlinge und das Folkwang-Museum im Erdgeschoss eine vorübergehende Heimat. Das führt zu Begehrlichkeiten eines Langfingers. „Allerdings bemerken die Familienmitglieder den Einbruch.“
Man sieht den Dieb mit der Beute schnell weglaufen. Hektik macht sich breit. Nur ein etwas behäbiger Großonkel bleibt ruhig und greift zur Schrotflinte. Zum Entsetzen der Mitarbeiter zielte er nicht nur, sondern drückt auch ab. Ein lauter Aufschrei verrät, dass die ein oder andere Schrotkugel getroffen hat. Als die Mitarbeiter zur Nachsuche aufbrechen wollen, wiegelt der Schütze ab: „Warten wir zwei Stunden und rufen dann bei den Krankenhäusern in der Nähe an.“ Die Strategie geht auf: Die Polizei verhaftet den Dieb noch während der Behandlung. Wenig später kehrt die Beute zurück in die Museumsbestände.
Und es menschelt in dieser Zeit - wieder einmal: Des Freiherrn Großmutter, mehrfache Mutter, betätigt sich als Hebamme. Der Kontakt zur jungen Mutter aus Russland und dem Kind besteht über Jahrzehnte und die Grenzen hinweg.
Wenig später, 1955 beginnt die „Hotelkarriere“ des Schlosses. Immer wieder dient es als Filmkulisse und beherbergt die großen Familien von Rhein und Ruhr. Auch Filmstars geben sich die Ehre.
Auch der junge Hausherr sieht sich der weltoffenen Tradition des Hauses verpflichtet. „Wir bilden wie früher aus und verstehen uns als gastfreundliches Haus.“
Der Erhalt und die stetige Modernisiserung steht immer auf der Agenda des Schlossherren. „Auch wenn das wegen des Denkmalschutzes nicht immer ganz einfach ist.“ Manche Wünsche nach Anbauten (Schwimmbad/Wellnessoase) bleiben wegen der zahlreichen anderen Auflagen vorerst Träume.
Dafür arbeitet der 43jährige, wie seine Vorväter, eng mit den Pächtern zusammen. Zu ihnen zählt auch die Kettwiger Landwirtsfamilie im Brahm - bereits in vierter Generation. „Die Biogasanlage der Familie versorgt uns inzwischen mit Wärme“, erzählt der Schlossherr.
Die Wälder des Anwesens bewirtschaftet der Freiherr allerdings selbst. Und über die Probleme - von Ela, anderen Stürmen und der deutschen Gesetzgebung weiß der Baron ein ganz besonderes Lied zu singen.
Autor:Dirk-R. Heuer aus Hilden |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.