Endlich kann ich darüber sprechen
„So sahen damals Juden aus. Das ist mein Vater in Uniform. Er war so stolz auf sein Land, für das er im 1. Weltkrieg sogar gekämpft hat.“ Ellen Mendel hat eine ganze Mappe voller Fotografien, Erinnerungen an ein Leben, das weit zurück liegt.
Die heute 75-Jährige ist in Essen geboren. „Im Elisabeth Krankenhaus, denn dort durften jüdische Frauen damals noch entbinden.“ Dass es das Hospital bis heute gibt, freut die in der neuen Heimat Amerika erfolgreiche Pyschotherapeutin. „Denn es zeigt mir, da kommst du her. Du bist nicht entwurzelt.“
Ellen Mendel war drei Jahre alt, als sie mit ihren Eltern Essen verließ - verlassen musste. „Mein Vater war Arzt, durfte aber seinen Beruf nicht mehr ausüben. Es war jüdischen Kindern untersagt, die Schule zu besuchen. Dennoch war mein Vater lange der Ansicht, dass diese schrecklichen Entwicklungen in seinem Land nur vorübergehend sind. Es wird schon wieder, war ein Satz, der sehr häufig fiel.“
In der Alten Cuesterey in Borbeck berichtete Ellen Mendel über ihr Leben, das Schicksal ihrer Familie. Denn viele haben den Krieg nicht überlebt, Tanten, Onkel, Großeltern starben in verschiedenen Konzentrationslagern.
„Es hat gedauert, ehe ich meine erste Reise nach Deutschland unternehmen konnte. In den 50er Jahren bin ich durchgefahren. Ich erinnere mich daran, dass ich es als Genugtuung empfunden habe, noch so viele Zerstörungen des Krieges zu sehen.“
Inzwischen hat sich die 75-Jährige mit dem eigenen schrecklichen Schicksal ausgesöhnt. „Es war ein langer Prozeß, eine Reise, die ich durchlaufen musste.“ Ganz konkret wurde die beim Besuch der verschiedenen Konzentrationslager. „Ich war in Theresienstadt, in Auschwitz und Majdanek, ich habe dort nach Spuren meiner Verwandten gesucht, denjenigen, die dort ihr Leben gelassen haben.“ Ihre Empfindungen, die Trauer und das Unverständnis über das Geschehene hat Ellen Mendel in einem Gedicht niedergeschrieben. „Ich habe es ins Deutsche übersetzt, möchte es einfach vorlesen.“ Bei den letzten Worten gerät ihre Stimme ins Stocken, auch über 70 Jahre nach ihrer erfolgreichen Flucht lässt sie das Erlebte noch immer nicht los. „Ich kann heute darüber sprechen“, fährt sie fort. „Und das tue ich auch, vor Schulklassen, jungen Leuten und heute hier.“ Nur so könne man verhindern, das so etwas noch einmal geschieht. „Sprechen sie darüber erzählen sie es weiter.“
Dass sie ihre Geburtsstadt im Jahr der Kulturhauptstadt erleben dürfe, sei auch für sie etwas Besonderes. Vor ihrem ehemaligen Elternhaus in der Zweigertstraße wurden in ihrem Beisein „Stolpersteine“ zur Erinnerung an die Flucht der Familie Mendel verlegt. Bürgermeister Rolf Fliß emfing Ellen Mendel im Rathaus. Auch der Alten Synagoge, die jetzt als „Haus jüdischer Kultur“ wiedereröffnet wurde, stattete Ellen Mendel einen Besuch ab. „Es war schön für mich. Ich habe vieles wiedererkannt, denn meine Eltern hatten in New York einen Bildband der Essener Synagoge, darin habe ich immer wieder und gerne geblättert .“ Für den Bau der Essener Synagoge hatte sich auch Ellens Großvater Isaak Mendel eingesetzt.
Noch heute spricht die New Yorkerin fließend Deutsch. „Mein Vater wollte, dass ich auch in Amerika wie ein gutes, deutsches Mädchen aufwachse. Deshalb wurde bei uns zu Hause Deutsch gesprochen.“
Schließlich habe er nichts gegen die deutsche Kultur und Sprache, sondern nur gegen die Menschen - so die Begründung des Vaters. Ellen Mendel hat ihre eigene Geschichte und die ihrer Familie verarbeitet. „Doch das letzte Ziel meiner großen Reise steht noch aus. Ich werde ein Buch schreiben.“
Autor:Christa Herlinger aus Essen-Borbeck |
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