Offenes Ohr für "Knackis"

Die Gespräche machen die Männer stark.
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Knapp 450 Häftlinge sitzen im Männertrakt der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen. Einmal in der Woche ist die "Gefährdetenhilfe Borbeck e.V." zu Gast im Knast an der Aldenhofstraße. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter führen Gespräche mit den Männern, haben ein offenes Ohr für ihre Probleme.

Heiner Beilharz hat bereits einen langen Arbeitstag hinter sich. Doch anstatt den Feierabend zu genießen, setzt sich der Unternehmer ins Auto. Ziel ist die Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen.
Alle 14 Tage schließen sich die Tore der Haftanstalt für Frauen und Männer hinter dem Borbecker - allerdings nur für knapp zweieinhalb Stunden. Als Gründungsmitglied der „Gefährdetenhilfe Borbeck e.V.“ ist Beilharz eines von elf der 29 Mitglieder, die Häftlinge im Männerknast bei ihrer Rückkehr in die Gesellschaft unterstützen, sie in intensiven Gesprächen auf die Freiheit vorbereiten.

Georg Dybowski, Bahman Pyravi und Helmut Gitter sind an diesem Abend mit dabei. Ehe sie die Gefangenen treffen, sprechen die Männer ein kurzes Gebet. „Die Gefährdetenhilfe wurde aus christlicher Verantwortung heraus gegründet“, erklärt Heiner Beilharz. Das Gros der Mitarbeiter ist in der Ev. Freikirchlichen Gemeinde am Weidkamp engagiert.
Bahman saß selbst Jahre im Gelsenkirchener Vollzug. Er hat die Chance genutzt, die sich durch die Besuche der Borbecker Betreuer eröffnet hat. „Es ist ganz wichtig, dass man Hilfe bekommt, aus seinem Leben in Zukunft mehr zu machen als das, was in der Vergangenheit gelaufen ist“, weiß der Kfz-Meister aus eigener Erfahrung. „Das gilt nicht nur für die Zeit im Knast, sondern vor allem auch für die Nachhaftzeit.“
Der Kontakt zwischen Gefangenen und Betreuern ist herzlich, die Abläufe innerhalb der Gruppe eingespielt. Anton schmeißt die Kaffeemaschine an, Wolfgang und Dietmar verteilen Kekse auf Tellern. Manny ist neu in der Gruppe, an diesem Abend erst zum zweiten Mal dabei. Seine Teilnahme an der lebhaften Diskussion ist zunächst noch ein wenig vorsichtig.
Wolfgang und Anton haben über die Gespräche mit den Mitgliedern der Gefährdetenhilfe den Weg zum Glauben (zurück)gefunden. Anton ist als Muslim geboren, hat sich im Knast taufen lassen. Beide stehen zu ihrer Schuld, empfinden die Zeit in der JHV als wichtigen Cut - und sie sind überzeugt, dass sie auch nach ihrer Entlassung mit ihrer Vergangenheit dauerhaft brechen können. „Ich weiß, dass man draußen ein anderer Mensch ist. Aber ich werde es schaffen“, ist sich Wolfgang sicher.

„Es in Freiheit zu schaffen, dass bedeutet, weg von den alten Freunden, keine Drogen und feste soziale Kontakte, denn ohne Unterstützung ist es schwer“, weiß Bahman. Er hat in der Alten Schmiede in Borbeck eine Anstellung gefunden, ist seinen Weg konsequent gegangen.
„Ich finde es toll, dass es Menschen gibt, die mich nicht als eine Nummer hier im Knast, sondern als Menschen achten“, erzählt Anton. „Man freut sich darauf, wenn Mittwoch ist. Man weiß, dass Heiner und die anderen kommen“, ergänzt Wolfgang. Er hat im Knast angefangen zu schreiben, sogar Gebete. „Eines davon wurde im Schalker Gebetbuch veröffentlich“, erzählt er stolz.
Thomas Jenisch ist Sozialarbeiter in der JVA Gelsenkirchen, weiß um die Bedeutung der Ehrenamtler-Gruppe. „Das Interesse der Häftlinge ist groß. Es gibt lange Wartelisten.“ Auch Anton stand neun Monate lang auf einer solche Liste, ehe er den Sprung in die Gruppe schaffte.
Zwölf solcher Gruppen sind in der JVA Gelsenkirchen aktiv. Die Palette reicht von religiös geprägten Gesprächs- und Musikangeboten bis hin zu einem Malkurs für die Häftlinge. „Die Mehrzahl der Inhaftierten schafft nach ihrer Entlassung den Absprung“, weiß Jenisch. „Doch die Unterstützung, die die Männer durch die ehrenamtlichen Betreuer erfahren, hat einen großen Stellenwert. Sie ist das Tor nach draußen.“
Für Heiner Beilharz und seine Mitstreiter ist das ein großes Lob, das vielleicht auch dabei hilft, mit persönlichen Niederlagen klar zukommen, die ihr Engagement mit sich bringt.

„Wir haben es mit Männern zu tun, die oftmals keine tolle Biografie vorweisen können. Die in ihrer Kindheit keine Geborgenheit und keine Liebe erlebt haben, die drogenabhängig waren oder beruflich ungelernt sind“, weiß Heiner Beilharz. „Einige von ihnen meinen, in Freiheit sofort wieder jeden Schritt ohne Hilfe gehen zu können. Mit Vorurteilen und Abweisungen, mit Ablehung und ohne menschliche Ansprache klar zu kommen. Im Laufe der Jahre haben wir einige im Gefängnis wiedergetroffen, die gescheitert sind.“ Dietmar, Anton und Wolfgang wollen dieses Schicksal nicht teilen. „Ich träume davon, mit meiner Frau Essen zu gehen. Ich möchte meinen Enkel kennenlernen und beruflich Fuß fassen“. Heiner Beilharz und seine Mitstreiter werden Wolfgang in seinem Traum unterstützten - so weit es geht.

HINTERGRUND:
Die „Gefährdetenhilfe Borbeck e.V." wurde am 23. August 1996 gegründet. Die 29 Mitglieder helfen straffälligen, haftentlassenen, gefährdeten Personen bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft und die Berufswelt.

Für Haftentlassene, die keine Wohnung oder Anlaufstelle in Freiheit haben, bestehen Wohnmöglichkeiten an der Armstraße 29.

Elf Mitarbeiter führen im Wechsel mittwochs in der JVA Gelsenkirchen Gruppengespräche mit Inhaftierten. Darüber hinaus gibt es Einzelbesuche im Gefängnis, Briefkontakt mit Gefangenen, Begleitung bei Ausgängen und im Hafturlaub, Vermittlung von Therapieplätzen, Hilfe bei Wegen zum Job-Center., zum Gericht oder zur Arbeitsstelle.

Autor:

Christa Herlinger aus Essen-Borbeck

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