Kolumne „Blick ins Leben“ von Heidi Prochaska
Muss es immer mehr sein?
Größer, weiter, höher – mehr Macht, mehr Geld, mehr Einfluss. Sind Sie zufrieden mit dem was sie haben? Oder könnte es nicht doch ein bisschen mehr sein? Was ist das für ein verrückter Drang sich und das eigene Leben zu daueroptimieren? Wie wäre es mit ein bisschen mehr Zufriedenheit? Ist nicht gelassenes ‚Seelen-baumeln-lassen‘ das eigentlich Ziel unseres Lebens? Hört sich doch gut an, oder …
Erst letztens saß ich ganz gemütlich auf meinem dunkelgrauen Sofa, schenkte mir ein Gläschen Chardonnay ein und fragte mich ernsthaft ob ich zufrieden bin. Und, sie werden es kaum glauben, ich beantwortete die Frage mit einem eindeutigen JA. Erleichtert füllte ich ein zweites Glas. Kühler Weißwein, ein milder Sommerabend, Mußezeiten – ein perfekter Augenblick. Genießen statt zu denken.
Zufällig fällt mein Blick auf meinen Kalender mit Fotos der letzten Motorradtour durch die Toskana. Nebeneinander stehen da neun Harleys zur Abfahrt bereit. Wo auf dem Foto ist eigentlich meine Maschine, frage ich mich, stehe auf und gehe nah heran - an das Juni Foto.
Verdammt klein sieht sie aus. Ich weiß, dass ich nicht das größte Modell habe. Aber neben diesen prächtigen Road Kings sieht meine Harley Davidson Dyna Glide aus, wie ein bulliges Fahrrad mit Hilfsmotor. Zehn Jahre war dieses schwarze, chromblitzende Geschoss mein Traummotorrad. Endet etwa gerade in diesem Augenblick eine alte Liebe? Frisst der Vergleich, mein in mir tief verwurzeltes Zufriedenheitsgefühl auf?
Ich schütte mir ein drittes Glas Wein ein und stelle folgendes fest:
Ich bin zufrieden – was mich nicht daran hindert, nach mehr zu streben, denn ich setze das Wort Zufriedenheit nicht gleich mit Bedürfnislosigkeit oder Bescheidenheit.
Ein neues Motorrad hätte Vorteile: ABS Bremsen, ein eleganteres Gepäcksystem, eine größere Scheibe – um nur einige zu nennen. Aber auch Konsequenzen: ich bräuchte Geld und müsste mich an andere Fahreigenschaften, die neue Größe und das Handling gewöhnen.
Macht mich das zufrieden – oder sogar zufriedener?
Ich bin mir sicher: Etwas Neues in Besitz zu nehmen macht mich flexibel, wirbelt liebgewonnene Gewohnheiten durcheinander und erweitert meinen Horizont und mein Leben. Wenn das nicht, auf lange Sicht gesehen, zufrieden macht – was dann?
Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen.
Autor:Heidi Prochaska aus Essen-Borbeck |
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