Kolumne "Blick ins Leben" von Heidi Prochaska
Kontrolle oder Vertrauen
Freundlich geleitet mich eine junge hübsche Frau mit intensiv geschminkten Augen und knallrot gefärbten langen Haaren zu einem dunklen Lederstuhl. Leise Hintergrundmusik erfüllt den Raum. Dezent fragt sie mich nach meinen Wünschen. Kaffee, Tee oder lieber ein Glas Wasser? Ich entscheide mich für Cappuccino. Trotz perfektem Kundenservice bin ich angespannt, denn gleich passiert das Unausweichliche. Ich übergebe einer Frau, die meine Tochter sein könnte, die Kontrolle über meine Haare.
Schon von jeher beschleichen mich beim Betreten eines neuen Friseursalons seltsame Gefühle – weit weg von Entspannung, Genuss oder ähnlichen Annehmlichkeiten. Angst ist es nicht, eher die Befürchtung vor Kontrollverlust und die Sorge einer fremden Person ausgeliefert zu sein. Schließlich muss ich mit dem Ergebnis die nächsten Wochen leben. Meine persönliche Schönheitsbeurteilung beim morgendlichen Blick in den Spiegel, hat entscheidenden Einfluss auf meine Tagesperformance.
Sie greift in mein Haar, schneidet ab, zieht es lang und stutzt weitere Haarenden. Die verkrampft weißen Knöchel meiner rechten Hand wirken gespenstisch unter dem schwarzen Frisierumhang. Die Zeitschrift ist schon vor einer ganzen Weile auf den Boden gefallen. Ich spreche kein Wort und schaue wie eine hypnotisierte Python auf die flinken Finger der roten Zora – sorry – nicht Zora, sondern Sandra ist ihr Name. Ich atme tief aus und lasse los.
Fertig. Der Fön ist aus, das Haarwachs präzise hin drapiert. Wie gut ist es einfach zu vertrauen. Die Frau, deren eigene Frisur mehr Abschreckung als einen „Haben-Wollen-Effekt“ auslöst, ist perfekt auf meine Bedürfnisse eingegangen. Mein Spiegelbild sagt: „echt cool“. Und ein bisschen jünger macht mich dieser blonde Kurzhaarschnitt auch. So meine persönliche Selbsteinschätzung.
Wieder haben sich drei Grundsätze bestätigt: Vertraue deinem Gespür für Menschen. Schenke anderen Menschen dein Vertrauen und motiviere sie so zu guter Leistung. Und drittens, steigere dich nicht in etwas hinein, was sich relativ schnell wieder ändern lässt.
Ich gehe gut gelaunt nach Hause. In der schummrigen Garage treffe ich meinen Nachbarn, der noch vor der Begrüßung sagte: „Wow, du siehst toll aus heute – irgendwas ist anders. Hast du eine neue Brille?“
Autor:Heidi Prochaska aus Essen-Borbeck |
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