Kolumne „Blick ins Leben“ von Heidi Prochaska

Recht haben wollen

Es ist schon einige Jahre her. Ich hatte es mal wieder sehr eilig, rannte die Treppen hinunter, sprang in mein Auto, startete hastig, setzte beim Ausparken zurück und hörte ein Geräusch, dass Unheilvolles erahnen ließ. „Schei…!“, fluchte ich vor mich hin, stieg aus und begutachtete den Schaden. Ich hatte mit meinem alten Golf einen wunderschönen, schwarzen, eleganten Mercedes gerammt. Der Schaden war nur minimal, aber erkennbar. Unter Zeitdruck überlegte ich, was zu tun ist. Ich entschied mich für eine unorthodoxe Lösung, die ich damals recht humorvoll fand. Ich klemmte einen Zettel hinter den Scheibenwischer des geschädigten Autos mit den Worten: Tschuldigung – ich habe ihr Auto geküsst, plus Name und Telefonnummer.

Zügig fuhr ich zu meinem Termin und vergaß die Begebenheit bis zum Klingeln meines Telefons, drei Tage später. „Guten Tag Frau Prochaska“, sagte eine unbekannte, sonore Männerstimme und nannte seinen Namen. „Wissen sie, warum ich sie anrufe?“ „ Nein“, antwortete ich leichthin, „aber sie werden es mir sicherlich gleich sagen.“ „Ich bin der Mann, dessen Auto sie geküsst haben.“ Ich hörte sofort, dass er diese Formulierung ganz und gar nicht witzig fand und mir schwante Böses.

„Außerdem bin ich“, ich erinnere mich genau an diese kleine Kunstpause bevor er weitersprach, „der Polizeipräsident von Wuppertal.“ Oh Gott, dachte ich während sich mein Sprachzentrum verselbständigte und Worte wie: da habe ich ja den Richtigen getroffen, formulierte. Zu mehr kam ich nicht. Vorwürfe und Anschuldigungen prasselten wie ei-große Hagelkörner auf mich ein, in einem Ton, der sich gewaschen hatte. Ich hätte Fahrerflucht begangen, er würde mich anzeigen, dass würde extrem teuer werden, das wird ein Nachspiel haben, ich werde keineswegs so einfach davon kommen und einiges mehr.

In einer kurzen Pause entgegnete ich ernsthaft, ohne lange nachzudenken, dass er mit allem, was er mir vorwirft Recht hat. Und dass ich mich dafür entschuldige. Er nahm noch mal Fahrt auf und wiederholte seine Anschuldigungen. Wieder reagierte ich, indem ich ihm Recht gab. Nach der dritten Wiederholung all meiner Vergehen beendete er abrupt das Gespräch. Die letzten Worte einer weiteren Entschuldigung sprach ich ins Leere. Die Verbindung war unterbrochen. Er hatte einfach aufgelegt.

Was ist danach passiert? Nichts! Ich habe weder eine Rechnung erhalten noch ein Anzeige bekommen. Intuitiv habe ich ihm das gegeben, was er ums Verrecken wollte: Ich habe ihm Recht gegeben.

Autor:

Heidi Prochaska aus Essen-Borbeck

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