Kolumne "Blick ins Leben" von Heidi Prochaska

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Offene Deckel – ein unterschätztes Phänomen?
Gott sei Dank gibt es heute Klappdeckel an Zahnpasta-Tuben. Angetrocknete Zahnpasta- Reste gehören der Vergangenheit an und mein Problem mit den offenen Deckeln scheint endgültig gelöst. So dachte ich bis zu dem Moment, als eine Freundin mich fragt, warum ich die Wasserflasche nicht zu schraube. Schnell finde ich eine logische Begründung. „Zu viel Kohlensäure schmeckt mir nicht“, antworte ich knapp und signalisiere keinen weiteren Gesprächsbedarf. Dass die Milchpackung ebenfalls unverschlossen ist und der Deckel auf der Butterdose fehlt, registriere ich blitzschnell und schiebe meinen Gast aus der Küche ins Wohnzimmer. Die offene Weinflasche verstecke ich hinter meinem Rücken. Ihr Blick reicht aus, um bei mir eine innerliche Rechtfertigungskette anzustacheln. Da ich meine Lippen fest aufeinander presse, dringt kein Wort nach außen.

Vor dem nächsten Besuch räume ich nicht nur Flaschen weg, sondern gleich meine gesamte Wohnung auf. Nichts soll einen Grund zur Beanstandung geben, wenn der Mann kommt, der mir regelmäßig beratend zur Seite steht. Ich gieße ihm ein Glas Mineralwasser ein und konzentriere mich auf das Gespräch. Wir reden über Ziele und Maßnahmen. Es ist anstrengend und spannend zugleich. Der Satz: „Wieso lässt du die Flasche offen?“, trifft mich unvorbereitet. „Ich dachte, ich hätte …“, stammle ich, ohne den Satz zu beenden. „Kann es sein, dass du Schwierigkeiten mit dem Abschließen von Dingen hast?“, frage er mich ganz ohne Ironie. Ich bin wie vom Donner gerührt. Ja, wahrscheinlich hat er Recht.

In nur einem Satz hat er ein langjähriges Thema auf den Punkt gebracht. Ich bin aktiv und initiiere viele Projekte – doch immer wieder fehlt der erfolgreiche Abschluss. Meine Konzentration hält so lange an, bis ich kurz vor der Fertigstellung stehe. Dann ebbt sie ab und ich lasse es schleifen in dem festen Glauben, der Rest geht von alleine. Ich höre vor der letzten Endkontrolle auf. Es liegt also nicht an meinen Fähigkeiten oder den Themen, sondern vielfach am letzten Schritt – dem Abschließen. Oder auch, je nach Thema, dem Zuschrauben, Austrinken und Wegwerfen. Faszinierend, welch große Hinweise in vermeintlich kleinen Dingen stecken.

Autor:

Heidi Prochaska aus Essen-Borbeck

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