EPA-Gründer Markus Pajonk sieht viele Existenzen bedroht
Durch Corona rollt ein echter Tsunami auf uns zu
Jürgen Becker liebt seinen Bahnhof. Als Privatmann hat er das verkommene Empfangsgebäude in Borbeck vor gut 20 Jahren von der Bahn gekauft und aufwendig saniert. Seit geraumer Zeit bereitet ihm aber etwas Sorge: Eine obdachlose Frau hat die Halle zu ihrem Zuhause gemacht. Regelmäßig verbringt sie Tage und vor allem die Nächte dort.
von Christa Herlinger
Becker hat das Gespräch mit ihr gesucht, räumt regelmäßig unschöne Hinterlassenschaften aus der Halle. An guten Tagen funktioniert der Dialog. "Dann bietet sie mir auch schon einmal ein Plätzchen an. Ich musste aber auch schon die Polizei zu Hilfe rufen, weil die Frau - ich vermute alkoholisiert - herumgepöbelt hat."
Folgen werden längst sichtbar
Dass die Obdachlose, die Schutz im Bahnhof Borbeck sucht, kein Einzelfall ist, weiß Markus Pajonk. Der Gründer von "Essen packt an" (EPA) kennt die Nöte der Obdachlosen. "Und durch Corona wird ein wahrer Tsunami auf uns zu rollen. Die Folgen werden schon jetzt sichtbar. Aber es sind unvorstellbar viele Existenzen in Gefahr und nicht wenige werden zukünftig noch hinten rüber fallen. Wir werden die Augen angesichts der Not nicht länger mehr verschließen können ", so der Borbecker.
Große Angst vor einer Ansteckung
EPA hat über Streetworker und die Projekte "Eiskalt helfen" oder "Warm durch die Nacht" in den vergangenen Jahren engen Kontakt zu vielen Wohnungslosen in Essen aufgebaut. "Die meisten scheuen aktuell den Weg in Notunterkünfte oder das Zelt der DRK-Kältehilfe", weiß Pajonk. Zu groß sei die Angst, sich mit Covid 19 zu infizieren. "Aber Corona ist längst ein Teil von uns. Es geht nicht darum ob, sondern wie wir mit dem Virus in Kontakt kommen. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise die Impfung", so der Borbecker.
Kein Impfkonzept für Obdachlose
Ein Impfkonzept für Obdachlose gebe es in Essen bislang aber nicht. Das wäre allerdings wichtig. Denn, so gibt der Borbecker zu bedenken, der Verteilungsplan der Impfdosen greife nicht bei den Obdachlosen. "Viele kämen aufgrund ihres Alters erst sehr spät an die Reihe. Statistisch gesehen werden Obdachlose im Schnitt aber nicht einmal 50 Jahre alt."
Am Beispiel der Diakonie Düsseldorf zeigt sich: Durch die Pandemie sind Armut und Existenznöte in großem Maße in unserer Gesellschaft angekommen. "Im vergangenen Jahr haben die Düsseldorfer täglich rund 150 Essen an Bedürftige ausgegeben, aktuell sind es über 400." Ein ähnlicher Trend zeige sich auch in Essen.
Keine falsche Scham: frühzeitig Hilfe suchen
Pajonk appelliert, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. "Aktuell sind Existenznöte in vielen Branchen, in allen Schichten unserer Gesellschaft ein Thema. Damit stehen Sie nicht alleine. Zeigen Sie keine falsche Scham, suchen Sie Hilfe. Je frühzeitiger, umso größer ist die Chance, dass Sie aus der schwierigen Situation rauskommen."
Hier gibt es Hilfe
Unter 0201/222 222 ist das DRK erreichbar. Die Mitarbeiter geben Infos über Wohnungslosen-Schlafplätze etc. an die Streetworker weiter, die können die Menschen dann aufsuchen und individuell Hilfe anbieten.
Sobald das Thermometer nachts Minusgrade zeigt, finden Wohnungslose ab 21 Uhr Schutz in den DRK-Wärmezelten am Wolfsbankring in Essen. Neben einem warmen Schlafplatz wird auch für die Verpflegung der Übernachtungsgäste gesorgt. Morgens gibt's Frühstück. Zudem kann geduscht werden. Hunde dürfen mitgebracht werden. Auf sie warten Schlafplatz und Futter.
Wer durch die Coronakrise finanzielle Probleme hat, kann sich an eine Schuldnerberatung wenden. Die AWO Essen bietet eine solche an. In dringenden Fällen ist das Angebot unter der Rufnummer 0201-827260 oder per E-Mail an mailto@schuldnerhilfe.de erreichbar. Die Experten raten, sich frühzeitig zu melden. Umso besser kann geholfen werden. Anlaufstellen
Autor:Lokalkompass Borbeck aus Essen-Borbeck |
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