Apokalypse für Anfänger (4)

The walking dead war gestern (4) - Das apallische Syndrom

Der Arzt im Philippusstift Borbeck-Mitte versuchte sie zu beruhigen, während er den Blutdruck und die Vitalwerte von Angelo-Joey von einem Monitor ablas. "Hören sie Frau Holz-Meißner, ihr Sohn befindet sich in einem Zustand zwischen tiefer Bewusstlosigkeit und Wachsein." erklärte er mit ruhiger, sonoriger Stimme. Ulla sah ihren Sohn an, er hatte die Augen geöffnet, aber sein Blick ging ins Leere. Sein Kopf war verbunden, und ein Arm in Gips, seine Augen waren blutrot unterlaufen. "Angelo, kannst Du mich sehen, hörst Du mich?" fragte sie ihn verzweifelt, während sein Blick weiter starr an die Decke gerichtet war. "Kann er mich hören?" fragte sie den Arzt, welcher weiter die Werte auf dem Monitor studierte. "Es kann sein" erklärte er ihr, "dass ihr Sohn etwas mitbekommt, aber genau weiß man das noch nicht! Manche Patienten berichten von Phasen, in denen sie wach waren, Gespräche und Berührungen mitbekamen, andere haben überhaupt keine Erinnerungen an diesen Zustand" berichtete er. "Und wann wird er wieder aufwachen? Wird er wieder gesund?" fragte sie den Arzt mit Tränen in den Augen und verzweifelter Stimme. Der zögerte ein paar Sekunden, und drückte ein paar Knöpfe auf der Anzeige des Monitors. "Manche wachen nach kurzer Zeit auf, manche nach Jahren, und manchmal..." der Arzt zögerte, versuchte die richtigen Worte zu finden "manche bleiben ihr Leben lang in diesem Zustand."

Ulla und Tobias haben sich damals in der Dampfbierbrauerei in Borbeck kennengelernt. Ulla war mit ihrer Clique zu Weiberfastnacht unterwegs, und alle trugen sie Polizeikostüme mit diesen rosa Plüschhandschellen, die es bei KiK im Angebot gab. Sie hatte es nicht schwer, Kontakt zu finden, mit ihren langen blonden Haaren und der passablen Figur. Und ein Kind von Traurigkeit war sie auch nicht gerade, aber ihre direkte Art gefiel nicht jedem. Auch nicht Tobias, der mit dem hiesigen Fußballverein die Dampfe unsicher machte. Er fand angetrunkene und aufgedrehte Frauen noch nie sehr anziehend, und als ihm Ulla ihre Pina Colada über die Jeans kippte, da bestätigte sich sein Eindruck wieder. Ein Haufen gackernder Hühner, der sich jedem an den Hals wirft, ohne Rücksicht auf Verluste. Und doch war Ulla anders als die anderen, er mochte ihre Ausstrahlung, das verschmitzte Lächeln, und vor allem ihren Humor, und so verbrachten sie diesen denkwürdigen Abend in der Dampfe, das war vor 16 Jahren, und Angelo-Joey hat keine Ahnung, dass er an genau diesem Abend gezeugt wurde, auf einer Toilette der Dampfe, von zwei angetrunkenen Menschen, die sich vorher garnicht leiden konnten.

Nachdem die Gesamtschule Borbeck wegen mehrerer Verdachtsfälle bis auf weiteres geschlossen wurde, und die meisten anderen Schulen aus Sicherheitsgründen dem Beispiel folgten, kam es auch bei der EBE zu massiven Ausfällen. Da die meisten Kinder der Stadt zu Hause bleiben mussten, und die Eltern kaum Möglichkeiten hatten, für eine entsprechende Tagesaufsicht zu sorgen, mussten tausende Menschen zu Hause bleiben, was zu erheblichen Einschränkungen bei der Müllentsorgung führte.
Am 16.02.2020 stellten die Essener Entsorgungsbetriebe die Arbeit ein. Man wurde aufgefordert, seinen Müll fachgerecht in Müllsäcken zu lagern, oder persönlich zum Recyclinghof Lierfeldstraße zu bringen. Das Chaos nahm seinen Lauf.

Tobias und Ulla kümmerten sich zu Hause um Celine-Kassandra, die nun mit heftigem Husten und Fieber zu kämpfen hatte. Eine normale Erkältung? Das wollte man später im Philippusstift klären lassen, wenn sie Angelo-Joey besuchten. Dieser lag auf der Intensivstation des Krankenhauses, wurde mittlerweile unterstützend künstlich beatmet. Celine-Kassandra war ein Wunschkind, schon vor der Schwangerschaft waren Ulla und Tobias nach Borbeck umgezogen, und richteten ein Zimmer komplett für den neuen Nachwuchs ein, noch bevor sie wussten ob es klappen würde.

am 26.02.2020 wurden alle Schulen und Kitas in Borbeck unter Quarantäne gestellt bzw geschlossen. Supermärkte waren vereinzelt noch geöffnet, aufgrund der Panikkäufe der Menschen aber fast restlos ausverkauft, was Lebensmittel und Hygieneartikel anging, Nachschub war nicht zu erwarten. Täglich gab es weitere Meldungen über Infizierte, doch auch immer mehr Berichte über Todesfälle. Die Zahl der Erkrankungen und die Sterberrate schien sich erschreckenderweise zu den Quarantänemaßnahmen und den Sicherheitsvorkehrungen zu potenzieren. Auch in Borbeck berichteten die Medien von einem beunruhigenden Anstieg der Krankheitsfälle, mittlerweile war die Zahl der festgestellten Erkrankungen in Essen auf 18000 Personen angestiegen.
Um 16.54 Uhr am 04.03.2020 bekamen Tobias und Ulla einen Anruf aus dem Philippusstift, einer der leitenden Ärzte teilte ihnen unaufgeregt mit, dass Angelo-Joey aufgrund fehlender Desinfektionsmittel ebenfalls an Corona erkrankt war. Das Lager des Krankenhauses wurde drei Tage vorher geplündert, wahrscheinlich von Angestellten, die Zugang zu den Räumlichkeiten hatten. Das Krankenhaus musste den Betrieb weitestgehend einstellen, fehlendes Personal und komplette Überlastung brachten das es an seine absoluten Grenzen. Weitere Aufnahmen von Patienten wurden abgelehnt, an den Eingängen und Notfallaufnahmen postierten sich Polizeibeamte mit Maschinengewehren, ausgestattet mit Schutzmasken und Brillen.
Auch Besuche waren abgelehnt worden, bis man die Art der Verbreitung konkretisieren, und das Virus so unter Kontrolle bekommen könne.

Der Zustand von Angelo-Joey verschlechterte sich immer mehr. Seine Atmung wurde flacher, seine Vitalfunktionen schwächer, und dazu stellte man eine Entzündung des Enddarms fest. In der Klinik für Allgemeine und Spezielle Viszeralchirurgie und Koloproktologie im Philippusstift, dessen Leiter der Chefarzt Dr. med. Franz-Josef Schumacher ist, wurde die Darmentzündung untersucht, und eine Probe des entzündlichen Gewebes an das Institut für Virologie am Essener Uniklinikum gesandt. Professor Ulf Dittmer leitete die Untersuchung, welche eine neuartige Form der Ausbreitung offenbarte.

Was am 10.03.2020 in Borbeck geschah, wird man später weltweit "ASB", das "Apallisches Syndrom Borbeck" nennen. Prof. Dittmer hatte anhand der Auswertungen eine sensationelle, aber auch katastrophale Entdeckung gemacht.
Das Coronavirus hatte sich, im Verbund mit anderen Influenzaviren, zu einem völlig neuartigen Stamm von Viren entwickelt, welche ein erschreckendes Verhalten zeigten. Angelo-Joey war mit dem Virus infiziert, es ging ihm schlecht, doch man stellte fest, dass die Erkrankung besser wurde, je schlechter seine Vitalfunktionen waren. Prof Dittmer brachte es auf den Punkt. Das neuartige Coronavirus wurde durch hohe Temperaturen aktiviert. Sobald die Umgebungstemperatur höher war, wurde das Virus aktiv, und begann, die Lungen und Atemwege zu infizieren. "Jeder trägt das Virus bereits in sich" erklärte er, doch die Ausbreitung vor allem in wärmeren Ländern bzw Umgebungen ist kein Zufall" führte er fort. "Der Patient des Philippusstifts lag in einem Wachkoma, war bereits infiziert, doch das herunterfahren seiner Vitalfunktionen, die dadurch entstandene Abkühlung bzw sehr niedrige Körpertemperatur deaktivierten das Virus wieder" teilte er den entsetzten Zuhörern mit, um dann die folgenden Sätze zu sagen, die das Leben nicht nur in Borbeck, sondern auf der ganzen Welt verändern sollten:

"Jeder trägt das Virus bereits in sich, bedingt durch Umweltbelastung, Ozonloch und Klimawandel in den europäischen Ländern hat sich ein Stamm von Viren gebildet, der sich die globale Erderwärmung zu nutzen macht, um zu überleben. Dazu benutzt er den Menschen als Wirt, und jeder, ich wiederhole JEDER Mensch, der sich einer höheren Temperatur als 19 Grad Celsius aussetzt, löst damit eine Aktivierung des Virus in seinem Körper aus. "

"Und hier die Wettervorhersage" hörte Ulla die Moderatorin im Radio ankündigen, "in weiten Teilen Deutschlands wird es weiterhin regnen bei einer Temperatur von 13 Grad, besonders bei uns im Westen werden ergiebige Regenfälle erwartet. Ab Mittwoch wird die Temperatur steigen, und am Donnerstag sind bereits frühlingshafte 20 Grad Celsius drin." frohlockte die Moderatorin. "Nutzt das warme Wetter, um mal wieder frische Luft zu tanken " riet sie den Zuschauern."Wenn sie doch nur wüsste..." dachte Ulla, und Tränen flossen ihr übers Gesicht...
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Fortsetzung folgt

Autor:

Achim Feldhordt aus Essen-Borbeck

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