Hölle für Hasibe: Ihrer Mutter droht nach 28 Jahren Duldung die Abschiebung
Hasibe Acar ist 23 Jahre alt. Sie ist in Borbeck geboren, hat hier ihren Schulabschluss gemacht. Und auch ihre Ausbildung zur pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten. Bis heute ist sie in ihrem Ausbildungsbetrieb beschäftigt, hat einen unbefristeten Job. Sie zahlt Steuern und Sozialabgaben.
Hasibe spricht fließend Deutsch. Auf den ersten Blick unterscheidet die junge Frau nur wenig von Gleichaltrigen. Auf den zweiten eine ganze Menge.
Denn Hasibe ist in Deutschland nur geduldet. Das bedeutet: Sie darf NRW nicht verlassen. Ihr ist keine selbstständige Tätigkeit erlaubt, keine standesamtliche Heirat. Und auch von den Wahlen ist sie ausgeschlossen. "Ich kenne das nicht anders, habe mir als Kind aber keinen Kopf darüber gemacht." Doch inzwischen lebt die junge Dellwigerin in Angst.
Und für diese Angst gibt es einen ganz konkreten Anlass. In der Nacht auf den 11. Juli standen plötzlich knapp 30 Beamte der Polizei und Mitarbeiter der Ausländerbehörde vor der Wohnungstür der Familie. Sie klingelten Sturm, brachen die Wohnungstür auf. Gegen 4 Uhr morgens wollten sie Hasibes Mutter Besire in Abschiebehaft nehmen. "Zum Glück war meine Mutter nicht da."
"Wir wissen nicht, wer die Registrierung vorgenommen hat"
Auch die 67-jährige Besire Acar ist nur geduldet. Ihre Herkunft war lange ungeklärt. Nach Deutschland sind die Acars mit einem Laissez-Passez (Dokument für Duldung im Libanon) gekommen. 1989 als Flüchtlinge vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land. Dort sind beide auch geboren. Doch registriert sei die Mutter nach Informationen der Ausländerbehörde in der Türkei. "Wir wissen nicht, wer die Registrierung vorgenommen hat", so die Tochter. Auch die Mutter sei viele Jahre ahnungslos gewesen. Die Angaben über das Geburtsdatum und die Kinder der Frau sind mysteriös. Demnach wäre Besire nämlich erst 45 Jahre alt. Auch Zwillinge hat sie nie geboren. Trotz der Ungereimtheiten hat die Dellwigerin, die nach dem frühen Tod ihres Mannes ihre zehn Kinder alleine groß gezogen hat, den Rat der Behörde befolgt und einen türkischen Pass beantragt. "Mit Hilfe eines Anwalts", so Hasibe, "und in der Hoffnung, dass sie damit die Basis für eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland schafft."
Behörde sieht keine ausreichende Integration gegeben
Doch stattdessen droht jetzt die Abschiebung. "Unsere Mutter sei nicht in Deutschland verwurzelt, nicht integriert, so die Begründung der Behörde."
Obwohl vier der zehn Kinder der Familie in Deutschland geboren sind, sind auch sie nur geduldet. "Dabei haben wir alle hier die Schule besucht, einige Geschwister haben schon Kinder", erzählt die kleine Schwester. Und sie arbeiten als Verkäuferin, Busfahrer, Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes oder als zahnmedizinische Fachangestellte. Dahin zu kommen, war nicht einfach. Denn trotz der Duldung eine Ausbildungsstelle zu ergattern, das funktioniert nicht ohne eine gehörige Portion Glück. Hasibe hatte dieses Glück.
Die Dellwigerin hat ihre heutige Chefin während eines Schulpraktikums überzeugt. "Am Ende der Zeit hat sie mir eine Ausbildungsstelle angeboten", erinnert sich Hasibe an diesen glücklichen Moment. Von den Auflagen, die mit der Duldung der neuen Ausbildenden einher gehen, war die Pharmazeutin damals selbst überrascht.
Alle drei Monate muss die Duldung verlängert werden
Trotzdem ist sie das Wagnis eingegangen. Und sie hat Hasibe nach Ende der Ausbildung fest angstellt, seitdem gehört die 23-Jährige zum Team der Bahnhofs Apotheke in Borbeck. Anders als die anderen Mitarbeiter muss sie allerdings alle drei Monate einen Tag freigestellt werden. Dann geht es zur Ausländerbehörde, um die Duldung zu verlängern.
Auch Hasibe soll eine türkischen Pass beantragen. Doch nach den Erlebnissen in der Nacht zum 11. Juli zweifelt sie daran, dass dies der richtige Schritt war. "Ich habe Angst, dass auch ich abgeschoben werde. Unser Leben hat sich seit dem 11. Juli komplett verändert. Die Behörde hat alles auf den Kopf gestellt. Die ganze Familie leidet."
Die Papiere der Mutter wurden nach Vorlage bei der Ausländerbehörde direkt eingezogen. Mit Hilfe eines sogenannten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung versuchen die Kinder, die Abschiebung der Mutter zu verhindern. Doch noch hat das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen nicht entschieden.
Anwalt der Familie ist hoffnungsfroh
Samir Omeirat vertritt die Familie anwaltlich. Der Jurist ist hoffnungsfroh, dass er für seine Mandantin eine Duldung oder sogar Aufenthaltungsgenehmigung erreicht. "Allein aufgrund der gesundheitlichen Situation. Wir haben bei Gericht fachärztliche Gutachten vorgelegt, die neben Diabetes, Angststörungen und einer latenten Suizidalität auch eine beginnende Demenz nachweisen", so der Anwalt. Vor einem Monat hat er den Antrag bei Gericht eingereicht. Jetzt heißt es abwarten. Bei einem negativen Entscheid würde Omeirat in jedem Fall Beschwerde beim Oberwaltungsgericht Münster einlegen.
Abgeschoben würde Besire in die Türkei. "In ein Land, das sie noch niemals gesehen hat, dessen Sprache sie nicht spricht", so die Angst der Familie. "Und sie wäre allein, getrennt von der Familie, den Kindern und Enkeln. Selbst ihre Geschwister sind alle in Deutschland, die Eltern hier beerdigt."
Politmagazin berichtet über Schicksal der Familie
Für ihre kranke Mutter würden die Kinder eine Verpflichtungserklärung unterschreiben. Damit wäre der Staat auch finanziell raus aus der Verantwortung. Und die Familie möchte Öffentlichkeit schaffen, damit nicht nur auf das eigene, sondern auch das Schicksal der rund 160 000 anderen Geduldeten in Deutschland aufmerksam machen. Das Politmagazin Monitor hat über den Fall der Familie berichtet. Auch an Oberbürgermeister Thomas Kufen hat sich die 23-Jährige gewandt. Hasibe setzt alle Hebel in Bewegung: eine Anfrage beim Petitionsausschuss möchte sie in Angriff nehmen und eine Unterschriftenaktion. "Damit meine Mutter in Deutschland bleiben kann und wir alle wieder ohne Angst vor der Zukunft schlafen können."
Autor:Christa Herlinger aus Essen-Borbeck |
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