Schule vier Jahre ohne Spielgerät
Die unendliche Geschichte
Als Andrea Witzmann Schulleiterin der Dürerschule in Essen-Borbeck wurde, war das Spielgerät auf dem Schulhof schon eingezäunt und durfte nicht mehr genutzt werden. Das war 2020. Es sollte vier Jahre dauern, bis ein neues eingeweiht werden konnte. Ein Jahrgang hat also seine ganze Schulzeit "ohne" verbracht.
Schon 2020 hatte das Kollegium Spielangebote auf den Asphalt des Schulhofs gemalt. Hinkelkästchen & Co sollten für Pausenunterhaltung sorgen. "Schön wäre es aber, wenn wir mit Hilfe von Sponsoren schnellstmöglich auch neue Spielgeräte für unsere 184 Kinder anschaffen könnten", hatte Andrea Witzmann damals gesagt.
Städte müssen Schulhöfe nicht mit Spielgeräten ausstatten
Aber wieso eigentlich Sponsoren? Ist es nicht Aufgabe des Schulträgers, in diesem Fall der Stadt Essen, den Schulhof zu gestalten und auszustatten? "Die Ausstattung von Schulhöfen mit Spielgeräten gehört gemäß des Landesgesetzgebers nicht zu den pflichtigen Aufgaben der Kommunen", antwortet Burkhard Leise, Pressereferent der Stadt Essen, auf diese Frage. Und weiter: "Finanzielle Unterstützung erfolgt demnach häufig durch Fördervereine, Bezirksvertretungen oder sonstige Spender*innen. Bei rund 200 Standorten kann aus diesen Kapazitätsgründen nicht jeder Schule, die Bedarf anmeldet, ein neues Spielgerät zur Verfügung gestellt werden. Für ein neues Spielgerät fallen durchschnittlich rund 25.000 bis 30.000 Euro an. Zudem erhalten die Schulen Spielgeräte nach ihrer individuellen Bedarfsmitteilung."
Sponsorenlauf fürs Spielgerät
Im Fall der Dürerschule wurden Mittel der Bezirksvertretung IV zur Verfügung gestellt. Die reichten aber nicht aus, um ein Spielgerät nach Wünschen der Kinder, mit Rutsche, anzuschaffen, sagt die Schulleiterin. Statt des vorgeschlagenen Klettergerüts sollte eine Zwei-Turm-Anlage mit Rutsche aufgebaut werden. "Deshalb haben wir versprochen, uns an den Kosten mit einem Spendenlauf zu beteiligen." Das war 2022. 2000 Euro hat die Schulgemeinschaft am Ende beigesteuert, die Bezirksvertreung 28.000 Euro und die Stadt Essen 8.700 Euro.
Bedarf schon 2020 angemeldet
"Die Stadt Essen beteiligt sich bei fehlenden Geldern an den Gesamtkosten. Es muss aber sichergestellt sein, dass die Finanzierung überwiegend durch Dritte erfolgt", erklärt Pressereferent Leise. Jeweils zum Jahresbeginn koordiniere und beschließe die Verwaltung mit den zu beteiligenden Fachbereichen die Maßnahmenliste für das dann laufende Kalenderjahr. Die Bedarfe aller Schulen seien priorisiert und würden sukzessive umgesetzt, heißt es weiter von der Stadt Essen. Das erklärt, weshalb der Bedarf bereits 2020 angemeldet, in die Planung aber erst zwei Jahre später eingestiegen wurde.
Zwei Jahre bis zur ersten Planung
"Da von dieser Maßnahmenliste nahezu alle Schulstandorte betroffen und Projekte aus Vorjahren priorisiert sind, konnte die Planung für das neue Spielgerät gemeinsam mit der Schule erst im Jahr 2022 aufgenommen werden", so der Pressereferent der Stadt Essen. Und weiter: "Die Beauftragung erfolgte erst im Herbst 2023, da es aufgrund der Priorisierung der Schulcontainermaßnahmen zu weiteren Verzögerungen bei der Ausschreibung kam. Aufgrund der Lieferzeiten der Spielgeräte und der Witterung im Winter 2023/24 konnte der Bau erst in den Osterferien 2024 erfolgen."
Riesenfreude bei der Einweihung 2024
Die Freude der Schüler bei der Einweihung war groß, sie stürmten gleich los, als die Freigabe erteilt worden war - "allen voran die Viertklässler, die so lange gewartet hatten", sagt die Schulleiterin. Ein Teil der Schüler, die damals für das Spielgerät gelaufen waren, erlebten die Einweihung allerdings nicht mehr. Sie haben längst auf weiterführende Schulen gewechselt.
So sieht es ein Kinderarzt
Einschätzung von Kinderarzt Michael Achenbach, Pressesprecher des Landesverbands Westfalen-Lippe im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen:
"Bewegungsmangel ist einer der stärksten Risikofaktoren für verschiedene gesundheitliche Probleme, von Übergewicht über Rückenbeschwerden bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Viele Studien (zum Beispiel die KIGGS-Untersuchung) zeigen, dass weniger als 20 Prozent der elf- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen in Deutschland die Bewegungsempfehlungen erfüllen. Hier müssen wir dort, wo wir Einfluss nehmen können, massiv gegensteuern und Kindern Freude an der Bewegung vermitteln. Die Dauer bis zur Neuanschaffung von bewegungsfördernden Spielgeräten zeigt exemplarisch, dass wir als Gesellschaft es immer noch nicht schaffen (oder schaffen wollen?), die Bedürfnisse von Kindern ernst zu nehmen und ihnen einen angemessenen Stellenwert in finanzpolitischen Überlegungen zuzugestehen. Diese Blindheit gegenüber den kindlichen Belangen erfüllt mich mit großer Sorge."
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