Überdruss am Silberfluss, Teil 1: Ein Land im Wechselwahn
Die Argentinier wollen nicht länger mit ansehen, wie ihre Währung dank Inflation zu Spielgeld verkommt. In Buenos Aires wütet der schwarze Wechselmarkt und bringt dabei nicht wenige Blüten hervor.
Ich hatte ein Abenteuer erwartet, einen Hauch lateinamerikanische Unterwelt, ein Spiel mit dem Reiz des Illegalen. In meinem Kopf hatten sich verlassene Seitenstraßen abgezeichnet, mit vermummten Gestalten, geflüsterten Codewörtern und verriegelten Geldkoffern, Russisch Roulette auf Argentinisch, ein Tango mit dem Teufel. Ich würde etwas Verbotenes tun und wollte nichts dem Zufall überlassen, ein argentinisches Gefängnis ist kein Bälleparadies und ein argentinischer Polizist eher selten Freund und Helfer. Nach eingehender Besprechung mit alten Bekannten und meinem noch älteren Bekannten namens Google war ich dann doch ziemlich überrascht, dass sich das Tor zur lateinamerikanischen Unterwelt in der Ankunftshalle des Flughafens von Buenos Aires verbarg.
Es fängt schon am Flughafen an
"Ich gebe dir einen Kurs von 8,5", sagt mir der Angestellte des renomierten Mietwagen-Anbieters und zeigt mit einer hektischen Handbewegung auf den hinteren Teil des kleinen Ladens, während vorne seine Kunden warten. Der Deal ist schnell erledigt, 100 Euro ergeben 850 Pesos, ich halte mich für ausgefuchst und tänzle diabolisch lächelnd zum Taxistand. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie mir ein paar Kilometer weiter für die gleiche Summe weit über 1000 Pesos hinterherschmeißen würden, auf offener Straße und am hellichten Tag, das Gleiche tun sie für brasilianisches und, wenn's sein muss, sogar für chilenisches und uruguayisches Geld. Sie wollen einfach nur die abgewetzten Scheine abwimmeln, die im Tagesrhythmus an Wert verlieren und ganz nebenbei auch ziemlich muffig riechen. Der offizielle Euro-Wechselkurs schwankt zurzeit um die 7,5-Pesos-Marke, während das Leben im Land des Rindfleischs immer teurer wird. Ich kann es fast nicht glauben, als der Kellner für den Liter Bier tatsächlich 5 Euro verlangt, vor vier Jahren konnte man hier für einen Zwanziger noch einen ganzen Abend lang Lokalrunden schmeißen und dazu noch ein saftiges Steak verspeisen.
Eine Währung, die keiner will
Von einem Straßencafé aus beobachte ich etwa eine halbe Stunde lang die armen Tröpfe, wie sie "cambio, cambio" krakeelen und damit Touristen wie Einheimische zum schwarzen Wechselgeschäft überreden wollen. Nicht einer bleibt stehen, auch nicht das strohblonde Pärchen, bei dem sich die Schreihälse fast die schwarzen Seelen aus dem Hals brüllen. Ich will gar nicht wissen, wie viel Falschgeld mir der Autovermieter am Flughafen untergejubelt hat, Hauptsache, ich werde die Scheiße möglichst schnell wieder los. Gelegenheiten dazu habe ich genug. Ich verbringe meine Woche in der argentinischen Hauptstadt hauptsächlich in Bars, Cafés und Buchhandlungen, doch auch am rustikalen Szeneviertel San Telmo geht das Wirtschafts-Rauf-und-Runter nicht spurlos vorbei.
"Wie schmeckt der organische Kaffee?"
Naja, er schmeckt halt nicht nach Kaffee, und es ist nicht so, dass ich 'was gegen Bioprodukte hätte. Wenn ich ehrlich bin, schmeckt er fürchterlich, auch der Süßstoff macht's nicht besser. Gib mir Paniermehl und 'ne Handvoll grüne Bohnen, und ich serviere dir ein besseres Gebräu.
"Super", antworte ich, denn Ehrlichkeit wäre in dieser Situation ein No-Go, auch wenn ich aus dem Mutterland der Meckerer stamme. Hier aber werden tausendundeine Beschwerden zu tausendundeinem Lächeln, zum Glück ist die Tasse ziemlich klein.
Land ohne Kleingeld
In der Tasche habe ich einen Hundert-Peso-Schein, der Kaffee kostet 18. Das könnte zum Problem werden, denn das Land ohne Meckern ist auch das Land ohne Kleingeld. In der Apotheke geben sie dir für jeden Peso Wechselgeld ein Aspirin, wenn gerade keine Münzen in der Kasse sind. Und gut sieht der Lappen auch nicht aus, ziemlich abgegriffen und mit zerschlissenen Rändern, ich bin jedenfalls gespannt, wie lange es dauert, bis man für einen Hunderter nicht einmal mehr ein vollgeschnieftes Taschentuch bekommt. Nach Abenteuer klingt das jedenfalls nicht. Der Reiz des Illegalen wird zum Schnupfenreiz und die sagenumwobene Unterwelt zur kitschigen Touri-Gastronomie. Vielleicht wäre es aufregender gewesen, sich am Flughafen einen Wagen zu mieten und damit durch das nächtliche Buenos Aires zu poltern.
Anreise nach Buenos Aires:
Mit der Straßenbahn Richtung Süden fahren (z.B. mit der 103 bis Essen-Steele). Dann einfach weiter durchfragen, bis man Grillfleisch riecht und Tangoklänge hört. Bei der Überquerung des Atlantiks sind solide Schwimmkenntnisse von Vorteil. Nichtschwimmer nehmen lieber das Flugzeug, z.B. mit British Airways über London oder mit Lufthansa direkt von Frankfurt aus.
Autor:Julian Brock aus Essen-Borbeck |
2 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.