Ohne Rettungsschirm geht es nicht: Schausteller kämpfen um ihre Existenz
Richard Müller restauriert seine historischen Fahrgeschäfte: Ein Mittel gegen den Corona-Blues

Richard und Steven Müller mit einem Schild aus längst vergangenen Tagen. Es gehörte zu der Schaubude von Urgroßvater Oskar Winterhalter. In seinem Illusionsgeschäft war die Nummer "Frau ohne Kopf" die Attraktion. Dafür musste Müllers Großmutter mehrfach am Tag sprichwörtlich ihren Kopf hinhalten.  | Foto: cHER
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  • Richard und Steven Müller mit einem Schild aus längst vergangenen Tagen. Es gehörte zu der Schaubude von Urgroßvater Oskar Winterhalter. In seinem Illusionsgeschäft war die Nummer "Frau ohne Kopf" die Attraktion. Dafür musste Müllers Großmutter mehrfach am Tag sprichwörtlich ihren Kopf hinhalten.
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"Es ist die Ungewissheit, die mich fertig macht." Richard Müller nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Schausteller, Baujahr 1964, hat Zeiten wie diese noch nicht erlebt. "Für uns ist die Pandemie praktisch mit einem Berufsverbot gleichzusetzen." Ganz unrecht hat der Essener nicht. Bis zum 31. August sind Großveranstaltungen verboten. Und Kirmes, Schützen- und Volksfeste fallen definitiv in diese Kategorie.

von Christa Herlinger

Seit Wochen stehen die Fahrgeschäfte der Schaustellerfamilie - mit Sohn Steven ist bereits die 7. Generation der Müllers auf den Rummelplätzen und Weihnachtsmärkten unterwegs - auf dem Gelände an der Koksstraße. "Was an laufenden Kosten zu reduzieren war, haben wir reduziert", so Müller. Die Haftpflichtversicherungen für die Geschäfte und die Kfz-Versicherungen für die großen Zugmaschinen sind ausgesetzt. "Der Betrieb ist praktisch auf Null gefahren."

Schweißgerät ist im Dauereinsatz

Die Hände in den Schoß legen die Müllers aber nicht. In der großen Halle, da wo die Ersatzteile eingelagert sind, sind Schweißgerät & Co im Dauereinsatz. Steven macht gerade ein neues Spielgeschäft für zukünftige Einsätze fit. Dosen- und Pfeilewerfen sind möglich, mit ein paar wenigen Handgriffen kann umgebaut werden: Dann ist "Entchen-Angeln" angesagt.

Bude gehörte einst den Eltern

Papa Richard restauriert wenige Meter weiter eine historische Verkaufsbude. "Die stammt noch von meinen Eltern. Damit habe ich schon selbst in den 1970er Jahren auf dem Weihnachtsmarkt gestanden und Glühwein verkauft."Die Müllers haben auf dem Platz eine Menge historischer Fahrgeschäfte stehen und eingelagert. "Eine meiner Leidenschaften", erklärt der Schausteller, der 2003 Gründungsmitglied der "Historischen Gesellschaft deutscher Schausteller" war. Der historische Autoscooter von 1950 ist Richard Müllers ganzer Stolz. In der großen Halle warten noch mehrere Wagen aus den frühen 50er und 60er Jahren auf eine Komplettrestaurierung. "Dafür haben wir nun Zeit."

Soforthilfen zügig geflossen

Doch so wirklich freuen können sich die Müllers darüber nicht. Die Corona-Soforthilfen waren in den letzten Woche eine große Hilfe für den Familienbetrieb. "Das war schon toll, wie schnell und unkompliziert das ging." Seine drei Mitarbeiter musste der Schausteller inzwischen entlassen. "Doch wir brauchen einen Rettungsschirm, ansonsten kann das so gut wie kein Betrieb überleben", ist sich der Essener sicher. Der Deutsche Schausteller Bund, dem 91 regionale Verbände angehören, hat diese Forderung bereits an die Regierung herangetragen. Zudem wird an einem Maßnahmenkatalog erarbeitet, der sich mit Hygieneverordnungen, Abstandsregelungen oder neuen Stellkonzepten beschäftigt. "Denn auch wenn Veranstaltungen irgendwann wieder möglich sein werden, wird vieles anders laufen müssen."

Hoffnung auf Beginn in kleinem Rahmen

Müller hofft, dass es irgendwann mit kleinen Veranstaltungen weitergehen kann. Mit einer Kirmes im Stadtteil, mit einem Fest auf dem Marktplatz. "Ansonsten tun wir hier alles, was möglich ist, gegen den Corona-Blues und hoffen auf Hilfe seitens der Politik. Ansonsten geht ein Kulturgut verloren, was über 1200 Jahre alt ist."

Autor:

Christa Herlinger aus Essen-Borbeck

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