Graugrüne Heimat – Wald und Feld in Essen-Dellwig
Der Stadtteil im Essener Nord-Westen ist nicht gerade als typisches Ausflugsziel verschrien. Dabei freut sich das Grüne in seinem Innern schon darauf, von Erholungssuchenden entdeckt zu werden. Ein paar Worte über das Barchembachtal.
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ - noch bevor Walter Ulbricht vor mehr als 50 Jahren diesen historischen Schenkelklopfer in die Welt stieß, stand die Mauer schon. Und sie steht noch heute. Mit gierigen Hecken übertüncht, schmiegt sie sich wie ein rostiges Drahtseil an die Dellwiger Straße. Anders als ihre große Schwester aus Berlin, trennt die Dellwiger Mauer keine Familien, keiner wird mit Gewalt daran gehindert, auf die andere Seite zu gehen.
Einst riegelte die kilometerlange Bausünde die Wohnsiedlungen von einem der größten Rangierbahnhöfe Deutschlands ab. Auch wenn ich nie verstanden habe, wofür so ein Rangierbahnhof eigentlich da ist. Aus irgendeinem Grund stellte man hier irgendwelche Züge ab, heute werden dort Frauchen und Herrchen von ihren Hündchen Gassi geführt. Das Gelände hört auf den Namen Ruderalpark, durch eine Unterführung gelangt man dahin, wo einst verstaubte Züge ihre Zeit absaßen. Auch den neuen Titel muss man nicht verstehen - Ruderalpark, kann man hier rudern? Weit und breit ist kein Wasser zu sehen, bloß zugewucherte Wanderwege, die in gähnende Leere oder aber zu vergitterten Steinquadern führen.
Der Tunnel unter der Mauer hindurch hat mehrere Millionen Euro verschlungen. Niemand braucht ihn, niemand hat die Absicht, ihm zu Ehren einen Freudentanz aufzuführen. Warum auch? Dellwig kann mit der strukturwandlerischen Steppe, zu der er führt, nicht viel anfangen. Ebenso wenig braucht die Dellwiger Mauer eine übergestülpte Hecke – das ist so sinnvoll, wie einer Kanalratte ein Rüschenkleid anzuziehen: Schöner wird sie auch dadurch nicht.
Niemand steigt ein oder aus
„Nächster Halt: Essen-Dellwig Ost. Ausstieg in Fahrtrichtung links“. Ein paar Gestalten begeben sich zur Zugtür, über einigen Fahrgastköpfen flammen Fragezeichen auf. Sie lassen vermuten: Hier steigt niemand aus, der hier nicht aussteigen muss. Das ehemalige Beamtenviertel am Essener Nordwestrand ist ergraut, nicht wenige Eisenbahnerwohnungen stehen leer und wenig einladend in der Gegend 'rum. Dabei kann Dellwig mit gleich zwei Bahnhöfen auftrumpfen. Der geballten Infrastruktur nach zu urteilen, muss hier also irgendwo der Bär steppen, und wenn schon nicht in der Steppe hinter der Mauer, wo denn dann? Vielleicht im Wald?
Hagedorn-Denkmal
Droben auf dem Reuenberg prangt eines dieser Schlupflöcher, durch das man in den grünen Hort gelangt. An der Haltestelle Hagedornstein (Buslinie 143) begrüßt uns das gleichnamige Denkmal, das dem Borbecker Heimatdichter Hermann Hagedorn gewidmet ist. Läuft man links an ihm und den Häusern vorbei, leistet ein paar hundert Meter weiter ein Gebüsch dem Spaziergänger Gesellschaft. Hier ist zunächst der örtliche Kleingartenverein zu bestaunen, bevor es zum Steenkamp Hof geht. Laut Balkeninschrift wurde das Fachwerkhaus im Jahr 1786 gezimmert, heute steht es unter Denkmalschutz. Doch um sich in alte Zeiten zu stürzen, kann man auch einfach weiterwandern. Am besten, man erkundet die Natur auf eigene Faust, verlaufen kann man sich nun wirklich nicht. Denn egal, für welchen Weg man sich entscheidet: Grün folgt auf Grün, ab und zu hört man das Zwitschern eines Baches und beneidet die wenigen Glücklichen, die das Barchembachtal ihr Zuhause nennen. Barchem kommt von Bergheim, ein Heim auf dem Hügel, und was gibt’s Schöneres?
Naherholung in Oberfrintrop
Aber aus der Wildnis blitzt immer wieder ein bisschen Zivilisation hervor, alle Wege münden früher oder später im altbewährten Häusergrau, ganz ohne Abschiedskuss. Der Reuenberg ist also nicht das einzige Portal, das uns zu Wäldern und Feldern bringt. Auch das benachbarte Oberfrintrop bietet ein Zuhause für Naherholungs-Junkies. Hinter den Läden auf der Frintroper Straße öffnet sich die Landschaft in einem Teppich aus Feldern, im Sommer warten hier Erdbeeren darauf, aus dem Boden gerupft zu werden. Entweder man hält sich rechts und verschwindet im Wald, oder man läuft immer der Nase nach, eine Straße durchschneidet die Äcker und verdichtet sich an manchen Punkten zu Aussichtsposten, von denen aus man das Emschertal überblicken kann. Am Fuße des Donnerbergs gestrandet, fällt man schließlich wieder aus der Fruchtblase heraus, doch man kann immer wieder in sie hinein, und irgendwann weiß man, wo die Schleichwege liegen, die den Blick und die Lungen mit Weite füllen, irgendwann hat man sein Lieblingsschlupfloch gefunden.
Das Barchembachtal hat die Zeit der Zechen und zwei Weltkriege überlebt. Was soll jetzt noch kommen? Für alle Fälle stehen an eigenen Stellen schon Schilder Spalier, deren Aufschrift „Landschaftsschutzgebiet“ eine rosige Zukunft verspricht. Niemand hat die Absicht, diese grünen Gefilde zugrunde zu richten. Hat es damit zu tun, dass den meisten Schildern keine langen Nasen wachsen, oder warum glaube ich ganz fest daran, dass sie die Wahrheit sagen?
Anfahrt:
Man nimmt z.B. die S-Bahnlinie S9 bis Essen-Dellwig Ost. Unten auf dem Gehweg angekommen, wendet man sich nach links, läuft auf die Trinkhalle zu und immer geradeaus bis zur dritten Straße links (Donnerberg). Von hier aus geht es nach oben und direkt zu den Feldern, links gibt es dort an einigen Stellen Zugänge zum Wald. Die S2 fährt leider bis Anfang September nicht,
sonst steigt man aus ihr am Bahnhof Essen-Dellwig aus, überquert die Donnerstraße und findet sich ebenfalls am Donnerberg wieder.
Auch als Frintroper kommt man leicht in die Natur. Einfach die Straßenbahnlinie 105 bis zur Frintroper Höhe nehmen. Hier Richtung Wasserturm laufen, immer links an der Frintroper Straße entlang, und links in die Schloßstraße einbiegen.
Wer lieber direkt im Wald verschwinden will, erklimmt den Reuenberg oder nimmt dazu die Buslinie 143 bis Hagedornstein. Hinter den Läden auf der rechten Seite beginnt das große Grün.
Autor:Julian Brock aus Essen-Borbeck |
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