Der Bypass des Ruhrgebiets – Spätsommerspaß am Rhein-Herne-Kanal
2014 wird die künstliche Wasserstraße 100 Jahre alt, täglich befahren ihn Schiffe mit den verschiedensten Waren. Doch mittlerweile beanspruchen auch Wochenendausflügler die Ufer des Rhein-Herne-Kanals.
Es war einmal eine borstige Bisamratte, die einem törichten Schwimmer in den Hintern biss.
Am Rhein-Herne Kanal kennt dieses Märchen jedes Kind, oder zumindest so ähnlich. Nun, Wasserratten gibt es hier zuhauf, bei gutem Wetter sogar hunderte, doch nicht alle sind auch rattenscharf.
Auch die traurige Geschichte des bitterblöden Brückenspringers, der die Wassertiefe nicht richtig einschätzen konnte und seine bohrende Langeweile gegen eine bohrende Eisenstange eintauschte, kursiert unter den Kanal-Anwohnern.
Und dann gibt’s da noch die Legende von den unerschrockenen Muskelprotzen, die mit den „Pötten“ um die Wette schwammen. So mancher soll dabei in den Sog einer Schiffschraube geraten sein. Wie muss man sich das vorstellen? Zuerst wird man in tausend Stücke zerhäckselt, und dann ertrinkt man, so muss man sich das vorstellen.
Vor- und Nachteile eines Industriegewässers
Bissiges Schwimmgetier, Brückenspringer am Spieß und blindwütige Schiffspropeller – Spaß klingt anders, und doch tummeln sich bei Sonnenschein Dutzende Balkonien-Urlauber im trüben Nass. Das Baden im Kanal ist streng verboten, also gang und gäbe, und auch ich kann nach all den Horrorgeschichten nur eines sagen: Das Wasser ist nun mal verdammt erfrischend.
Im Gegensatz zu Flüssen gibt es hier keine Strömung, oder immer nur ein bisschen: Je nachdem, welche Schleuse gerade einem der großen Schiffe Einlass gewährt, und sieht man eins, nimmt man lieber schnell die Beine in die Hand, auch wenn das beim Schwimmen nicht allzu viel bringt. Auch den vielen Anglern nach zu urteilen, scheint das Wasser sauberer zu sein, als sein Ruf, oder angeln die hier etwa Ratten und Kakerlaken? Wer weiß, vielleicht machen die sich frittiert gar nicht so schlecht, leckerer als aufgespießte Brückenspringer allemal. Ich bin jedenfalls raus, ich bin auf dem Weg zum Vegetarier, aber auch die Algen sehen nicht wirklich wohlschmeckend aus.
Nein, jeder muss selbst wissen, ob er seinen Körper diesem geheimnisvollen Gebräu anvetraut, das sich zäh und breit von Datteln bis nach Duisburg zieht. Anno 1912 von der Königlichen Kanalbaudirektion zur Überbrückung großer Distanzen in Auftrag gegeben, bietet das Gewässer heute königliche Naherholung für Fahrradfahrer, Jogger, Spaziergänger, Sonnenanbeter, streng verbotene Schwimmer und erfrischungssuchende Hunde.
Der Prototyp aller Köttelbecken: die Emscher
Und wem eine künstliche Wasserstraße zu unnatürlich ist, der geht eben ein paar hundert Meter weiter, zur Emscher...Moment mal, die Emscher, ist die nicht total verschmutzt? Die Emscher ist nicht verschmutzt, nein, die Emscher ist die schwimmende Pest, die flüssige Cholera und das nasse Verderben, wer hier reinfällt, kann sich glücklich schätzen, wenn er gleich ertrinkt und nicht als lebendig verfaulendes Seuchenwrack wieder rausgezogen wird. Der Todesfluss soll in den nächsten Jahren renaturiert werden, mit Fischen und Enten und allem Pipapo, aber bis dahin ist wohl noch viel Scheiße die Emscher runtergelaufen.
Ob Kanal, Emscher oder Regenpfütze: Das Ruhrgebiet wimmelt vor spannenden Gewässern, die auf mutige Entdecker warten, und so lange man nicht von Brücken springt, mit Schiffschrauben flirtet oder sich von Wasserratten beißen lässt, wird bestimmt auch alles gut.
Autor:Julian Brock aus Essen-Borbeck |
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