Eine flüchtige Begegnung

In einer Tasche das ganze Leben

In der Fußgängerzone, Ecke Marktstraße, da steht er. Ein junger Mann, keine 30, Jeans, eine kompakte Tasche in der Hand und blickt sich suchend um.

Die Passanten eilen an ihm vorbei und verlangsamen danach wieder ihren Schritt. Ich habe heute Zeit, bin seit langem mal wieder in der Fußgängerzone, die Sonne scheint. Meine Welt ist in Ordnung.

Eine dunkle Stimme in meinem Kopf: „Lass Dich nicht ansprechen, mach es wie alle. Du weißt doch, wie viele Trickbetrüger es gibt. Pass auf!“ Kopf an Füße – schneller werden! Aber da haben sich unsere Blicke schon getroffen, ich lächle. Er sieht recht verloren aus.
Kopf an Mund – sofort das Lächeln einstellen. Füße, seid ihr noch da? Tempo!

Aber da kommt sie schon, die Frage: „Kennen Sie sich hier aus?“ „Nein, nicht wirklich.“ Super Antwort – schnell weiter – aber da meldet sich eine helle Stelle in mir: „Hey, was soll das denn jetzt? Erinnerst Du Dich vielleicht daran, wann Du zuletzt nach dem Weg gefragt hast? Wie ging es Dir damals?“
In Gedanken antworte ich: „ Ja, vor ein paar Tagen in Düsseldorf. Endlich hatte ich einen Parkplatz, aber aufgrund der Baustellen leicht die Orientierung verloren. Und nur noch 10 Minuten Zeit um pünktlich das Unternehmen zu finden. Klar, war ich froh, als mir jemand die Abkürzung durch das Kaufhaus zeigte. Aber das war Düsseldorf und wir trugen beide Business-Look….“

Während ich noch mit mir diskutiere, hat bereits mein Kopf entschieden und ich höre mich fragen: „Wo wollen Sie denn hin? Vielleicht weiß ich es.“ Er antwortet: „Zur Sparkasse“. Ich bin erleichtert: „Das ist einfach, da muss ich auch dran vorbei. Kommen Sie mit!“ – die helle Stimme: „Siehste, geht doch!“ - die dunkle Stimme: „Das ist jetzt nicht Dein Ernst, warum erklärst Du ihm nicht einfach den Weg?!“

Das ist mein Leben

Ich ignoriere die beiden und unterhalte mich statt dessen mit dem jungen Mann: „Von wo kommen Sie?“ „Nur aus Gevelsberg, aber ich war echt noch nie in Ennepetal.“
Ich blicke auf seine Tasche und frage lachend: „Sie haben jetzt aber nicht vor, die Sparkasse zu überfallen? Ihre Tasche irritiert mich ein bisschen.“ Er lacht: „Nein, aber jetzt lachen wir darüber. Vor ein paar Jahren habe ich im Sauerland gewohnt und war bei einem Überfall dabei. Das war nicht so toll.“ Die helle Stimme: „Musstest Du das jetzt fragen?“
Bevor ich mich rechtfertigen kann, spricht er weiter: „Nein, ich bin obdachlos.“ „Oh, dann ist das Ihr ganzer Hausrat?“ – die helle Stimme „Erst denken, dann reden! Wie oft soll ich Dir das noch sagen?“ – aber er antwortet sofort: „Nein, das ist mein ganzes Leben.“

Puhh – jetzt bin ich sprachlos. Das hätte ich nicht gedacht. Ich bin doch hier in Ennepetal. Er sagt das so locker, so selbstverständlich; aber es ist hart. Meine Gedanken fangen an zu arbeiten, wie war sein Leben, was hätte ich alles in einer Tasche, was ist mir wichtig, was brauche ich wirklich, was würde ich die ganze Zeit mit mir tragen, …

Wir erreichen die Sparkasse – er sagt beim Abschied: „Vielleicht komme ich in 3 bis 4 Tagen endlich aus der Obdachlosigkeit heraus. Hoffentlich…“ Wir wünschen uns beide alles Gute für den weiteren Weg und ich drücke ihm ganz ganz kräftig die Daumen.

Toi, toi, toi!

P.S.: Für das Foto hat sich meine Sporttasche zur Verfügung gestellt. Sie ist größer als seine, ich bin auch älter als er. Aber käme ich damit aus?

Autor:

Heike Büchsenschütz aus Schwelm

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