Gleichstellung: „Wir sind noch lange nicht am Ziel“
Fragen an die neue Gleichstellungsbeauftragte in Ennepetal, Nina Däumig
Seit dem 1. Oktober 2020, hat Ennepetal eine neue Gleichstellungsbeauftragte, Nina Däumig, die sich nun im WAP-Interview unseren Fragen stellt.
Wie würden Sie es sehen - Gleichstellung oder Gleichbehandlung? Gleichstellung als Herstellung zur Chancengerechtigkeit oder Gleichbehandlung in allen Dingen?
Beide Begrifflichkeiten sind einzeln für mich wichtig und sind es wert differenziert betrachtet zu werden. Das Gleichstellungskonzept ist ein emanzipatorischer Ansatz, der durch politische Maßnahmen aber auch durch Vorgaben versucht, Benachteiligungen zu korrigieren, die sich durch die Gesellschaft nicht selbständig regulieren. Chancengleichheit dadurch? Durch Quoten? Ja, vielleicht braucht es das! Gleiche Behandlung als Instrument zur Chancengleichheit heißt für mich, unabhängig von Geburt und Herkunft die gleichen Möglichkeiten zu erhalten, sich in alle gewählten Richtungen zu entwickeln. Idealerweise können Menschen dadurch in unserer Gesellschaft alles erreichen, was sie sich persönlich wünschen. Leider sind wir von diesen Idealen noch entfernt und müssen weiter daran arbeiten. Aus meiner Sicht ist eine Kombination der Maßnahmen das wirkungsvollste Instrument.
In den achtziger Jahren fing es in der Politik mit dem Begriff Frauenbeauftragte an. Haben die Gleichstellungsbeauftragten als Zielgruppe der Gleichstellung jetzt Männer und Frauen im Blick?
Weiterhin sind Frauen in vielen Bereichen benachteiligt. Sorgearbeit wird immer noch, sowohl im Bereich der Familie, als auch der Pflege von Angehörigen größtenteils von Frauen übernommen. Der Wiedereinstieg in den Beruf ist für Frauen immer noch eine große Hürde, Minijobs und Teilzeitarbeitsplätze werden überwiegend von Frauen genutzt. Führungspositionen und wichtige Gremien sind immer noch nicht paritätisch besetzt, obwohl viele repräsentative Studien sehr umfangreiche Aussagen über die wirksame Zusammenarbeit der Geschlechter veröffentlicht haben.
Gleichstellung heißt für mich: Gleichstellung der Geschlechter! Der Einsatz für Benachteiligte in benachteiligten Bereichen. Ich freue mich sehr über Entwicklungen, dass vermehrt Männer Sorgearbeit für ihre Kinder übernehmen und damit stückweise feste Rollenzuweisungen immer mehr aufgebrochen werden.
Welche Möglichkeiten haben Sie, Ihrer Zielgruppe zu begegnen? Wie ist eine Begegnung in der Pandemie überhaupt möglich?
Mein Einstieg im Oktober erfolgte zeitgleich mit der zweiten Corona-Pandemie-Welle und der Kontaktminimierung. Dadurch habe ich mich zunächst auf die interne Arbeit bei der Stadtverwaltung fokussiert und konnte mich konzentriert einarbeiten. Mit Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt zu treten ist aktuell sehr viel schwieriger. Telefonisch oder per Mail bin ich erreichbar. Mit den bestehenden Arbeitskreisen trete ich per Videokonferenz in Kontakt und nehme so an allen wichtigen Arbeitsgruppen teil. Aber der persönliche Kontakt fehlt mir doch sehr, um die Frauen mit ihren Wünschen, Bedürfnissen und/oder Problemen besser wahrnehmen zu können.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte haben Sie bei Ihrer Arbeit in Ennepetal? Häusliche Gewalt? Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Beziehungsarbeit?
Der Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sozusagen „mein Heimathafen“. Selbstverständlich behalte ich diesen Schwerpunkt für meine zukünftige Arbeit im Blick, weil ich weiß, dass die Familien- und Sorgearbeit und die parallelen beruflichen Herausforderungen für sehr viele Frauen eine große Hürde darstellen. Gute Kinderbetreuung, innovative Arbeitszeitmodelle und gesellschaftliche Unterstützung sind der Schlüssel, um eine gute Balance zu finden. Das Thema häusliche Gewalt liegt mir besonders am Herzen. Gewaltfrei leben ist ein Grundrecht aller Menschen. Ich habe mich immer schon schwerpunktmäßig in diesem Bereich engagiert, zuvor mit dem Blick auf die Kinder, aber auch auf die gesamte Familiensituation und möchte dies auch weiterhin gerne tun. Ich befürchte, dass es zukünftig noch notwendiger sein wird als zuvor. In Ennepetal existiert ein gut funktionierendes Frauennetzwerk. Gerne möchte ich dieses Netzwerk weiter unterstützen und ausbauen. Außerdem bin ich sehr daran interessiert, mich an Projekten und Angeboten des Netzwerks der Gleichstellungsbeauftragten des Ennepe-Ruhr-Kreises zu beteiligen und damit gemeinschaftlich unsere Arbeit zu intensivieren.
Sprache erzeugt Bilder. Wie wichtig ist die gendergerechte Sprache?
Sprache ist der Schlüssel zur Welt! Sprache erzeugt Bilder und lässt uns teilhaben an gesellschaftlichen Abläufen und Prozessen. Gendergerechte Sprache gehört für mich als elementarer Baustein zur allgemeinen Gleichstellungsarbeit dazu. Die Umstellung und Aneignung neuer sprachlicher Möglichkeiten fällt den Menschen zurzeit schwer, aber zukünftig wachsen Kinder mit dieser selbstverständlichen Sprache auf und sagen ARZT, wenn sie ARZT meinen und ÄRZTIN, wenn sie ÄRZTIN meinen!
Frauen verdienen weniger Geld, bekommen weniger Rente, sind in vielen Berufen unterrepräsentiert und tragen zum großen Teil die Last von Familie und Beruf. Wie können Sie daran aus Ihrer Funktion heraus etwas ändern?
Zum einen versuche ich immer vorbildlich voran zu gehen. Ich selbst vereinbare seit langer Zeit Familie und Beruf hervorragend. Einerseits durch gute Kinderbetreuungsmodelle, andererseits durch die sehr gute Unterstützung meines Arbeitgebers. Die Stadt Ennepetal verhält sich dabei seit Jahren vorbildlich. Andererseits durch gezielte Unterstützungsangebote, persönlichen Einsatz, individuelle Beratungs- und Vermittlungsmöglichkeiten. Netzwerke der Gleichstellungsbeauftragten des Landes und des Bundes tragen viele dieser Probleme in den politischen Raum, um an geeigneter Stelle Bewegungen zu erreichen.
Brauchen Gleichstellungsbeauftragte einen langen Atem, um in Ihrer Arbeit wahrgenommen oder ernstgenommen zu werden?
Ich denke ja. Die erzielten Erfolge der letzten Jahrzehnte sind groß, aber man merkt an vielen Ecken und Enden, dass wir lange noch nicht am Ziel sind.
Mit Ihrer Erfahrung in der Leitung eines Familienzentrums und beim Projekt Mehrgenerationenhaus haben Sie Frauen im klassischen Umfeld erlebt. Jetzt haben Sie eine Serie mit ungewöhnlichen Frauenberufen ins Leben gerufen – mit welchem Ziel?
Die Stadt Ennepetal beschäftigt viele unterschiedliche Menschen in unterschiedlichsten Berufsgruppen. Frauen arbeiten engagiert in männerdominierten Bereichen und ich möchte für diese Bereiche werben. Wenn Mädchen irgendwann automatisch sagen: „Ich möchte später einmal Feuerwehrfrau werden!“, dann sind wir einen riesigen Schritt weiter. In Kindertageseinrichtungen und dem OGS Betrieb an Schulen ist es umgekehrt. Ein Bereich, in dem sehr viele Frauen arbeiten und Männer immer dringend gesucht werden. Ziel soll sein, Frauen für diese Berufsfelder zu begeistern, Mut zu machen und aufzuzeigen, dass Frauen heutzutage ALLES werden können.
Sie sind gerne als Sportlerin unterwegs, sind sogar Marathon gelaufen. Ohne Disziplin, Ausdauer, gesunde Ernährung, Freude an Bewegung wäre dies wohl kaum möglich gewesen. Gute Eigenschaften auch für den Job?
Ja, Sport ist für mich ein Ausgleich zum beruflichen Alltag. Ich habe den Bereich des Triathlonsports hinter mir gelassen, da das Training viel persönliche Zeit eingenommen hat. Jetzt laufe ich ausschließlich. Das reicht mir. Ich würde mich selbst als disziplinierten, zähen, engagierten, emphatischen, ehrlichen und freundlichen Menschen bezeichnen. Ich glaube, gute Voraussetzungen für diesen Job.
Wo könnte Nina Däumig in zehn Jahren stehen? Und was hat die Gleichstellung in Ennepetal in zehn Jahren erreicht?
Ich weiß es nicht! Ich bin schon immer offen gewesen für Veränderungen in meinem Leben. Ich freue mich jetzt erst einmal, einen neuen beruflichen Weg eingeschlagen zu haben und bin damit sehr zufrieden, da die Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte für mich auch eine persönliche Herzensstelle ist. Ich denke, dass wir in Ennepetal sehr viel in den kommenden Jahren im Bereich der Gleichstellung erreichen werden. Meine Vorgängerinnen haben schon hervorragende Arbeit geleistet und ich möchte mich daran gerne anschließen. Vor allem Bürgermeisterin Imke Heymann treibt die interne und externe Gleichstellungsarbeit in unserer Stadt schon seit Jahren voran. Frauen in ihrer Entwicklung zu unterstützen, Führungspositionen innerhalb der Verwaltung paritätisch zu besetzen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung anzubieten, sind nur einige der relevanten Themengebiete. Imke Heymann hat mir zugesichert, dass ich auch zukünftig auf gute Unterstützung, intensive Zusammenarbeit und Rückhalt für gleichstellungsrelevante Themen zählen kann.
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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