Schausteller Andreas Alexius schlägt Alarm
"Lasst uns endlich wieder arbeiten"
Der Ennepetaler Andreas Alexius (48), der vor 25 Jahren in eine Schaustellerfamilie einheiratete und als Quereinsteiger diese Branche kennen und lieben lernte, hat viel Berufserfahrung gesammelt. Mittlerweile ist der umtriebige Schausteller mit und für seine Ideen fast schon berühmt. Und er ist bekannt dafür, dass er auf den Punkt bringt, was Sache ist. „Für die Schausteller ist es nicht mehr fünf vor zwölf sondern zwei Uhr“, sagt er über die fehlenden Perspektiven in seinem Beruf und schlägt Alarm. Und das hat nicht nur etwas mit den aktuell immer noch nicht erlaubten Veranstaltungen zu tun.
Die beschlossene Bundesnotbremse soll spätestens am 30. Juni auslaufen. Geben die Inzidenzzahlen es her, darf aber schon vorher gelockert und geöffnet werden. Immerhin werden immer mehr Menschen geimpft – auch im Ennepe-Ruhr-Kreis haben rund ein Drittel der 325.000 Bürger und Bürgerinnen bereits eine Erstimpfung erhalten. Täglich werden es mehr. Hinzu kommen diejenigen, die von ihrer Erkrankung, die bis zu einem halben Jahr zurückliegt, als genesen gelten. Dritte im Bunde sind die tagesaktuell negativ getesteten Personen. Vor dem Hintergrund dieser Fakten kann Andreas Alexius genauso wenig wie seine Schaustellerkollegen nachvollziehen, warum Veranstaltungen wie temporäre Freizeitparks nicht durchführbar sind. „Wir haben im letzten Jahr, wo wir all das noch nicht hatten, zig Veranstaltungen open air mit einem Hygienekonzept durchgeführt. Wir können nachweisen, dass es keine Infektionen gegeben hat. In Gevelsberg sind wir mit dem Sommerfeeling an den Start gegangen, obwohl man aufgrund von Corona-Infektionen damals sogar eine Schule schließen musste. Trotzdem ist bei uns nichts passiert. In jeder großen Fußgängerzone laufen alle Menschen – Geimpfte, Getestete, Genesene und Ungeimpfte und Ungetestete – nebeneinander her. Aber in einem abgegrenzten Bereich mit Einlasskontrolle und Hygienekonzept und sogar der Möglichkeiten, Testungen noch vor Ort vorzunehmen, darf privates Vergnügen nicht stattfinden? Das kann doch keiner mehr verstehen.“
Andreas Alexius hat schon im letzten Jahr ein Veranstaltungskonzept vorgelegt und sich auch schützen lassen. Es ist entstanden als Grundkonzept, dass individuell je nach Ort angepasst werden kann. Auch andere Bundesländer klopften damals bei ihm bereits an die Tür und fragten das Konzept an. Alexius macht keinen Hehl daraus, dass ihn viele Dinge maßlos ärgern – damals wie heute. „Die Bürokratie kann einen in den Wahnsinn treiben“, sagt er. Ist eine Fläche bereits als Veranstaltungsfläche ausgewiesen, ist die Genehmigung unproblematischer. Ist sie es nicht, muss ein Bauantrag gestellt werden und das von einem Architekten. Monatelange Wartezeiten inklusive. „Und das ist nur ein Beispiel“, sagt Alexius. Er verweist darauf, dass viele seiner Kollegen mittlerweile andere Arbeiten verrichten, um sich und die Familien über Wasser zu halten. „Die sogenannten Überbrückungshilfen für Soloselbständige mögen ja helfen, den Betrieb irgendwie zu halten. Aber das Geld darf ja nicht für den Lebensunterhalt genutzt werden. Doch wenn keine Einnahmen vorhanden sind, wie soll das dann gehen? Also muss man sich irgendwas suchen.“
"Man gibt uns keine Perspektive"
Alexius kennt viele Schausteller, die sich für ihr eigenes Fahrgeschäft interessieren, aber eben nicht für den Aufbau und die Planung der gesamten Veranstaltung. Er geht seit vielen Jahren einen anderen Weg. „Ich habe jetzt bei der IHK eine Weiterbildung gemacht und ich kann ab 1. August zum Veranstaltungskaufmann ausbilden. Das macht jetzt auch erstmal mein jüngerer Sohn. Ich will ihm nicht nur das praktische berufliche Wissen aus meinen ganzen Jahren der Berufserfahrung vermitteln, sondern ihm auch eine gesicherte Qualifikation an die Hand geben. Die Menschen, die mit ihren eigenen Fähigkeiten zusätzlich ehrenamtlich mal eben ein Sommerfest organisierten und wussten, was man dafür alles machen muss, die gibt es nicht mehr. Und wir Schausteller brauchen zunehmend zum eigenen Geschäft Kenntnisse über den Aufbau der kompletten Veranstaltung. Wir können uns doch gar nicht mehr weiterentwickeln. Wenn wir früher neue Ideen mit Fahrgeschäften hatten, dann war es möglich, mit einem Finanzkonzept zur Bank zu gehen und wenn das Konzept gut war, dann gab es auch den Kredit. Immerhin wusste die Bank, dass die zukünftigen Veranstaltungen für den Schausteller das Geld einbringen würde. Wer soll uns noch Geld leihen? Jetzt heißt es doch in Zukunft – ja, damals, 2020 und 2021, die Pandemie. Das kann ja jederzeit wieder passieren und dann gibt es keine Einnahmen. Und damit keine Sicherheit. Und damit kein Geld. Man hat uns nicht nur die berufliche Perspektive genommen, sondern auch den Wert unseres Besitzes. Wir besitzen nur noch den reinen Materialwert unserer Fahrgeschäfte, mehr nicht.“
Niemand, so Alexius, könne seit nunmehr 1 ½ Jahren von Betriebsreserven leben. „Nicht in unserem Gewerbe. Und selbst die temporären Freizeitparks waren aus betriebswirtschaftlicher Sicht natürlich nicht mit einer Kirmes im alten Stil zu vergleichen. Der ein oder andere, der Süßwaren verkauft oder einen Imbiss hat, steht jetzt mit seinem Wagen an einem See oder irgendwo. Viele andere arbeiten irgendwas, um zu überleben. “ Auch weitere alternative Möglichkeiten für die Nutzung der Fahrgeschäfte für nur eine Familie fanden keine Genehmigung. Zwar muss man sein Fahrgeschäft wegen der fälligen TÜV-Abnahme auf dem Betriebsgelände aufbauen, aber eine Vermietung an eine Familie für jeweils eine Stunde Freizeitspaß und anschließender Desinfektion ist in Pandemie-Zeiten nicht erlaubt. Dabei sind gerade Schausteller Meister im Erfinden und Durchführen praktikabler Alternativen. „Wir setzen in zwei Tagen Dimensionen ganzer Kleinstädte um“, so Alexius. Doch das Wissen nützt ihm aktuell nichts.
Andreas Alexius ist ein Aushängeschild seiner Branche und das kommt nicht nur ihm zugute „Ich kenne einfach viele Menschen, auch in verantwortlichen Positionen. Und alle wissen, dass mein Wort gilt und ich mir wirklich Gedanken mache. Deshalb öffnen sich mir auch die Türen, obwohl mich manche Menschen sicher lieber von hinten als von vorne sehen. Ich bin da schon hartnäckig und kann auch mal laut werden“, gibt er unumwunden zu. Deshalb stellt er sich mit seinen Forderungen auch in den Wind. „Wir wollen wieder loslegen – weil wir müssen, weil wir können, weil unsere Veranstaltungen sicher sind.“
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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