Strukturwandel kann man hören: Richard Ortmann sammelt Geräusche

Richard Ortmann hat in über 30 Jahren ein Geräuschearchiv mit teilweise verlorenen Klängen angelegt. | Foto: Schmitz
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  • Richard Ortmann hat in über 30 Jahren ein Geräuschearchiv mit teilweise verlorenen Klängen angelegt.
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Ob Klänge in einem Bergwerk, Fabriklärm oder Sprengungen - viele Töne drohen langsam aber allmählich zu verschwinden, meist für immer. Der Neuasselner Richard Ortmann richtet für diese Laute ein Geräusche­archiv ein. Über 60 Stunden hat er so schon bewahrt.

Seit 1981 sammelt Ortmann Klänge. Ortmann war in den 80ern oft für die Hörspiel-Redaktion des WDR unterwegs. Im Zuge dessen nahm er in einer Hinterhofwerkstatt in der Dortmunder Nordstadt Geräusche auf. Einige Monate später wollte er die Klänge für seine Musik nutzen, musste aber feststellen, dass an der Stelle auf dem Band ein so genannter Durchkopierer war; die Geräusche waren nicht mehr zu benutzen. „Als ich für eine erneute Aufnahme wieder zu der Firma fuhr, musste ich feststellen, dass sie gar nicht mehr existierte. Stattdessen wurden dort Wohnungen eingerichtet. Da wurde mir klar, dass sich die Geräuschelandschaft immer weiter verändert“, so Ortmann. „Den Strukturwandel kann man hören.

Nicht nur in der Arbeitswelt, auch in Wohngebieten ist  dies schon eingetroffen. „Viele Klänge verschwinden oder werden bald verschwunden sein.“ Ein Beispiel ist das Zechensterben. „Da hab ich mir gesagt: Jetzt musst du das alles aufnehmen, bevor die das abstellen“, erinnert er sich.

Seine Klänge unterteilt der Geräuscharchivar Richard Ortmann die Kategorien Living Sounds (lebende Klänge), Danger Sounds (gefährdete Klänge) und Lost Sounds (verlorene Klänge). „Ich bin bereits bei den Lost Sounds angekommen.“ Auch diese versucht er zu bewahren. So stellt er verlorene Klänge mit den unterschiedlichsten Mitteln wie Staubsaugern oder Hämmern nach, verfremdet sie am PC und spielt sie dann Experten wie etwa ehemaligen Bergleuten vor. „Dann verfeinere ich die Sounds nach deren Beurteilungen.“

Früher war er etwa einmal im Monat unterwegs, um neue Klänge aufzuzeichnen. Oft war er vor Sprengeungen im Einsatz etwa bei der Hörder Fackel, oder als im Sauerland eine Wassermühle abgerissen wurde. „Mittlerweile habe ich aber fast alles, so dass ich nur noch zwei- bis dreimal im Jahr unterwegs bin.“
Angefangen hat Ortmann mit Tonbändern. „Mit denen konnte ich 90 bis 120 Minuten aufnehmen“, erzählt er. Zwei Koffer hat er mit den Bändern gefüllt. Im Laufe der Jahre ist er aber auch zu moderneren Speichermedien übergegangen. „Mittlerweile habe ich viel auf CD und auf Festplatte kopiert.“

Auf etwa 4.000 Minuten Sound kann er mittlerweile zurückgreifen. Die Länge ist dabei höchst unterschiedlich. „Manchmal nehme ich ganze Prozesse auf, wobei es auch passieren kann, dass ich mich einen Ton zu laut aufnehme. Wenn der erst zwei Stunden später wieder zu hören ist, stehe ich schon mal sechs Stunden in einer Fabrikhalle für eine Ausbeute von fünf Minuten.“
Die Klänge des 59-Jährigen sind sehr gefragt. Regelmäßig kommen Anfragen von der unterschiedlichsten Seiten. Oft hört er die Erklärung: „Wir haben zwar alte Fotos, aber nicht die passenden Sounds dazu.“ Vor allem Hörspielproduzenten und Theatermacher fragen regelmäßig an. Aber auch Universitäten melden sich regelmäßig bei ihm. Ein Student hat sogar seine Magisterarbeit über Klangforschung mit Ortmanns Hilfe verfasst.

Beim Anhören der Klangdateien entstehen Bilder im Kopf. Die Geräuschkulisse eines „Förderkorbes“ reicht von Klingeln über Zischen bis hin zu Wortfetzen verschiedener Unterhaltungen. „80-Jährige schwelgen auf meinen Vorträgen oft in Erinnerungen“, erzählt Ortmann. Deshalb werden seine Klänge auch für die Arbeit mit Demenzkranken genutzt.

Mit seiner Arbeit als Klangarchivar ist Ortmann aber keineswegs ausgelastet. „Nebenbei“ ist er auch noch als Musiker unterwegs. Anfang der 1980er-Jahre gründete er „Atemgold“, eine Blaskapelle, die im Gegensatz zu vielen anderen ähnlichen Gruppen keine Marschmusik spielt. „Wir spielen lieber Weltmusik, Grooves und Jazz“, erklärt er. Auch seine Klänge verwendet er des Öfteren, um die Musik zu untermalen.

Wer Lust auf mehr bekommen hat, kann sich auf seiner Homepage darüber informieren, wo seine Klänge zu hören sind.

Autor:

Tobias Weskamp aus Dortmund-Ost

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