Körne
Erhöhte PCB-Werte in Dortmund: Laut Stadt besteht "keine akute Beeinträchtigung der Gesundheit"
An der Hannöverschen Straße in Körne wurden bei Messungen im Umfeld einer Firma erhöhte PCB-Schadstoffwerte festgestellt.
Ihre Verantwortung für den Gesundheitsschutz hat die Stadt Dortmund nun dazu veranlasst, vorsorglich Empfehlungen für den Verzehr und den Nicht-Verzehr bestimmter Gemüse- und Obstsorten für einen lokal begrenzten Bereich in Körne auszusprechen, obwohl keine akute Beeinträchtigung der Gesundheit zu befürchten sei.
Damit kommt die Stadt einer Empfehlung des Landesamts für Natur, Umwelt- und Verbraucherschutz (LANUV) nach. Bei Messungen des LANUV im Umfeld der Firma M+S Silicon Gmbh & Co. KG in Körne sind aktuell erhöhte PCB-Werte festgestellt worden.
Auslöser war PCB-Fund in Ennepetal
Anlass war das Austreten von mit PCB (Polychlorierte Biphenyle) belasteten Flocken Ende 2019 bei einem Unternehmen in Ennepetal. Landesweit wurden 7 Unternehmen identifiziert, die ebenfalls Silikon-Produkte herstellen und dafür einen Prozess in Gang setzen, bei dem chlorhaltige „Vernetzer“ eingesetzt werden. Dabei kann PCB entstehen und über die Abluftkamine der Produktionsöfen freigesetzt werden.
Das Unternehmen M+S Silicon Gmbh & Co. KG in Körne gehört zu diesen Unternehmen. Dort werden von rund 160 Beschäftigten neben anderen Produkten auch silikonbasierte Bauelemente für Schienenfahrzeuge und medizinische Geräte hergestellt. Für diese Produkte war der Einsatz dieser Sorte Vernetzer bislang Standard.
Stadt wurde umgehend informiert
Die Stadt wurde umgehend (am 28. Mai 2020) über die Messwerte in Kenntnis gesetzt. Daraufhin hat die Stadt einen Sonderarbeitskreis unter Federführung des Umweltamtes ins Leben gerufen, um die Informationen und das weitere Vorgehen effektiv zu koordinieren. Auch das Unternehmen wurde eingebunden. Die Stadt sieht sich in der Vorsorgepflicht in Sachen Gesundheit und Umweltschutz. Die Information der Öffentlichkeit habe hier die oberste Priorität.
Die Messwerte beruhen auf der Untersuchung von Löwenzahl-Pflanzen. Die Ergebnisse haben erhöhte Werte ergeben. In Dortmund ist es nach vorliegenden Erkenntnissen (anders als in Ennepetal) nicht zur Flocken-Bildung und damit also nicht zu einer Konzentration von PCB gekommen. PCB ist jedoch in die Luft gelangt. Es sei auf diese Weise, je nach Wetterlage, allerdings stark bis sehr stark „verdünnt“ worden, so dass ein Risiko durch direktes Einatmen als äußerst unwahrscheinlich gilt.
PCB ist ein „flüchtiger Stoff“. Sein „Transportmittel“ über den Luftweg ist Staub, mit dem er in Berührung kommt und an den er sich anhaften kann. Die Löwenzahn-Gewächse wiederum sammeln das PCB (mit dem Staub) an der Blattoberfläche an.
Im Verdacht krebserregend zu sein
PCB zählt zu den Substanzen, die im Verdacht stehen krebserregend zu sein. Einen pflanzenbezogenen Grenzwert gibt es nicht, jedoch orientiert sich das Land NRW an dem sogenannten „Orientierungswert für den maximalen Hintergrundgehalt“ (OmH). Dieser Wert repräsentiert die überall in NRW ohnehin vorhandene Belastung.
Im Fokus der Untersuchungen standen die bei der Silikonkautschuk-Produktion typisch anfallenden PCB-Kongenere: PCB 47, 51 und 68. Kongenere sind chemische Verbindungen, die sich unterscheiden, aber in ihrer Grundstruktur ähnlich sind. Bei PCB sind mehr als 200 Kongenere bekannt. Die hier gemessenen Verbindungen (PCB 47, 51 und 68) sind erstmals durch den Fall in Ennepetal in den Fokus gerückt und nachgewiesen worden. Sie wurden zuvor bei standardisierten PCB-Untersuchungen generell nicht gezielt mituntersucht.
Drei Messpunkte
Die Löwenzahn-Probennahme ist für die Untersuchung an drei Messpunkten erfolgt. An zwei Stellen wird der OmH-Wert von 1,7 μg/kg (Mikrogramm pro Kilogramm) überschritten. Die Messungen ergaben hier Gehalte an „PCBgesamt“, die mit 13 μg/kg bzw. 4,8 μg/kg deutlich über dem Hintergrundwert liegen.
Die Messwerte am Löwenzahn sind lediglich ein Indikator dafür, dass es im Umfeld der Emissionsquelle lokal zu einer umweltrelevanten Schadstoffimmission gekommen ist. Ob die PCB-Immissionen gesundheitliche Auswirkungen haben können, lässt sich erst durch weitere Untersuchungen verlässlich einschätzen.
Weitere Untersuchungen
Um mehr Klarheit zu gewinnen und gleichzeitig die weitere Entwicklung im Blick zu behalten, werden diese zusätzlichen Untersuchungen jetzt angestoßen: Messungen der Luft, des Umgebungsstaubs und des Bodens. Auch weitergehende Nahrungspflanzen-Untersuchungen (Grünkohl) sind geplant, um die Immissionsbelastung und die gesundheitliche Relevanz besser verifizieren zu können. Ein genaues Untersuchungskonzept wird derzeit gemeinsam mit dem LANUV erarbeitet. Zum Grünkohl ist mit Ergebnissen allerdings frühestens im nächsten Jahr zu rechnen, was schlicht mit der Anbau- und Erntezeit, also dem natürlichen Jahreszyklus zusammenhängt.
Verzicht auf Gemüse aus dem Garten
Von den Menschen im direkten Umfeld sollten vorsorglich die Empfehlungen für den Anbau und Verzehr von Nutzpflanzen beachtet werden. Betroffen von den Empfehlungen sind die Pächter von Grundstücken in 4 Kleingartenanlagen rund um das Gewerbegebiet in Körne (GV Lenteninsel, GV Schwarzer Kamp, GV Nord-Ost, GV Frohes Schaffen) mit insgesamt rund 550 Parzellen – außerdem Pächter von Grabeland-Grundstücken sowie einzelne Gärten mit Nutzpflanzenanbau im angrenzenden Wohngebiet.
Konkret verzichtet werden sollte vorsorglich vor allem auf großblättriges Gemüse wie Grünkohl, Mangold, Spinat, Pflücksalat, Feldsalat, Rucola, Rübstiel, Staudensellerie und Kräuter in größeren Mengen.
Früchte und Gemüse, die sich gut waschen oder schälen lassen (Tomaten, Salatgurken, Äpfel, Birnen, Pflaumen, Erdbeeren, Kirschen, Beerenobst), können ohne Risiko gegessen werden. Auch Kopfsalat, Weiß- und Rotkohl sowie Blumenkohl sind kein Problem. Ebenfalls ohne Bedenken kann man Wurzel- und Knollengemüse (Möhren, Radieschen oder Kartoffeln) aus Eigenanbau auf den Tisch bringen.
Umstellung der Produktion
Die Zulieferteile für Medizinprodukte, die die Firma M+S Silicon herstellt, sind auf dem Markt zurzeit coronabedingt besonders nachgefragt. Medizinische Geräte und auch ihre Bestandteile unterliegen aufwändigen Zertifizierungsverfahren, die ihre Zeit benötigen. M+S Silicon hat dennoch sehr besonnen und besorgt auf die Untersuchungsergebnisse reagiert und bereits damit begonnen die Produktion schrittweise umzustellen.
Es gibt andere Vernetzer-Sorten, die beim Herstellungsprozess eingesetzt werden können. Bereits jetzt konnte das Unternehmen bei einem Drittel der Produktionsverfahren den chlorhaltigen Vernetzer durch eine chlorfreie Alternative ersetzen. In den nächsten 4 bis 6 Wochen wird die Umstellungsquote bei 50 Prozent liegen. Einige Herstellungsverfahren müssen zunächst eine neue Zertifizierung durchlaufen, bevor sie eingesetzt werden können.
Bis zum vierten Quartal 2020 soll die Umstellung nahezu vollständig abgeschlossen sein. Dies ist das Ziel des Unternehmens und auch das Interesse der Stadt.Zudem wird bereits ab Montag eine neue Filteranlage installiert. Dieser sogenannte Elektrofilter soll einen Großteil des PCB zurückhalten.
Unabhängig vom Ausgang der Untersuchungen sind auf Veranlassung der Bezirksregierung Arnsberg (Abteilung Arbeitsschutz) und der gUU imAuftrag der Firma M+S Silicon bereits zu Beginn des Jahres innerbetriebliche Feststoffproben entnommen und Emissionsmessungen angestellt worden. Betriebliche Arbeitsschutzmaßnahmen wurden optimiert und Reinigungs- und Abluftsysteme angepasst.
Weiterführende Info für Bürger
Die Stadt Dortmund wird zum Thema PCB in Körne umfangreiche Informationen auf ihrer Homepage zusammenstellen. Unter der leicht auffindbaren Kurz-Adresse „pcb-koerne.dortmund.de“ wird in der kommenden Woche auch eine Liste mit häufigen Fragen und Antworten zu finden sein, die kontinuierlich aktualisiert und ergänzt werden kann.
PCB-Bürgertelefone beim Gesundheitsamt (50 2 35 43 oder 50 2 35 93) und beim Umweltamt (50 2 26 03) bieten Antworten auf aufkommende Fragen zusätzlich in der Form des persönlichen Gesprächs an.
Info-Flyer auch auf türkisch
Außerdem ist ein Info-Flyer erstellt worden, der unter den Kleingärtnern, den Grabeland-Pächtern und Hausgarten-Besitzern verteilt wird und ebenfalls über die Homepage als Datei zum Download zur Verfügung steht. Dieser Flyer informiert zunächst auf Deutsch, liegt aber bald auch in türkischer Sprache vor, denn auf vielen Parzellen bauen auch türkische Mitbürgern ihr Gemüse und Obst an.
Sobald neue Erkenntnisse und Untersuchungsergebnisse vorliegen, wird die Öffentlichkeit von der Stadt Dortmund über die verschiedenen Wege informiert.
Autor:Holger Schmälzger aus Dortmund-Süd |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.