Ein Zwischenruf der Vernunft: Gabor Steingart analysiert im Handelsblatt die "Politik der Eskalation - Der Irrweg des Westens" - Ложный путь Запада

"Hätte der Westen die damalige US-Regierung, die ohne UNO-Beschluss und ohne Beweise für das Vorhandensein von "Massenvernichtungswaffen" im Irak einmarschierte, nach den gleichen Wertmaßstäben beurteilt wie heute Putin, wäre Georg W. Bush unverzüglich mit Einreiseverbote in die EU belegt worden. Die Auslandsinvestitionen von Warren Buffett hätte man einfrieren, den Export von Fahrzeugen der Marken GM, Ford & Chrysler untersagen müssen", so Gabor Steingart. (Titel Handelsblatt - Der Irrweg des Westens)
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  • "Hätte der Westen die damalige US-Regierung, die ohne UNO-Beschluss und ohne Beweise für das Vorhandensein von "Massenvernichtungswaffen" im Irak einmarschierte, nach den gleichen Wertmaßstäben beurteilt wie heute Putin, wäre Georg W. Bush unverzüglich mit Einreiseverbote in die EU belegt worden. Die Auslandsinvestitionen von Warren Buffett hätte man einfrieren, den Export von Fahrzeugen der Marken GM, Ford & Chrysler untersagen müssen", so Gabor Steingart. (Titel Handelsblatt - Der Irrweg des Westens)
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In der Wochenend-Printausgabe des Zentralorgans der deutschen Wirtschaft, dem Handelsblatt, analysiert Gabor Steingart, der langjährige Chefredakteur des Blattes und derzeitiges Mitglied der vierköpfigen Geschäftsführung der Verlagsgruppe Handelsblatt, unter der Überschrift "Politik der Eskalation - Der Irrweg des Westens" das aktuelle Desaster der Beziehungen von EU, USA und Rußland und ruft zu mehr Realismus auf. Auch kritisiert er massiv die verbale Mobilmachung in den deutschen Medien und zieht Vergleiche mit der erfolgreichen Entspannungspolitik Willy Brandts.

Steingarts Einstieg ist zünftig: "Die Regierung und viele Medien haben angesichts der Ereignisse in der Ukraine von besonnen auf erregt umgeschaltet. Das Meinungsspektrum wurde auf Schießschartengröße verengt. Die Politik der Eskalation verfolgt kein realistisches Ziel - und schadet deutschen Interessen."

Geistige Mobilmachung

Die sogenannten deutschen "Qualitätsmedien" von Faz über Südeutsche bis zum Spiegel, die er alle namentlich nennt, würden mit ihren unsäglichen Schlagzeilen wie "Stärke zeigen" (FAZ), "Jetzt oder nie" (Süddeutsche) oder "Ende der Feigheit" (Spiegel) letztlich zu einer "geistigen Mobilmachung" aufrufen. Westliche Politik und deutsche Medien seien eins. Mit dieser Einschätzung steht Steingart sicherlich nicht allein. Am letzten Donnerstag gab es schon die erste Demonstration unter dem Motto "Stoppt die Kriegspropaganda – empört euch JETZT!" vor dem Spiegel-Gebäude in Hamburg.

Mehr Realismus statt Sanktionen

Des Weiteren fordert Steingart mehr Realismus ein. Der wohl wichtigste Punkt in seinem äußerst lesenswerten Beitrag, der auch in der Internetausgabe des Handelsblattes sowohl in deutscher, englischer als auch russischer Sprache veröffentlicht wurde.

Wer hat wen zuerst getäuscht?

Die kindliche Eskalationsspirale, wer denn nun angefangen habe, in Form von folgenden Fragen, möge wegen Aussichtslosigkeit beendet werden:
-Wer hat wen zuerst getäuscht?
-Begann alles mit dem russischen Einmarsch auf der Krim oder hat der Westen zuvor die Destabilisierung der Ukraine befördert?
-Will Russland nach Westen expandieren oder die Nato nach Osten?
-Oder sind sich hier womöglich zwei Weltmächte des Nachts an derselben Haustür begegnet, getrieben von sehr ähnlichen Beherrschungsabsichten gegenüber einem wehrlosen Dritten, der den nun entstandenen Schlamassel mit einer Vorform des Bürgerkriegs bezahlt?
Man möge die Fakten der Situation anerkennen und im Geiste der Ostpolitik Willy Brandts den Status quo anerkennen, um diesen zu verändern.

Entspannungspolitik & Modernisierungspartnerschaft

Deutlich unterstreicht Steingart auch die unterschiedlichen Interessen Europas, speziell Deutschlands auf der einen Seite und denen der USA auf der anderen Seite. "Die Realitäten sind weder von den Deutschen gewollt noch herbeigeführt, aber es sind jetzt unsere Realitäten."

"Die amerikanische Neigung zur verbalen und militärischen Eskalation hat sich nicht bewährt. Diese Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Politik und zwar immer an der Stelle, wo die Wand am dicksten ist, bringt Kopfschmerzen und sonst nicht viel", schlägt Steingart eine Rückbesinnung auf die Entspannungspolitik Brandts vor, die auf Ausgleich bedacht sein und Rußland eine Modernisierungspartnerschaft anbieten soll. Die deutschen Interessen in Osteuropa sind definitv andere, als die der US-Amerikaner, die mit einem "Tea-Party-Blick" auf Rußland schauen.

Die vorgeschlagene Modernisierungspartnerschaft zwischen Deutschland und Rußland wäre zukunftsweisend, da Rußland, das letztlich fast nur ein Energie exportierendes Wirtschaftsland ist, welches durch die Sanktionen tatsächlich zu einer Modifizierung der eigenen Wirtschaft gezwungen werden könnte. Die weltweiten Partner in Gestalt der anderen BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) stehen aber ebenso dafür bereit. Rußland ist keineswegs isoliert. Brasilien hat bereits angekündigt die Hühnerfleischmengen, die nun nicht mehr aus Europa importiert werden dürfen, dankend komplett zu liefern. Die asiatischen Fluglinien freuen sich über Überflugverbote für die Lufthansa, Air France und KLM, da diese nun längere Flugzeiten anbieten und Milliarden in mehr Kerosin pumpen müssen. Somit besticht Gabor Steingarts Analyse auch hier, dass "Rußland eine Energieweltmacht und zugleich ein industrielles Entwicklungsland ist" und "hier eine Politik des Ausgleichs und der gegenseitigen Interessen ansetzen müsste".

"Der Anspruch auf das Absolute bedroht den Menschen"

Gegen Ende des Artikels wird nochmals Willy Brandt zitiert: "Der Anspruch auf das Absolute bedroht den Menschen." Und angesichts des Beginns des Ersten Weltkrieges vor rund 100 Jahren schließt der Artikel mit "Den Umweg über die Schlachtfelder sollten wir im 21. Jahrhundert vermeiden. Geschichte muss sich nicht wiederholen, vielleicht lässt sie sich diesmal abkürzen."

"Hätte der Westen die damalige US-Regierung, die ohne UNO-Beschluss und ohne Beweise für das Vorhandensein von "Massenvernichtungswaffen" im Irak einmarschierte, nach den gleichen Wertmaßstäben beurteilt wie heute Putin, wäre Georg W. Bush unverzüglich mit Einreiseverbote in die EU belegt worden. Die Auslandsinvestitionen von Warren Buffett hätte man einfrieren, den Export von Fahrzeugen der Marken GM, Ford & Chrysler untersagen müssen", so Gabor Steingart. (Titel Handelsblatt - Der Irrweg des Westens)
"Schon die geografische Nähe zwingt jeden Kanzler zu größter Ernsthaftigkeit. wir können Russland nicht mit den Augen der amerikanischen Tea-Party betrachten. (...) Auch Wirtschaftsbeziehungen sind Beziehungen. Internationale Zusammenarbeit ist die Zärtlichkeit der Völker, weil es allen Beteiligten hinterher besser geht.", so Gabor Steingart in seinem Artikel "Der Irrweg des Westens", erschienen im Handelsblatt.
Autor:

Carsten Klink aus Dortmund-Ost

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