CETA-Leak: foodwatch veröffentlicht geheimes Verhandlungsmandat – Schiedsgerichte für Investoren bei Freihandelsabkommen ursprünglich nicht vorgesehen

"Schiedsgerichte waren keineswegs immer ein so unverzichtbarer Bestandteil von CETA, wie es heute auch von der Bundesregierung dargestellt wird. Als die Verhandlungen aufgenommen wurden, spielte eine Paralleljustiz für Investoren für die EU noch gar keine Rolle – jetzt, da der CETA-Vertrag ausgehandelt ist, heißt es plötzlich: Daran lässt sich nichts ändern“, kritisierte foodwatch-Sprecher Martin Rücker. | Foto: foodwatch
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  • "Schiedsgerichte waren keineswegs immer ein so unverzichtbarer Bestandteil von CETA, wie es heute auch von der Bundesregierung dargestellt wird. Als die Verhandlungen aufgenommen wurden, spielte eine Paralleljustiz für Investoren für die EU noch gar keine Rolle – jetzt, da der CETA-Vertrag ausgehandelt ist, heißt es plötzlich: Daran lässt sich nichts ändern“, kritisierte foodwatch-Sprecher Martin Rücker.
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Die Verbraucherorganisation foodwatch hat das unter Verschluss gehaltene europäische Verhandlungsmandat für das CETA-Abkommen mit Kanada im Internet veröffentlicht. Nach dem Mandat für einen TTIP-Vertrag zwischen EU und USA kommt damit ein weiteres zentrales Dokument der geplanten Freihandelszonen an die Öffentlichkeit.

Insgesamt machte foodwatch unter www.ceta-leak.foodwatch.de drei geleakte CETA-Dokumente öffentlich, klassifiziert mit der Geheimhaltungsstufe "Restreint UE/EU Restricted": Den ursprünglichen Mandatstext von April 2009, einen Änderungsentwurf von 2010 sowie die schließlich im Juli 2011 vorgenommene Ergänzung des Mandats. Aus den Papieren geht hervor: Die umstrittenen Schiedsgerichte spielten für die Aufnahme der Verhandlungen jedenfalls auf Seiten der EU überhaupt keine Rolle. Entsprechende Investorenschutzklauseln wurden erst zwei Jahre später, 2011, endgültig in die Verhandlungsleitlinien aufgenommen – dann jedoch als verbindliche Zielvorgabe, die erheblich stärker betont wird als beispielsweise das Recht, gemeinwohlbasierte Schutzstandards zu erlassen.

"Schiedsgerichte waren keineswegs immer ein so unverzichtbarer Bestandteil von CETA, wie es heute auch von der Bundesregierung dargestellt wird. Als die Verhandlungen aufgenommen wurden, spielte eine Paralleljustiz für Investoren für die EU noch gar keine Rolle – jetzt, da der CETA-Vertrag ausgehandelt ist, heißt es plötzlich: Daran lässt sich nichts ändern“, kritisierte foodwatch-Sprecher Martin Rücker. "Die geleakten Dokumente zeigen: Die Debatte über die Freihandelsabkommen wird nach wie vor nicht offen und aufrichtig geführt."

Auf Anfrage von foodwatch hatte sich EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström zuletzt für eine Veröffentlichung des CETA-Mandats ausgesprochen, gleichzeitig aber betont, dass dies von den Mitgliedsstaaten entschieden werden müsste. Der Europäische Rat lehnte eine Veröffentlichung jedoch ab. Nun wurden die Dokumente foodwatch zugespielt. Sie geben bemerkenswerte Einblicke in die Vorgaben der EU-Staaten für die Verhandlungslinie der Europäischen Kommission:

Im ursprünglichen Mandat von 2009 waren weitreichende Vereinbarungen über Investitionsschutz, insbesondere die umstrittenen Schiedsgerichte (ISDS), überhaupt nicht vorgesehen. Erst in der ergänzten Fassung von 2011 heißt es: "Das Abkommen muss einen wirksamen und dem aktuellen Stand entsprechenden Mechanismus für die Streitbeilegung zwischen Investor und Staat vorsehen." (Ergänzung der Verhandlungsrichtlinien, Punkt 26 d). Während Vizekanzler Sigmar Gabriel eine Zeit lang den Eindruck erweckte, es könne ein CETA-Abkommen ohne Investorenschutzklauseln geben, war die Europäische Kommission in Wahrheit längst politisch an die Maßgabe gebunden, genau dies zwingend durchzusetzen. Diese Vorgabe wurde von der schwarz-gelben Vorgängerregierung unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit beschlossen. Durch diese "Muss"-Vorgabe werden Schiedsgerichte stärker gewichtet als etwa das „Recht der Vertragsparteien, auf der Grundlage des ihnen angemessen erscheinenden Schutzniveaus die zur Verwirklichung legitimer Gemeinwohlziele erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen“ – darauf "soll" lediglich die Präambel des CETA-Vertrags „verweisen“. Zudem wird das Regulierungsrecht im CETA-Mandat mit auslegungsfähigen Einschränkungen versehen ("sofern diese Maßnahmen keine ungerechtfertigte Diskriminierung oder versteckte Beschränkung des internationalen Handels darstellen"; Verhandlungsrichtlinien, Punkt 5).

Im Gegensatz zum CETA-Dokument erklärt das TTIP-Verhandlungsmandat Schiedsgerichte nicht zum "Muss", sondern lediglich zum "Sollte"-Ziel (TTIP-Verhandlungsleitlinien, Punkt 23). Das lässt die jüngste Entwicklung in neuem Licht erscheinen: So hatte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström für TTIP einen neuartigen Investitionsgerichtshof anstelle klassischer Schiedsgerichte vorgeschlagen, jedoch keine Änderungen bei CETA vorgesehen. Gleichzeitig sind die Vorgaben des Verhandlungsmandates weder rechtsverbindlich noch unabänderlich – eine Abkehr von den Schiedsgerichten ist also auch bei CETA eine Frage des politischen Willens.

foodwatch erneuerte die Forderung, das CETA-Abkommen nicht zu ratifizieren und die TTIP-Verhandlungen unter den gegebenen Voraussetzungen zu stoppen. Die Problematik der Schiedsgerichte für Investoren ist nach Auffassung der Verbraucherorganisation auch bei TTIP mit den Malmström-Vorschlägen nicht gelöst: Zum einen könnten US-amerikanische Firmen den CETA-Vertrag nutzen, um über eine kanadische Niederlassung Schiedsklagen einzureichen. Zum anderen geht die Einrichtung eines Investitionsgerichtshof am Kern der Kritik vorbei: Es bliebe dabei, dass ein Sonder-Klageweg für Investoren eingerichtet werden soll. Unternehmen würden ihn nutzen, wenn sie sich davon bessere Chancen auf Schadenersatz versprechen als vor den ordentlichen staatlichen Gerichten.

"Schiedsgerichte waren keineswegs immer ein so unverzichtbarer Bestandteil von CETA, wie es heute auch von der Bundesregierung dargestellt wird. Als die Verhandlungen aufgenommen wurden, spielte eine Paralleljustiz für Investoren für die EU noch gar keine Rolle – jetzt, da der CETA-Vertrag ausgehandelt ist, heißt es plötzlich: Daran lässt sich nichts ändern“, kritisierte foodwatch-Sprecher Martin Rücker. | Foto: foodwatch
foodwatch entlarvt die verbraucherfeindlichen Praktiken der Lebensmittelindustrie und kämpft für das Recht der Verbraucher auf qualitativ gute, gesundheitlich unbedenkliche und ehrliche Lebensmittel. foodwatch ist unabhängig von Staat und Lebensmittelwirtschaft und finanziert sich aus Förderbeiträgen und Spenden. foodwatch ist ein gemeinnütziger Verein, dem jeder beitreten kann. | Foto: foodwatch
Autor:

Carsten Klink aus Dortmund-Ost

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