Preserving Memories- Bewahrung der Erinnerung
Ausstellungseröffnung im Dietrich-Keuning-Haus: Neben den Gastgebern spricht Bürgermeisterin Birgit Jörder zur Begrüßung und betont, wie froh sie ist, dass es in der Stadt eine Kultur des Gedenkens gibt. Teil des Erinnerns ist diese Bildpräsentation. Die großformatigen Collagen mit eindringlichen Texten, die bereits im Brüsseler Europaparlament und bei der documenta 14 in Kassel ausgestellt wurden, zeigen Bilder, die nichts für schwache Gemüter sind: erhängte Dorfbewohner an einer Hauswand, erschossene Widerstandskämpfer, Menschen, die ihr eigenes Grab ausheben mussten und andere, die neben den Leichen ihrer Freunde auf den eigenen Tod warteten. Schwerverletzte. Trümmer.
Betrachter tauchen ein in die Zeit von 1922-1945, vor allem aber während des zweiten Weltkrieges, in der von Deutschland ausgehend die Faschisten fast ganz Europa regierten - mit brutaler Gewalt gegen Schwächere, politisch Andersdenkende, Menschen unerwünschter Religion oder anderer Merkmale, die als Grund für Ausgrenzung definiert worden waren.
Bilder vom Widerstand gegen die faschistische Gewaltherrschaft
Die Ausstellung zeigt Widerstand in den verschiedenen Ländern während der faschistischen Besatzungszeit. Militärisch organisierte Aktionen werden genau so dokumentiert wie die kleinen Gesten des Nicht-Handerhebens zum Hitler-Gruß in einer Menge von Hunderten erhobenen Armen.
Der Redner Dr. Ulrich Schneider, Generalsekretär des FIR (Fédération Internationale des Résistants) hebt in seiner Ansprache ein Ereignis hervor, das ein Mädchen zeigt, bevor es auf einem Dorfplatz in Russland gehängt wurde. Ihr Name sei möglicherweise Soja gewesen und sie soll gerufen haben: "Wir sind über 170 Millionen, ihr könnt uns nicht alle hängen!" Eine Heldin im Tod.
Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano berichtet
Heldin des Überlebens könnte man Esther Bejarano nennen, die als Zeitzeugin Auschwitz und Ravensbrück überlebt hat und die Strapazen weiter Wege auch mit 92 Jahren nicht scheut, sondern nach Dortmund gekommen ist, um die Ausstellungsbesucher an ihren Erinnerungen und Gedanken teilhaben zu lassen. Der Titel Heldin würde ihr womöglich nicht gefallen. Sie ist eine Lady mit Haltung und einem trockenen Humor aber nicht unnahbar. Sie strahlt Lebensfreude aus, die es fast unmöglich macht, sie mit dem düsteren Auschwitz in Verbindung zu bringen. Zunächst wird sie an einen Tisch gebeten, um dort aus ihren Lebenserinnerungen vorzulesen. Der Stuhl ist ein bisschen zu tief oder der Tisch ein bisschen zu hoch, jedenfalls verschwindet sie fast dahinter.. Sie meint: "Ist nicht so schlimm, Ihr kennt mich ja!" In Dortmund war sie schon mehrmals zu Gast und hat hier Freunde. Eine Retro-Leselampe wird vom Tisch auf den Boden verbannt, weil sie fast so groß wie ihr Kopf sei, aber sie verbittet es sich sogleich, ihre Füße damit zu beleuchten.. Durch das Headset hört das Publikum jeden ihrer Kommentare- und schließlich ihre herzliche Begrüßung: "Ich freue mich, daß ich Euch mal wieder sehe!"
Ohne große Umschweife beginnt sie zu lesen - und die Zuhörer finden sich mit ihr in einem von außen verschlossenen Viehwaggon auf dem Weg nach Auschwitz wieder. Ihre deutlichen Worte über die Umstände im Waggon und das Leben im Vernichtungslager Birkenau erklingen ohne Melancholie oder Bitterkeit. Gleich nach ihrer Ankunft wurden sie als "Saujuden" beschimpft, mussten sie sich in einem Raum entkleiden, ihnen wurden die Haare geschoren und sie bekamen eine Nummer eintätowiert, Namen waren im Lager bedeutungslos. Esther Bejarano hat diese KZ- Nummer chirurgisch entfernen lassen. Sie scheint mittlerweile einen Weg gefunden zu haben, sich an diese Zeit ihres Lebens zu erinnern, ohne die Narben wieder aufzureißen. Sie hat Glück gehabt und daraus eine Verantwortung abgeleitet: schon in Auschwitz hatten ihre Freundinnen ihr geraten alles daran zu setzen, zu überleben, damit sie später von den Greueltaten, die dort passiert waren, erzählen könne. So liest sie ohne Unterbrechung, wie sie im Mädchenorchester des KZ buchstäblich um ihre Leben spielte - jede Erkrankung und Schwäche konnte damals den Tod im Gas bedeuten, und Schwäche war bei der Kälte und der mangelhaften Ernährung vorprogrammiert.
Die Befreiung
Gegen Ende der Lesung beschreibt Esther Bejarano, wie sie den Tag des Kriegsendes erlebt hat: in einer kleinen Stadt, gemeinsam mit sechs anderen jungen Frauen, denen es auf dem Todesmarsch von Lager zu Lager gelungen war, sich im Wald zu verstecken und so ihren Bewachern zu entkommen. Zuerst trafen sie auf amerikanische Soldaten, die ihnen halfen. Sie fuhren gemeinsam nach Lübsch. Dort trafen dann auch russische Soldaten ein - Soldaten beider Seiten begrüßten und umarmten sich. Abends wurde ein Bild von Hitler hinaus auf den Marktplatz getragen und verbrannt. Da herum tanzten ihre Freundinnen und die Soldaten, während Esther selbst auf einem Akkordeon die Musik dazu spielte. Sie nennt es den Tag ihrer zweiten Geburt.
Rap mit der Microphone-Mafia
Nach der bewegenden Lesung aus diesem Kapitel ihres Lebens stellt sich die zierliche Lady zwischen ihre Mitmusiker, ihren Sohn Joram Bejarano und den Rapper Kutlu von der "Microphone Mafia". Der Kölner schildert, wie es vor mittlerweile zehn Jahren dazu kam, dass er Esther als Sängerin für ihre Rap-Projekte gewinnen konnte. Für ihn ist sie mittlerweile "Mutti"- und er nennt sich und seinen Musikerkollegen Rossi "eingeenkelt", so eng verbunden fühlen sie sich mit ihr. Der erste Anruf bei "Mutti", den Joram nach einiger Überzeugungsarbeit gestattete, war nicht einfach: "Ich hatte mich mit 'Kutlu von der Microphone Mafia' gemeldet, wie ich das immer tat- und dann war Stille. Nicht kurz, sondern so lange, dass ich dachte, Esther hätte aufgelegt. dann auf einmal sagte sie..: wie kommt es, dass mich die Mafia anruft? " Gemeinsam haben sie im Lauf der Zeit ein Programm mit Liedern auf die Beine gestellt, das sowohl in jiddischer, türkischer, italienischer und deutscher Sprache das Publikum in seinen Bann zieht. Ein Text von Brecht erklingt ebenso eindringlich wie das italienische Partisanenlied "Bella Ciao" und türkischer Rap. Allen Texten gemeinsam ist der Gedanke, dass es wichtig ist, die Erinnerung an die Greuel und den Widerstand gegen Faschismus lebendig zu halten und wachsam zu sein, dass er heute keine Chance bekommt, wieder Macht auszuüben: Rapper Kutlu erinnert an die vielen Taten, vor allem die Brandanschläge und NSU Morde, die in der jüngeren Vergangenheit von Menschen rechter Gesinnung begangen worden sind. Er gibt auch zu Bedenken, dass es in vielen Fällen unsere Art zu leben war und ist, die Menschen beispielsweise in Afrika die Lebensgrundlage entzieht und wir deswegen kein Recht haben, uns feindselig abzugrenzen. Gegen diese Art Feindseligkeit und das Vergessen, für das Leben macht Esther Bejarano mit der "Microphone Mafia" Musik. "Esther hat einmal gesagt, dass sie aus Rache an den Nazis singt- und uns ist es eine Ehre, Teil ihrer Rache zu sein." so Kutlu.
Mission: nie wieder Krieg!
Esther hat auch mit ihren 92 Jahren eine Energie, die ihresgleichen sucht- ihre energischen Gesten beim Singen offenbaren es. Und einen trockenen Humor: wer Lobeshymnen durch Mitmusiker abbricht mit einem schlichten: "mach' Musik!" liebt keine langen Lobreden sondern die Tat. Zu einem Lied wird geklatscht, zum anderen tanzt sie und fordert zum Mitmachen auf. Während eines Liedes wird hinter ihr ein Transparent entrollt, das ihre Beweggründe auf einen Nenner bringt: nie wieder Krieg!
Die Ausstellung des VVN-BdA (die 1947 gegründete „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ ist heute ein überparteilicher Zusammenschluss von Verfolgten des Naziregimes, ´ WiderstandskämpferInnen, AntifaschistInnen), entstanden in Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund, dem Dietrich-Keuning-Haus(DKH), dem Bündnis Dortmund gegen rechts, der Mahn- und Gedenkwache Steinwache sowie der Fédération Internationale des Résistants(FIR), ist noch bis zum 5. Juli im Foyer des DKH zu sehen.
Weitere Begleitveranstaltungen im Juni
Es gibt noch weitere Begleit-Veranstaltungen im DKH, so wird am Samstag (16.Juni) um 16.30 Uhr der Film Zündschnüre nach einem Roman von Franz-Josef Degenhardt gezeigt und am Donnerstag, 21. Juni um 19 Uhr lesen Sylvia Gingold und Alice Czyborra aus Peter Gingolds Buch "Paris, Boulevard St.Martin No 11" der seine Zeit als Widerstandskämpfer in der Resistance dokumentiert.
Am Mittwoch, 27. Juni um 19.30 Uhr folgt eine Lesung mit den Schauspielern Carsten Bülow und Andreas Weißert unter dem Titel: ".. ob wenig oder viel-- Niemand konnte mehr als sein Leben wagen, die Hauptsache: Man widerstand..." (Hans Fallada) geben.
Wer Esther Bejarano und die Microphone Mafia live erleben möchte, hat dazu Gelegenheit beim UZ (Unsere Zeit) - Pressefest im Revierpark Wischlingen, das vom 7. bis 9. September stattfinden wird. Wer sich für ihre Lebensgeschichte interessiert findet ihre Biographie "Erinnerungen- vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts" im Laika Verlag.
Autor:M Hengesbach aus Dortmund-City |
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