OGS-Rechtsanspruch: AWO Dortmund fordert hochwertigen Ganztag statt bloßer Verwahranstalten // Beispiel Dietrich-Bonhoeffer-Grundschule in Derne
Das Ziel: Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit
Gute Nachrichten für Eltern und Kinder: Die Bundesregierung plant die Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine ganztägige Betreuung für alle Grundschulkinder ab 2025. 3,5 Milliarden Euro sollen in den Ausbau der Ganztagsbetreuung fließen - eine Million neue Plätze sollen entstehen.
„Ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung klingt erst einmal gut. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass jetzt einfach hastig Verwahranstalten entstehen, nur um den quantitativen Anspruch auf die zusätzlich zu schaffenden mehr als eine Million neue Ganztagsbetreuungsplätze bis 2025 zu erfüllen“, betont die Dortmunder AWO-Vorsitzende Anja Butschkau. „Denn das schadet Kindern und Chancengleichheit. Es braucht den guten Ganztag!“
Was bedeutet das für NRW? Bis zum Rechtsanspruch müssen noch weitere circa 259.000 Plätze geschaffen werden. Dann würde es eine Platzzahl von 551.000 Plätzen in NRW geben. Dies geht aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage vom Bund hervor. Momentan gibt es im Durchschnitt eine Auslastung von rund 55 %. Bis 2025 soll eine Auslastung von 80 % geschaffen werden.
Die AWO-Tochter dobeq hat viele Erfahrungen mit Offenen Ganztagsschulen (OGS): Seit diesem Jahr ist sie für das Angebot an 17 (!) Dortmunder Grundschulen zuständig. Dort stoßen die Pläne auf Vorfreude, bereiten aber auch Kopfzerbrechen. Denn schon bisher ist das Interesse an der OGS wesentlich größer als das Angebot an Plätzen. Diese wurden zwar kontinuierlich eingerichtet, doch deutliche Zuwächse an Räumen gab es nicht. Und auch die Zuschüsse pro Kopf sinken, wenn mehr Kinder aufgenommen werden.
Dabei kosten gute Angebote Geld - insbesondere, wenn man Schule und OGS als eine Einheit begreift. „Es ist ein System, es gibt keine getrennten Systeme Schule und OGS“, betont AWO-Bereichsleiter Jörg Loose. „Wir müssen gemeinsam die Kinder fördern. Das ist bei uns eine Grundsatzfrage, die bei Eltern und Lehrkräften auf große Akzeptanz trifft.“
Grundschule und OGS sind nicht zu trennen
Das bestätigt Mathias Heil, Schulleiter der Dietrich-Bonhoeffer-Grundschule in Derne: „Eine gute OGS ist ein unverzichtbarer Baustein im Gesamtportfolio. Schule und Offener Ganztag sind nicht zu trennen.“ Nicht nur das Kollegium in Derne sieht das Angebot daher als eine Einheit. Ein Grund: Die OGS umrahmt für viele Kinder den Schulalltag insbesondere im Dortmunder Norden - nicht wenige bekommen hier ihre erste Mahlzeit am Morgen - und für alle gibt es dann auch ein warmes Mittagessen. Ob es ein „ordentliches Abendessen“ gibt, ist in vielen Familien nicht gesichert.
„Wir sind in Derne. Der Strukturwandel wurde nicht gut gemeistert: Arbeitslosigkeit, billiger Wohnraum, kaum Infrastruktur. Das Echo der schwierigen Zeit der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre spürt man heute noch. Die benachteiligten Kinder von damals sind heute selber Eltern“, skizziert Heil die Rahmenbedingungen. „Wir müssen deren Kinder auffangen und uns den Lebensbedingungen und Bedürfnissen am Standort annehmen.“
Diese Bedürfnisse können von Standort zu Standort sehr unterschiedlich sein. „Da brauche ich eine gute OGS, die sich in konstruktivem Prozess hinterfragt. Die OGS ist Teil der schulischen Weiterentwicklung“, macht Sarah Heidenreich-Strunk, Betriebsleitung für den Bereich Angebote an Schulen bei der dobeq, deutlich.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Gerade die Kinder unterschieden nicht zwischen Schule und OGS. Beides zusammen ist für sie ein Lebensraum. Hier wird gegessen, gelernt, es werden Hausaufgaben gemacht und auch zusammen gespielt. Dabei steht die individuelle Förderung der Kinder im Mittelpunkt. „ Wir müssen immer als Schule Antworten entwickeln auf das, was gesellschaftlich erforderlich erscheint“, ergänzt Schulleiter Heil.
„Es geht um Chancengleichheit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir müssen jetzt schon die Weichen stellen für den Rechtsanspruch ab 2025“, so Heidenreich-Strunk. Doch bisher ist die Arbeit nur unter erschwerten Bedingungen möglich, weil die Ressourcen beschränkt sind. „Wir können leider nicht alles möglich machen. Aber wir versuchen alles, sehen uns als Teil der Schule und sind auch Lebensbegleiter der Kinder“, berichtet die Koordinatorin der dobeq.
Daher gibt es hier feste Bezugspersonen, möglichst hohe Stundenzahlen bzw. Vollzeitstellen und eine feste Anbindung an die Schule. Die Beschäftigten der OGS hospitieren - wenn dies die Schule wünscht - im Unterricht. Es gibt einen Austausch mit den Lehrkräften. Denn diese haben andere Möglichkeiten als Erzieher*innen. Das kann andere Perspektiven eröffnen.
„Wir bringen unterschiedliche Professionen zusammen, integrieren die OGS in die Schule, um auf unterschiedliche Bedarfe einzugehen. „Wir müssen die Menschen da abholen, wo sie stehen“, beschreibt Anja Butschkau, auch Landtagsabgeordnete der SPD, die Herausforderung. Daher sei es umso wichtiger, jetzt die Weichen für 2025 zu stellen. Fehler, wie in NRW, dürften nicht gemacht werden: „In NRW ist völlig verbreitet, dass die Qualität der Bildung von den finanziellen Möglichkeiten der Kommunen abhängt. Das kann so nicht sein“, kritisiert die AWO-Vorsitzende.
Auch Bereichsleiter Jörg Loose pocht auf die Formulierung einheitlicher Standards: „Das ist zentral. Gruppengrößen, die Ausstattung von Räumlichkeiten, der Anteil der Fachkräfte und vieles mehr muss festgelegt werden. Nur so kriege ich Qualität hin.“ Bisher ist dies nicht der Fall: Es gibt keine trägerübergreifenden Standards für die OGS. „Wir haben unsere eigenen Ansprüche formuliert, die dann auch zertifiziert werden. Durch die finanziellen Möglichkeiten stoßen wir aber an Grenzen“, macht Loose deutlich.
Doch qualitativ hochwertige Betreuungsangebote, wenn es um Bildung, Chancengerechtigkeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, dem werde die OGS häufig noch nicht gerecht, insbesondere dort, wo das bisherige Angebot auch platzmäßig nicht ausreiche. An einigen Dortmunder Standorten gebe es den Wunsch von 75 Prozent der Eltern, ihre Kinder für die OGS anzumelden. Doch kaum 50 Prozent der Kinder bekommen einen Platz.
Geforderte Kreativität stößt schon an Grenzen
Zumeist scheitert es am Raumangebot. „Wir wollen die Kinder gut betreuen - aber es gibt auch Grenzen. Die bisherige Regelung, dass die finanzielle Förderung pro Kopf absinkt, wenn mehr Kinder teilnehmen, macht die Arbeit nicht einfacher. „Jedes Jahr kommen mehr Kinder, ohne dass sich die Bedingungen geändert haben. Teils geht es um 20 bis 30 Plätze pro Jahr mehr, weil Eltern das gute Angebot sehen und weil es sich rumspricht“, weiß Sarah Heidenreich-Strunk.
Teils werden Kinder auch angemeldet, weil fast alle ihrer Freunde in der OGS sind - ihre Eltern könnten die Betreuung oft auch selbst stemmen. „Wir fangen auch viel bei Trennungen ab. Wir sind für Kinder und Eltern da - da entstehen neue Bedarfe. Auch dann, wenn Großeltern plötzlich pflegebedürftig werden und bei der Kinderbetreuung ausfallen.“
Daher stoße die häufig geforderte Kreativität an Grenzen - das weiß auch Schulleiter Heil. Denn die OGS-Räume seiner Schule sind vor zwölf Jahren geplant und errichtet worden - für 40 Kinder. Doch schon jetzt nehmen 132 Kinder das Angebot in Anspruch. Wie das künftig mit einem Rechtsanspruch für alle 280 bis 290 Schüler*innen funktionieren soll, ist offen.
Die pauschale Aussage - die Kinder, die morgens in eine Schule passen, müssen auch nachmittags hineinpassen - blende die Wirklichkeit aus. Dazu gehört beispielsweise, dass auch Küchen und Essbereiche, Platz für Lern- und Fördermöglichkeiten sowie für Bewegungsangebote benötigt werden. Auch für die Einbindung der Eltern brauche es Platz.
Daher sei es jetzt richtig und wichtig, die Weichen für die Ausgestaltung des Rechtsanspruchs auf einen OGS-Platz zu stellen: „Wir tragen gemeinschaftlich Verantwortung dafür zu fragen, wie wir das Morgen gestalten können“, macht Dietrich-Bonhoeffer-Schulleiter Mathias Heil deutlich. „Und wir müssen danach fragen, was uns das gesellschaftlich wert ist“, ergänzt Anja Butschkau.
INFO:
Der AWO-Unterbezirk Dortmund ist ein großer Wohlfahrtsverband mit fast 6.000 Mitgliedern und insgesamt etwa 1.600 Mitarbeiter*innen.
Sie betreibt OGS-Angebote an 17 Schulen in ganz Dortmund.
www.awo-dortmund.de und www.dobeq.de.
Autor:Ralf K. Braun aus Dortmund-Ost |
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