Ratings, Ratings, Ratings

Auszug aus Ratings, Ratings, Ratings (Amazon Kindle)

Auf einmal kennt sie jeder. Wieso eigentlich? Und was ist das überhaupt, ein Rating?
Eine neue Welt eröffnete sich für die Münsterländerin Sarah Engel im rund 400 Meilen entfernten Großraumbüro einer amerikanischen Rating-Agentur in London - eine Welt, in der die Ratings fast ihr Leben übernommen hätten, gäbe es da nicht noch das wagamama, Tristan und auch noch Botswana. In genau dieser Reihenfolge. Aber dazu später...

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Ohne die Dame von der Job-Vermittlungsagentur wäre ich wahrscheinlich nie in diese Rating-Geschichte reingeraten. Denn beim BWL-Studium vor 15 Jahren wurde über Ratings definitiv noch nicht gefachsimpelt. Und auch beim Studieren von Reiseführern, die mich für London begeisterten, wurden sie ganz bestimmt nicht erwähnt.
„Beim Zeitunglesen?“, fragte ich mich. Nein, einen Artikel über Ratings, der mit ein gewisses Kribbeln im Bauch verschaffte, gab es sicherlich auch nicht. Beim Abschiednehmen von good old Germany und den mitgebrachten geschenkten Miracoli mit der Anweisung „ Essen nur an Heimwehtagen“ leider auch nicht.
Aber ich weiß noch ganz genau, wie mein erster Tag verlief und meine Karriere begann, bevor ich sie freiwillig viele Jahre später wieder an den Nagel hängte. Bei einer Reise wäre dies nie geschehen! Denn man beendet keine Tour, bevor sie zu Ende ist, zumindest nicht, wenn man noch mindestens 35 Jahre Zeit hat. Vielleicht sogar noch 40 Jahre, das heißt, wenn ich in Deutschland in Rente gehen könnte, wenn ich denn dort einbezahlen täte. Tue ich aber nicht.
Das Büro der Rating-Agentur – dies ist schon für viele der Ort gewesen, aus dem Angst und Schrecken verbreitet wurden. Und ich bin eine der vielen Botschafter dieser Nachrichten, eingesetzt im Team für Versicherungsratings.
Für jedes Rating muss kiloweise Papier gelesen, verstanden und analysiert werden. Man muss sich durch endlose Seiten kämpfen, die in einem Versicherungsjargon geschrieben sind, das kein Mensch kapiert, um am Ende gesagt zu kriegen: „Sorry, tut mir echt leid. Aber du hast das Worksheet zur Beurteilung der Kapitalausstattung, die für das Rating enorm wichtig ist, nicht korrekt ausgefüllt. Du musst das alles noch mal machen“.
„Wie? Alles? Machst du Witze?“
„Sehe ich aus wie Mr. Bean? Und bin ich lustig? Du willst deinen Job wohl behalten?!“
Da stand sie auf der Kippe, meine Karriere als Rating-Analystin in einem hässlichen Großraumbüro bei einer großen amerikanischen Rating-Agentur in London, für die ich schon so lange mehr als alles gegeben hatte. Und das nicht, weil ich das Kapitalmodell falsch ausgefüllt hatte, sondern weil der Kollege kein Verständnis dafür aufbringen wollte, weshalb ich die griechischen Staatsanleihen der Gesellschaft nicht mit eingerechnet hatte.
„Staatsanleihen werden als sicher eingestuft“, sagte er zum x-ten Mal. „ Griechenland ist seit 1800 bereits fünf Mal Pleite gegangen“, antwortete ich zum x-ten Mal. „Spanien seitdem achtmal und Portugal schon sechsmal“, fügte ich dieses Mal wissend dazu. „Ohne Solvency 2 würdest du das auch so sehen!“, setzte ich noch einen drauf.
„Ja, richtig, aber…“, suchte sein Gehirn nach Gründen. „Aber Solvency 2 gilt nun mal (Projekt der EU-Kommission zu einer grundlegenden Reform des Versicherungsaufsichtsrechts in Europa), fährt er wie immer fort. „Hier werden Staatsanleihen nun mal als ausfallsicher definiert und daher dürfen sie auch ohne Absicherung ins Kapitalmodell. Und das weißt du auch.“
Der Kollege starrte mich so unfreundlich an wie der Finanzminister freundlich guckte, als er die Pension der Beamten schon wieder um 500 Euro monatlich erhöhte.
„Tut mir leid, Sarah. Da musst du durch!“. Dann verschwand er an seinen Schreibtisch. Wahrscheinlich nur, damit ich ihm nicht länger auf die Nerven gehen konnte.
„Bei der nächsten Rating-Aktualisierung…“, sagte mein Kollege Chris hinter der Trennwand in den Hörer.
Meine Ohren schalteten auf Durchzug. Trotz Solvency 1 und weiterentwickelter Solvency 2- Regelungen oder Basel-Kapitalvereinbarungen mit dem Zusatz 1, 2 und nun auch bald 3 hatten wir eine Krise. Und die hatte ich auch.
Trotzdem sollte man auf einer der unteren Karrierestufen auf seinen Chef und vor allem auf die Gesetze hören, denn auf diese Referenzen berufen sich nun mal alle. Irgendwie schien meine Karriere in den Sand zu verlaufen, noch bevor sie überhaupt richtig angefangen hatte, da hier gerade alle auf den Holzweg setzen.
Dabei war mein Plan so bescheiden gewesen. Ich war blond, 26 Jahre alt und wollte eigentlich nicht viel. Wollte lediglich die tollen Menschen treffen, die für die Ratings aller Versicherungsunternehmen weltweit tätig waren und dabei Karriere machen und natürlich auch das aufregende London entdecken und dabei länger als ein Wochenende bleiben.
Warum ich das wollte, wurde mir allerdings schmackhaft gemacht von einer Jobvermittlungs-Agentur.
Zum einen hatte ich erfolgreich BWL studiert und schon in einer Versicherung, dazu sogar als Analystin im Kreditrisikomanagement, gearbeitet. Damit hatte ich Erfahrung und war vom Fach.
Die Dame aus der Jobvermittlung meinte, dass eine Rating-Agentur ganz gut zu mir passen könnte und ich dachte mir das dann auch (auch wenn ich noch nie von Ratings und den Rating-Agenturen gehört hatte). Hauptsache Knete und LONDON.
Und wie es der Zufall so wollte, fehlte dem Team bei einer der drei großen Agenturen auch noch ein deutscher Experte. Und mir fehlte Felix, den man an dieser Stelle ja eigentlich nicht erwähnen sollte, auch wenn er definitiv ein Grund für meine Auswanderung nach London gewesen war.
Felix hatte blaue leuchtende Augen, die strahlender leuchteten als die von Terence Hill es jemals für mich getan hatten. Ich hatte Felix im Münsterland auf einer Party kennengelernt und wurde von ihm mit Geschichten aus der Londoner Finanzwelt und Rotwein abgefüllt. Seine Geschichten von Parties und seinem Leben aus London faszinierten mich.
„Stell dir vor, einige Restaurants haben dort keine Alkohollizenz.“
„Gar nicht mal so schlecht“, sagte ich. „Denn wenn wir weiter so bechern, stehe ich morgen nicht mehr auf“.
„Den darf man dann aber mitbringen“, lautete seine Antwort und das brachte ihn erst so richtig in Fahrt.
Ich schaute auf mein Weinglas, das merkwürdigerweise schon wieder leer war, dann in seine so wunderbar blauen Augen und sagte: „In dieser Stadt will ich auch mal arbeiten.“
Auf Parties sagt man oft sehr schnell sehr viel, vor allem, wenn man besoffen ist. Am nächsten Morgen hatte Felix das bestimmt schon wieder vergessen, insbesondere, da er sich ohne mich von der Party verabschiedet hatte.
Aber in meinem Fall war das anders. Ich war keine Frau mit Filmriss am nächsten Tag und wusste noch alles, was er mir erzählt hatte.

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Autor:

Silke Brocks aus Dortmund-Nord

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