Elchmus

(Anm. Elch heißt auf englisch Moose, Mus gesprochen wie in Apfelmus)

Auszug aus meinem Roman (Amazon Kindle)

Mit Anfang 20 wandert Elke ins hippe London aus und lässt endlich das spießige Münsterland hinter sich. Doch dort ist nichts, wie es sein soll. Ihr Studio (Mini-Einraumwohnug) ist schlimmer als schlimm und dann hat sie auch noch ihren Job gegen einen noch langweiligeren ausgetauscht. Ende Gelände. Als sie dann auch noch entführt wird, gleicht ihr Leben echt einem schlechten Tatort. Bis sie sich in einen der Entführer verliebt. Dann ist nichts mehr wie es mal war. Die Entführer sind eigentlich keine Verbrecher, London ist doch trendy und Rosamunde Pilcher Land ist auch was für junge Verliebte. Aber dann rufen William und Kate zur königlichen Hochzeit und schon wieder wird alles anders. Ein Streifzug durch London beginnt: mit wenig Alltag, viel Spaß und noch mehr Rock’n’ Roll bis es endgültig und für immer Good-Bye Deutschland heißt. Aber dieses Mal anders: mit dem richtigen Job, mit Englisch-Kenntnissen und vor allem ohne Kinder. Allerdings hat bislang noch niemand Kommissar Blitz getroffen…
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Kapitel 1

1

Ihr Name ist zwar nicht altbacken wie Dankward oder Balduin, aber einfach fürchterlich. Zudem hießen in ihrer Klasse drei von 17 Mädchen Elke. Er ist einfach nur langweilig und spießig und zeigt so gar nicht, wer sie wirklich ist. Seit Elke denken kann, hasst sie diesen Namen. Vielleicht sogar noch länger. Wenn sie ein Junge geworden wäre, hieße sie nun Marco. Auch nicht besser. Vermutlich hat man ihrer Mutter bei ihrer Geburt gesagt: „Nennen Sie sie Elke. Elke gibt es in diesem Jahr in Schapdetten noch nicht und ist ganz in“. So kam sie zu ihrem Namen. Dass man ihr diesen Namen gegeben hat wird sie dieser „Schapdette“, ähem, diesem Arzt, nie verzeihen.
Und dann noch dieses Aussehen. „Und wie du wieder aussiehst“, meckerten Die Ärzte in Gedanken. Sie hat spagetthifarbene glatte Bandhaare, völlig unformbar dazu und keinerlei Chance auf eine Frisur dank des Wirbels am auch noch platten Hinterkopf. Jedes Mal beim Frisör versuchte eine äußerst nette Dame diesen Wirbel irgendwie verschwinden zu lassen. Leider mal wieder vergebens mit gewöhnlich vielen Kröten weniger im Portemonnaie.

Die Ärzte können da ruhig singen „Und dann noch deine Haare, da fehlen mir die Worte“. Wirft sie mittlerweile nicht mehr aus der Bahn. „Musst du die denn färben?“, fragten die Ärzte weiter. „Du warst ja so ein süßes Kind“.

Elke starrt auf ihr Foto im Reisepass und vergleicht es mit dem in ihrer Abschiedskarte, die Herr Kessner ihr soeben überreicht hat. Wie ein Pandabär. Wären da nicht die gelbblonden Haare. Wie eine Banane. Die Augenringe sind echt der Hit. Aber leider überhaupt nicht in. So out wie Socken in Sandalen. Elke wartet darauf, dass Herr Kessner etwas zu ihr sagt. Es geht auf ihren letzten Feierabend zu. Noch hat er circa zehn Minuten sie von ihren London-Plänen abzuhalten. Danach wird sie ihm nie wieder eine Chance geben. Nie, nie wieder.

In der Abschiedskarte liegt ein Gutschein über 100 Euro. Immerhin. Zubrot für die Kamera, die sie sich kaufen will. Alle hatten zusammengelegt. Auf dem Foto sind alle Kollegen zu sehen. Auch Widmungen von allen fehlen nicht. „Du kannst ja jederzeit wiederkommen“, hatte Herr Kessner geschrieben. Einen Satz, den er bestimmt nicht wörtlich gemeint hatte...

Elke wandert heute nach London aus. Deswegen hatten die Kollegen die Idee zusätzlich einen Gutschein für die Kamera dabei zu legen. Symbolisch war sogar ein Foto vom gesamten Team sauber eingeklebt. Das hat bestimmt Frau Mersmann gemacht. Sie ist die gute Seele hier. Seit Elke hier ist, hat sie unzählige Male die miese Stimmung im Team wieder angehoben. Sie hat einfach die Energie dazu. Tante Mersmann haben alle lieb.

Elkes Gehirn liegt lahm und die Augusthitze legt auch die Klimaanlage so langsam schachmatt. Durch die Fenster steigt stechender Gummigeruch vom Parkplatz, der sich zum Feierabend mit immer mehr heimkehrenden LKW-Fahrern füllt. Elke hat die Hoffnung aufgegeben. „Wir werden immer an Dich denken“, hatte Frau Mersmann geschrieben.

Sie blickt wieder in die Runde. Wie unfassbar dämlich ihr Verhalten doch ist. Sie will Herrn Kessner noch immer. Am allerliebsten jetzt und sofort. Obwohl er in einem Reihenendhaus mit Frau und Kind wohnt und wahrscheinlich jeden Sonntag Tatort guckt. Und sein Leben langweiliger als langweilig ist. Sie muss aufhören damit. Jetzt sofort.
Sie ist Anfang 20. Er könnte ihr Vater sein. Ist bestimmt schon mindestens 40! Und damit steinalt. Wenn sie so alt ist, wie er jetzt, geht er schon in Rente und ist ein alter Mann. Warum hat er nicht in die Karte geschrieben „Geh nicht. Bleib bei mir. Ich sterbe sonst“.

Er sieht aber auch wirklich gut aus. Trägt das Sakko lässig zur Jeans. Sein Knackpo dreht ihr gelangweilt den Rücken zu. Mit Sicherheit ist er auch vorne gut bestückt. Wie auch immer. Er hätte ihr ja sein bestes Stück schon längst zeigen können. Er ist bestimmt 1.80 m groß. Braungebrannt. Wie aus der Werbung. Reklamemäßig braun. Und diese Hände. Sie muss aufhören damit!

Und schaut zum hundertsten Mal auf ihre Abschiedskarte. Eine echte Karte aus Papier, keine E-Mail oder online-Grußkarte oder eine dumme Nachricht bei Facebook mit ebenso dummen Kommentaren (6 Leuten gefällt das nicht, dass sie geht). Dieses Mal haben andere Sprüche für sie finden müssen. Mehr oder weniger gute. Elke ist das egal. Komplett egal. Wurscht. Wurst. Denn sie sieht nur den einen Satz, den Herrn Kessner geschrieben hat. „Du kannst ja jederzeit wiederkommen“ und interpretiert ihn natürlich. Ist nun mal eine Frau. Sie sieht in ihn einen subtilen Hinweis darauf, dass es vielleicht doch noch eine gemeinsame Zukunft gibt. Für sie beide.
Sie sieht die Sonne auf sein Gesicht fallen. Es wirkt so noch schöner als sonst. Irgendwie weicher und auch jünger. Wenn sie jetzt die Wahl hätte, zwischen Herrn Kessner und London, müsste sie keine Sekunde überlegen. Sie muss endlich aufhören damit. Jetzt!

Sie blickt sich um, ob irgendjemand sie beobachtet hat, wie sie ihn mal wieder angeschmachtet hat. Gott sei Dank nicht, oder? Sie hat bislang mit niemanden im Kollegium über ihren Crush geredet. Und wird es auch nicht mehr tun. Die Kollegen haben ja auch nichts bemerkt. Sie ist ja jung und vernünftig genug, Herrn Kessner, den Ehemann und Chef, nicht öffentlich anzuhimmeln.

Elke sieht sich schon wieder selber an. Soeben hat ihr ein Kollege ein Foto via E-Mail geschickt. Von heute. Sie hat gar keine Augenringe mehr und kann ganz zufrieden sein. Auf der Skala von 1 bis 10 ist sie mehr im oberen Drittel. Findet sie.

Herr Kessner klatscht in die Hände. Und läutet damit praktisch das Ende des Arbeitstages ein. Und das Ende ihrer Liebe, äh Karriere in diesem Unternehmen. Elke fragt sich, ob sie alles richtig gemacht hat.

22. Das heißt, zwei Jahre war sie jetzt hier. Ein Elftel ihres Lebens. Herr Kessner schon 20 Jahre. Die Hälfte seines Lebens. Und in dieser Zeit hatte er nie eine Affäre. Zumindest im Büro. Was natürlich nicht heißt, dass er draußen neben dem Reihenendhaus keine hatte.

Elke versucht sich Herrn Kessner mit 22 vorzustellen, aber schafft es nicht. Als er so alt war wie sie, war er schon verheiratet. Seine Frau war ein paar Mal bei Betriebsfeiern dabei. Elke hatte nie wirklich mit ihr gesprochen. Lediglich belanglose Worte getauscht. Mehr nicht. Vermutlich spricht auch Herrn Kessner kaum mit ihr. Er ist ja schließlich immer im Büro. Und zudem rund um die Uhr erreichbar. Dem Handy sei Dank. Und das in einem produzierenden Betrieb mit 24 Stunden Schichtdienst.

Herr Kessner hat auch eine Tochter. Die ist fast so alt wie sie. Schon 20. Und hat auch ein Handy. Und auch schon einen Sohn. Trotz Handy. Gerade geboren. Die Kessners sterben nicht aus. Soviel ist klar. Die Welt geht immer weiter. Herr Kessner steht nach wie vor vor ihr und allen anderen und redet. Sein Mund geht auf und ab. Auf und ab. Sie sitzt noch immer an ihrem Schreibtisch und starrt ihn an, hört aber nichts...

Frau Mersmann tickt sie kurz an. Von hinten. Holt sie zurück in die Gegenwart. Befördert sie in das jetzt und hier. Sie hat das hier nicht mehr unter Kontrolle und bricht fast in Tränen aus. Aber nur fast.

Herr Kessner geht als erstes. Schluss. Aus. Feierabend. Klappe zu, Affe tot.

Autor:

Silke Brocks aus Dortmund-Nord

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