Löwen in der Dortmunder Nordstadt
Vor 119 Jahren eröffnet ein Wirt den ersten Tierpark

Foto: Auch heute befindet sich eine Gaststätte am selben Ort
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Sich von Mitbewerberinnen und Mitbewerbern abzuheben und ein Alleinstellungsmerkmal zu bieten wird heute in jedem Marketing-Seminar gelehrt - Das dies jedoch keine Erfindung der Neuzeit ist, zeigt eine in Vergessenheit geratene Geschichte aus der Dortmunder Nordstadt:

Um 1900 wurde an der Ecke Lessing-/Leibnizstraße, damals ein Neubaugebiet, durch den Architekten und Kaufmann Gustav Schäfer ein neues Haus erbaut in dessen Erdgeschoss eine Gaststätte der besonderen Art einziehen sollte. Die Idee des geschäftstüchtigen Dortmunders war dabei, eine Kombination mit der Präsentation lebendiger Tiere und einer Art Naturkundemuseum.

Die Anfänge des letzten Jahrhunderts stellten dabei den Höhepunkt des Kolonialismus in Deutschland dar und waren von einer großen Neugierde und Faszination der Menschen im Kaiserreich auf ferne Länder, Menschen und Tiere geprägt.

In Städten wie Berlin waren zu dieser Zeit auch sogenannte Völkerschauen ein Publikumsmagnet, in diesen wurden Angehörige fremder Völker (meist aus Afrika) in zooartiger Form gezeigt. Nicht zuletzt um die Überlegenheit der westlichen Kolonialmächte zu zeigen. Die Blütezeit dieser Völkerschauen in Europa war zwischen 1870 und 1940.

Konkurrenz unter Dortmunder Kneipen

Heute schwer vorstellbar, aber im Dortmund der Jahrhundertwende herrschte ein hoher Konkurrenzdruck und viele Kneipen und Gaststätten warben darum, dass durstige Bergleute und Stahlarbeiter dort ihren Lohn in die heimische Bierproduktion umsetzten.

Die Idee, eine Gastsstätte mit einer Außenfläche für Tiere zu kombinieren, war zu diesem Zeitpunkt konkurrenzlos, denn einen Tierpark oder Zoo gab es (noch) nicht und die einzige Möglichkeit exotische Tiere zu sehen, bestand seinerzeit nur in der Funkenburg, die für damalige Mobilitätsverhältnisse ein ganzes Stück weit weg lag und sich mit seinen wenigen und größtenteils einheimischen Tierarten nach Meinung von Inhaber Schäfer nicht auf Augenhöhe mit seinem Vorhaben befand.

Bär, Löwen und Panther ziehen ein

Im November 1901 eröffnete schließlich mit dem Pächter Herman Bremer aus Münster die Gastwirtschaft "Zum Thierpark", in dem die Dortmunderinnen und Dortmunder neben zwei Sälen mit Bühne auch eine Kegelbahn und Billard vorfanden, jedoch zu diesem Zeitpunkt noch ohne jedes Tier.

Dies änderte sich im Winter, als die angrenzende Gartenfläche von rund 1.500qm fertig wurde und ab März 1902 die ersten Tiere einzogen: Während auf der nördlichen Grundstückseite sich die Zwinger für einen Panther, zwei Löwen, einen "Hufeisenbären" (So genannt aufgrund einer Fellzeichnung in der Form eines Hufeisens) und sogar für Kängurus befanden, wurden in anderen Bereichen Vogelkäfige, ein Fischbehälter und sogar zwei Gehege für Hirsche und Damwild angelegt.

Bieten, selbst im Jahr 2021, Zoos kaum ausreichend Fläche für eine artgerechte Haltung von Wildtieren, so waren die Tiere im Garten der Gaststätte auf engstem Raum zusammengepfercht - Eine Tatsache die unter heutigen Gesichtspunkten erschreckend wirken mag, jedoch im Kontext der damaligen Zeit gesehen werden muss, einer Epoche, in der auch Menschen anderer Länder nicht als gleichberechtigt angesehen wurden.

Für die zahlende Gäste stand hingegen mehr Platz zur Verfügung als für die Tiere, so wurde der geräumige Mittelteil, abgesehen von einer kleinen Laube für die Besucherinnen und Besucher, komplett frei gelassen. Um diesen eine optimale Anreise zu ermöglichen wurde wohl sogar bei der Stadt die Errichtung einer Straßenbahnhaltestelle „Tierpark“ an der Ecke Schützen- /Lessingstraße beantragt.

Eröffnung Ostern 1902

In der Zwischenzeit wurde auch das Museum fertig und präsentierte Exponate von ausgestopften Tieren bis hin zu Eiern, Insekten und Skeletten und vieles mehr. Die offizielle Eröffnung des Tierparks samt Museum Ostern 1902 wurde von hunderten Gästen begeistert angenommen, was laut damaliger Presseberichte zu Menschenmengen in den Außenbereichen und vielen leeren Bierfässern in der Gaststätte führte - Der Plan von Inhaber Schäfer und Pächter Bremer schien also voll aufzugehen.

Medienrummel & Niedergang

War anfangs noch der aus China importierte Hufeisenbär "Lolo" der Liebling der Dortmunder Zeitungen, so änderte sich das im Sommer 1902 schlagartig, als die beiden Löwen Romeo und Julia drei männliche Löwen als Nachwuchs bekamen und schnell zur Hauptattraktion wurden. Aber bereits kurz darauf zeigten sich erste Anzeichen von Stagnation im Interesse der Dortmunderinnen und Dortmunder, so zeugen Werbeanzeigen der damaligen Zeit bereits im ersten Jahr des Tierpark-Betriebes von Angeboten zum ermäßigten Eintritt an Vormittagen und Konzerten an den Wochenenden. Anders als erwartet zeigten auch Schulen nur wenig Interesse für die wilden Tiere und das angeschlossene Naturkundemuseum.

Nach einem einmaligen Besuch des, zugegebenermaßen wenig weitläufigen, Geländes, war wohl bei den meisten die Neugierde befriedigt und die Zeitungen berichteten davon, dass es gerade wohlhabendere Menschen aus den südlichen und östlichen Teilen im Sommer eher aufs Land zog, als in das als Arbeiterviertel in dem sich der Tierpark befand. Zudem brachten auch die langen Sommerferien das ohnehin schon geringe Interesse der Schulen komplett zum Erliegen.

Wirt Bremer, der nebenbei noch einen Tierhandel am Westenhellweg betrieb, kämpfte mit Konzerten oder Varieté-Veranstaltungen mit Magiern und Entfesselungskünstlern um seine wirtschaftliche Existenz, konnte den weiteren Niedergang und somit ein baldiges Ende des Tierparks zum Ende des Jahres 1902 jedoch nicht verhindern. Nach knapp einem Jahr in Dortmund mussten so alle Tiere wieder verkauft werden.

Gebäude im Wandel der Zeit

In das nun leere Gebäude zog wenig später ein Nachfolgelokal ein: Das "Gewerkschaftshaus" diente dabei als zentraler Treffpunkt Dortmunder Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bis zum Verbot der SPD nach der Machtergreifung Adolf Hitlers im Jahr 1933. Das in einer Bombennacht zerstörte Gebäude wurde nach dem Krieg recht schmucklos wieder aufgebaut und in alter Tradition auch wieder von einer Gaststätte bezogen. Am "DAB-Eck" erinnert heute jedoch leider nichts mehr an die bewegte Geschichte von Romeo & Julia und den vielen anderen Tieren.

Zoo in Dortmund ab 1953

Wilde Tiere konnten die Dortmunderinnen und Dortmunder erst wieder viel später bestaunen, denn erst am 24. Mai 1953 wurde von der damaligen Zoo-Gesellschaft Dortmund e. V. über dem Grubenfeld der ehemaligen Zeche Glückaufsegen südlich des Rombergparks im Stadtteil Brünninghausen ein Tierpark eröffnet, der später zum heute bekannten Dortmunder Zoo wurde.

Danksagung: Vielen Dank an Klaus Winter, der mich in einer alten Ausgabe aus den 90er Jahren des Historischen Vereins Dortmund erstmalig auf das Thema aufmerksam machte und auch in einem Artikel für die Nordstadtblogger im Jahr 2017 nochmals darüber berichtet hat.

Autor:

Sebastian Everding aus Dortmund-Süd

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