Tanz der Libellen ...

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Tanz der Libellen,

die Zutraulichkeit, die die meisten Tiere mir entgegenbringen, war schon in meiner Kindheit ein positives Erlebnis. Da hatte ich eine wilde Schnee-Eule als Freund, die mir: hier die Geschichte der Eule ...

In der Eifel - es war tiefster, tiefster Winter ...
Alles war gefroren, extrem kalt, doch der Himmel war absolut klar. Alles war unheimlich still, weiß und klirrend kalt. Kein Laut ward' zu hören, als ein kleiner Junge dort hinaus
mußte ...
Seit drei Tagen und Nächten war er schon draußen und er wußte nicht, wie er diese Zeit überstehen sollte. Tausend innerliche Tode war er schon gestorben, doch er lebte immer noch - obwohl er lieber tot gewesen wäre.
Überall funkelten die Sterne, die zum Greifen nahe schienen. Die weißen Gärten und Häuser
- alles war geschmückt, auch die nahestehenden Tannenbäume: denn es war Weihnachten!
Ein Duft vom Gebackenem strömte ihm, wenn er nahe der Häuser war, entgegen. Und es machte ihm klar, wie sehr er Hunger hatte. Doch wie an Essen kommen, geschweige eine
-unbemerkte- Unterkunft?! Er wollte ja unter keinen Umständen auffallen. Er wußte ja (aus der Vergangenheit!), daß die Leute, die ihm halfen, mächtigen Ärger -mit seiner Mutter- bekommen würde. Also vermied er jede Art des Auffallens. Was ihm, in dieser Situation, sehr schwer fiel. Denn er hatte Hunger, ihm war eisekalt und er fühlte sich völlig hilflos - und einsam auf dieser Welt. Ein Verlorenheits-Gefühl, das er zwar schon mehr als gut kannte, doch ihn -immer wieder- auf's Neue überrumpelte.
Ihm war so einsam und elend zumute! Auch hatte er kaum etwas an! Er trug offene Sandalen und dünne kurze Socken. Dann ein kurzärmeliges Nylonhemd und eine kurze schwarze Turnhose - mehr nicht! Für einen Winter - überhaupt keine Kleidung!
Da im Dorf nur mit Holz und Kohle geheizt und auch gekocht wurde, war es in den "Stuben und Küchen" immer gut warm. Hinzu kommt auch, daß der Junge immer wie "ein Berserker" arbeiten mußte - und eh' ins Schwitzen kam. Und - er durfte sich ja nicht dreckig machen ... wehe doch! Wie ein Knecht wurde er gehalten, somit ist zu erklären, warum diese Bedürftigkeit der Kleidung.
Bei dieser Witterung mußte er nun 'raus! In eisig-heiliger Nacht! Und der "Grund" war
-wieder einmal- ein imaginärer Anlaß der Mutter. Sie "fand" immer etwas. Und dann ging es immer "rasend schnell". Wie gesagt, wie er diese Zeit überstand, ist bis dato noch ein großes Rätsel! Da setzt jedes menschliche Ermessen aus - es ist einfach nicht (be-)greifbar!

Mittlerweile hatte der Junge, wieder einmal, einige Kilometer hinter sich gebracht. Ziellos stapfte er zu einer Gegend bis zur nächsten. Wieder einmal kam er nach Rodershausen, wo er auch zur Schule ging. In einiger Entfernung blieb er vor dem Gemeindehaus stehen, denn von dort drangen viele Stimmen und auch Gesang nach draußen - zu ihm.

Da fiel ihm wieder ein, daß es ja Heilig Abend war!
Tiefe Einsamkeit und ein grausames Allein-Sein-Gefühl überfiel ihn. Wehmut und Klage gegen Gott und die Welt - vor allem gegen die Mutter, die ihn -wieder einmal- "vor die Tür gesetzt" hatte. Und das, bei "so einem Wetter" - und noch an Heilig Abend!

Hoffnungslosigkeit übermannte ihn - und er zitterte vor Kälte. So stand er frierend -einsam
und verlassen- vor dem Gemeindehaus.

Vor diesem Haus stand ein großer Baum, der gut zu erklettern war: dort stieg er 'rauf. So konnte er sehen, was im Gemeindehaus los war. Auch - wer alles da war. Er kannte sie ja fast alle. Erstens durch die Gaststätte der Mutter, zweitens durch die Schule.
So konnte er -teilweise- am Weihnachtsfest "teilnehmen" ...
Da es keiner wußte, da ihn keiner sah, da es kein Mensch ahnte - wurde der Junge auch nicht entdeckt (obwohl es ihm recht gewesen wäre ...). Durch die Nähe des Hauses und der Lieder und durch das Wirrwarr der Stimmen, fühlte er sich nicht -so ganz- allein.
Gerade - in solch' einer Nacht!
Die Stimmen taten ihm gut, denn die meisten kannte er. So brauchte er nicht immer zu versuchen 'reinzuschauen, denn es war mühsam vom Baum aus, auch nicht ganz ungefährlich. Man mußte sich sehr weit 'raushängen, um überhaupt etwas sehen zu können, geschweige etwas deutlich zu erkennen. Aber diese unbequeme Haltung hielt in wach! Auch brachte sie ihn zum Schwitzen. Nach einiger Zeit suchte er aber nach einer "bequemeren" Stellung - und so machte er es sich "gemütlich auf diesem Baum" ...

Bei dieser Eiseskälte - unmöglich!
Diese Ruhe-Stellung war aber ein großer Fehler, denn erstens geschwächt durch die tagelange Kälte, kein Essen. Und zweitens - nun durch das "Hängen im Baum". Er wurde müder und müder. Er nickte immer wieder ein und fing noch mehr zu frieren an. Auch war die Gefahr, vom Baum zu fallen, dadurch immer größer. Einige Male wäre er fast gefallen, doch irgendwie schaffte er es doch oben zu bleiben.

Er merkte nicht einmal, daß die Weihnachtsfeier längst ihr Ende gefunden hatte, daß es schon späte Nacht war - so im "Tran" war er.

Eigentlich schwebte er in großer Gefahr. Vom Baum zu fallen, sich dabei vielleicht die Knochen zu brechen oder auch zu erfrieren - und mehr noch! Aber dort oben schien es ihm etwas wärmer (durch die Äste - oder war es Einbildung?) zu sein. Doch durch das Frieren und Schwitzen, waren die paar Klamotten die er trug so naß, daß er sich noch etwas anderes hätte "einhandeln" können ...
Es fiel ihm immer schwerer, sein Gleichgewicht zu halten. Auch waren Hände und Füße so steif gefroren, hinzu kam noch die Müdigkeit - und die nasse Kleidung. Kann es noch kälter werden als kalt? Denke doch. Jedenfalls vom Gefühl her ...

Wenn Müdigkeit, Hunger, Nässe und Einsamkeit sich vereinen, so kann das Gefühl Kälte als kälter zu erscheinen bzw. sich so anzufühlen, durchaus eintreten.
Hinzu kommt - die Weihnachtsstimmung, die macht alles noch viel, viel schlimmer. Gerade für einen Jungen von elf Jahren!

Blau vor Kälte, fast nicht mehr bei Sinnen, sah er plötzlich eine Eule. Spinne ich, so dachte er. Träume ich ..., bis er nach und nach begriff, daß da tatsächlich -unweit von ihm- eigentlich direkt vor ihm, eine Eule saß.
Sie war fast nicht zu erkennen. Da alles rundherum weiß war, voll mit Schnee, fiel sie gar nicht auf. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick! Es war eine weiße und wunderschöne Eule.

Beide beäugten sich eine Weile - und der Junge hatte das Gefühl einer gewissen, ihm unbekannten, Vertrautheit. Er versuchte sie, nach langem Zögern, zu berühren - sie ließ sich das sogar gefallen! Sie bewegte sich kaum, doch sie beobachtete jede Bewegung des Jungen!
Ihm wurde warm um's Herz. Endlich bist du nicht mehr so ganz allein, dachte er. Was der Junge sonst noch sprach, weiß ich nicht mehr, jedenfalls war -für eine Zeit wenigstens- die Einsamkeit verdrängt.

Irgendwann hielt er es aber auf dem Baum nicht mehr aus, er brauchte Bewegung, auch mußte er nötig. Als er versuchte vom Baum zu klettern, merkte er, wie steif er schon gefroren war. Alles tat ihm weh - jede Bewegung. Die Eule schien ihn immer wieder anzuspornen. Machte er Pause, weil er einfach nicht konnte, machte sie irgendwelche Geräusche. Bewegte er sich, so war sie still. So ging das einige Zeit - bis er endlich (mehr oder weniger) vom Baum gefallen war. Als er auf seine Füße stand, schrie er auf, denn diese taten ihm so weh', er hatte das Gefühl, jetzt müsse er sterben. Alles war taub und blau.

Plötzlich, in seinem großen Schmerz, flog die Eule davon. Er rief ihr nach. Der Junge wurde traurig. Doch bevor seine Traurigkeit richtig ausbrach, war die Eule wieder da.
Sie fiebte so komisch, flog an und kam sofort zurück. So ging das eine ganze Weile (dieses Verhalten kannte der Junge - von seinem Hund Nicki, der leider überfahren wurde!), bis der Junge aufstand und in ihre Richtung nachging.
So folgte der Knabe der Eule ...
Der Schnee lag hoch und der Junge stapfte durch den Schnee, der teilweise höher lag als der Knabe groß war. Eine ganze Weile ging das so, die Eule vor ihm - er hinterher.
Plötzlich war die Eule wieder weg! Der Junge rief, rief und rief und rannte (soweit es möglich war) los. Die Eule fand er nicht, dafür aber eine Scheune. Der Junge ging auf diese zu, sie war nicht verschlossen. Er trat ein und sah, daß diese voller Strohballen war.
Er verschloß die Tür, suchte sich eine "stille Ecke" unterm Dach, damit ihn keiner so schnell finden konnte - und machte einen Strohballen auf: er schlief auf der Stelle (wie tot!) ein.
So überlebte der Junge diese Zeit.
Hin und wieder sah er diese Eule wieder. Er wußte, daß sie es war. Denn jedes Mal kam sie ihm stets sehr nahe. Sie zeigte keinerlei Angst vor dem Jungen.
So ging das noch einige Zeit. Sie sahen sich - dann und wann, dann wieder eine zeitlang nicht. Bis der Junge wegzog.

Heute weiß und denke ich, bin sogar fest davon überzeugt, daß diese Eule (wohl eine
Schnee-Eule?!) dem Jungen das Leben gerettet hatte. Ich bin mir dessen völlig sicher.
Mögen andere mich für verrückt erklären ... aber genau so - war es tatsächlich! Ich weiß es ...
...ich weiß es, denn dieser Junge - war ich selbst!

So geschieht es immer wieder, daß auch Libellen zu mir kommen.

Copyright © by Absalom H. Schnippering

Autor:

Axel-Helmut Schnippering aus Dortmund-City

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