Erinnerung
Stolpersteine für Scharnhorst?
Karl Marrek wurde vor 89 Jahren in Scharnhorst geboren, in der Siedlung am Wambeler Holz ist er aufgewachsen. Er kann sich gut an die Vorfälle rund um die sogenannte „Reichskristallnacht“ erinnern.
Bei den Novemberpogromen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in ganz Deutschland etwa 400 Juden ermordet, weitere 400 kamen in den Folgetagen ums Leben. Über 1400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Es traf auch eine Nachbarsfamilie der Marreks, an die sich Karl Marrek noch erinnert:
„Zum Gedenktag zum Holocaust sehe ich immer wieder vor meinem geistigen Auge die Möbel eines Nachbarn zerbrochen auf der Strasse liegen, dabei war der Mann Arbeiter wie unsere Väter. Wäre es nicht richtig, auch in solchen Fällen mit einem Stolperstein zu zeigen, dass die Nazis auch vor der arbeitenden Bevölkerung keinen Halt kannten?“
Mit seinem Anliegen hat sich Marrek an die Bezirksvertretung in Scharnhorst gewandt. Bei Bezirksbürgermeister Heinz Pasterny rennt Marrek damit offene Türen ein: „Mich ärgert es schon lange, dass es in Scharnhorst bisher keinen einzigen Stolperstein zum Gedenken an die verschleppten und getöteten Menschen gibt. Ich würde das auf jeden Fall unterstützen.“
Pasterny weiß von zwei jüdischen Scharnhorster Familien aus der Zeit. Der berühmteste jüdische Sohn Alt-Scharnhorsts war sicherlich Kurt Julius Goldstein. Seine Eltern betrieben in Scharnhorst ein Warenhaus.
Nachdem der Vater 1920 an den Folgen einer Kriegsverletzung starb, siedelte die Witwe 1923 mit ihren Kindern nach Hamm um. Als NS-Verfolgter berichtete Kurt Julius Goldstein in zahllosen Zeitzeugengesprächen an Schulen und bei Veranstaltungen von seinem Leben. Auch die Gesamtschule in Scharnhorst hat Goldstein wenige Jahre vor seinem Tod besucht, um aus seinem Leben zu erzählen. Von Beruf war er Journalist und Rundfunkintendant.
Auch die Familie, auf die Karl Marrek sich bezieht, hieß Goldscheidt oder Goldstein. Gut möglich, dass es sich um Verwandte der Kaufmannsfamilie handelte. Der Vater der Familie war Arbeiter, sie wohnten in der Arbeitersiedlung in der Nähe der Rüschebrinkstraße, am Hahnenholz.
Da die Wohnungen in der Siedlung alle zu Hoesch gehörten, ist es wahrscheinlich, dass der Familienvater, dessen Alter und Vorname nicht bekannt sind, in einer der nahen Hoesch-Werke an der Spingorumstraße gearbeitet hat, vielleicht auch auf der Zeche Kaiserstuhl auf dem Gelände der Westfalenhütte, so Marreks Vermutung.
„Der Mann war Jude, aber die Frau Christin“, erinnert sich Marrek. „Sie hatten zwei Töchter, etwa in meinem Alter.“ Möglicherweise hat sich die Frau wegen der Rassegesetzte scheiden lassen, Karl Marrek kann sich erinnern, dass die Mädchen später nur noch zu Besuch da waren.
Soweit die Einzelheiten, an die sich Marrek erinnert. Doch wie geht es mit den Stolpersteinen weiter? Nicht die Bezirksvertretung ist zuständig für die Verlegung der Stolpersteine, erklärt Philipp Urban. Als Referent von Andreas Roshol betreut das Jugendprojekt des Jugendrings „Zukunft braucht Erinnerung“.
„Idealerweise forscht der Initiator selbst nach Daten, aus denen dann ein Stolperstein werden kann.“ Besonders für Jugendgruppen oder Schulen bietet es sich aber auch an, im Rahmen eines Unterrichtsprojektes nachzuforschen.
Verifiziert werden die Ergebnisse der Projekte vom Stadtarchiv. Einen Beschluss für jeden einzelnen Stolperstein braucht es nicht, der Rat der Stadt hat bereits im Vorfeld beschlossen, dass alle bestätigten Stolpersteine verlegt werden können.
Karl Marrek wird wegen seines fortgeschrittenen Alters nicht selbst Recherchen betreiben können, obwohl er die neueste Technik, Laptop und Internet, durchaus beherrscht – doch vielleicht findet sich ja eine Scharnhorster Schule, die die Reise in die Vergangenheit unternimmt.
Karl Marrek würde sich das wünschen: „Viele junge Leute wissen so wenig über diese Zeit damals, dabei kann man daraus eine Menge für heute lernen.“
Stolpersteine in Dortmund:
Stolpersteine werden im Rahmen des gleichnamigen Kunst-Projekts von Gunter Demnig nicht nur in Dortmund verlegt. Mit ihnen soll den Opfern des Nationalsozialismus gedacht werden. Eine Liste der Dortmunder Steine gibt es im Internet auf Wikipedia.
Die ersten Stolpersteine in Dortmund wurden am 19. Oktober 2005 im Ortsteil Husen verlegt. Sie erinnern an Erich und Kurt Meyer, die bis zu ihrer Deportation in der Husener Str. 63 lebten. Die Verlegung erfolgte auf Initiative einer Arbeitsgruppe der Hauptschule Husen. Mittlerweile gibt es in ganz Dortmund über 250 Stolpersteine.
Autor:Lokalkompass Dortmund-City aus Dortmund-City |
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