Endlich aus dem Fenster gucken
„Ich bin überglücklich, dass ich diese Wohnung gefunden habe“, strahlt Hedwig Pund. Dabei klingt der größte Vorteil ihrer neuen vier Wände zunächst banal: „Hier kann ich aus dem Fenster gucken.“
Doch genau diese vermeintliche Kleinigkeit hat die 59-Jährige lange vermisst. „14 Jahre lang habe ich im Hirschkampzentrum gewohnt“, erklärt sie. „In meinem Apartment dort waren die Fenster zu hoch, so dass ich von meinem Rollstuhl aus nicht nach draußen sehen konnte.“ So war für Hedwig Pund irgendwann klar, dass sie eine neue Wohnung braucht.
„Eigentlich habe ich vor sieben Jahren schon angefangen zu suchen, aber in den letzten vier Jahren ist es richtig intensiv geworden“, berichtet sie. Unterstützung bei der Wohnungssuche bekam sie von Angelika Westhoff-Haschke, Sozialarbeiterin im Beratungs- und Infocenter der Stadt Waltrop.
„Es hat nicht lange gedauert, bis auch ich davon überzeugt war, dass eine neue Wohnung für Frau Pund sinnvoll ist“, erklärt Angelika Westhoff-Haschke. „Aber es war gar nicht so einfach, eine passende zu finden.“
Auch bei der jetzigen, in der Hedwig Pund seit Herbst wohnt, gab es zuvor viele Bedenken. „Eigentlich fanden alle, dass ich mich darin nicht richtig mit meinem Elektro-Rollstuhl bewegen kann“, erinnert sie sich. „Aber ich habe immer gesagt, dass ich es zumindest einmal probieren will. Irgendwann haben Frau Westhoff-Haschke und ich sie uns mal angesehen und einen Probelauf mit dem Rollstuhl gemacht. Und siehe da: Es ging!“
Ihr Umfeld davon zu überzeugen, was möglich ist: darin hat Hedwig Pund jede Menge Erfahrung. „Ich bin Spastikerin, kann meine Muskelbewegungen nicht immer kontrollieren“, erklärt sie. „Diese Behinderung habe ich, seit ich denken kann. Als ich vierzehn Jahre alt war, durfte ich nicht mehr zur Schule gehen und sollte im Bett bleiben. Aber das wollte ich nicht. Also habe ich als erstes geübt, mich alleine anzuziehen. Monate habe ich gebraucht, bis ich wenigstens einen Pullover anziehen konnte. Aber so ging es weiter. Natürlich gibt es auch immer wieder Rückschläge, aber ich tue alles, um selbständig zu bleiben.“
Oft ist das ein harter Kampf. Mit sich selbst, aber auch mit den Menschen in ihrer Umgebung. „Wir professionellen Helfer müssen immer genau überlegen, was möglich ist und was nicht“, so Angelika Westhoff-Haschke. „Und Frau Pund muss immer wieder darauf achten, wo ihre eigenen Grenzen der Selbständigkeit sind. Dass sie in ihrer eigenen Wohnung lebt, ist nicht nur wegen ihres starken Willens möglich, sondern auch wegen einer engen Zusammenarbeit mehrerer Stellen. Bei diesem Netzwerk zeigt sich auch die Stärke einer Kleinstadt. Weil sich die Beteiligten gut kennen, läuft vieles einfach und reibungslos ab.“
Und auch, wenn es für Hedwig Pund zunächst nicht einfach zu akzeptieren war, dass sie Unterstützung durch einen Pflegedienst braucht, so ist sie nun voll des Lobes darüber: „Die sind sehr zuverlässig, mit denen bin ich wirklich zufrieden. Auch wenn es manchmal zu Diskussionen kommt.“
Aber genau das ist die Stärke von Hedwig Pund: Sich ihre Selbständigkeit erkämpfen, sich mit den Verhältnissen und den Menschen in ihrer Umgebung arrangieren, Einschränkungen – meist zähneknirschend – hinzunehmen. „Damit muss ich mich abfinden“, sagt sie dann.
Aber es gibt Dinge, mit denen will sie sich nicht abfinden. Das kann auch ein zu hohes Fenster sein. Wie gesagt, sieben Jahre lang hat sie für eine bessere Aussicht gekämpft. Die hat sie nun und jedes Mal, wenn sie aus dem Fenster ihrer neuen Wohnung sieht, ist sie „überglücklich“.
Autor:Hubert Lohrmann aus Recklinghausen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.