Tiere werden zu Opfern der menschlichen Pandemie
Olympia – die Geschichte einer Corona-Katze

Abgemagert bis auf die Knochen: Nicht einmal zwei Kilo brachte Olympia bei der Tierärztin auf die Waage. | Foto: Streunerseelen - stray souls foundation
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Mit dem Jahr 2023 geht für Tierschützer im Kreis Recklinghausen ein „Horror-Jahr“ dem Ende zu. „Noch nie zuvor haben wir so viele offensichtlich ausgesetzte Tiere aufgegriffen“, erklärt zum Bespiel Christina Oddey von der Streunerseelen – stray souls foundation. Die private Katzenschutz-Initiative kümmert sich um freilebende, verwilderte Katzen in Castrop-Rauxel, Waltrop und Suderwich – eigentlich, denn: „Fast jede zweite Katze, die wir 2023 sichern konnten, war keine gestandene, wilde Straßenkatze, sondern handzahm und bis auf die Knochen heruntergehungert“, berichtet die 38-Jährige. Und so beginnt auch die Geschichte der kleinen Hauskatze Olympia und ihrem vierköpfigen Nachwuchs.

Anfang Mai dieses Jahres geht bei den Streunerseelen ein Anruf aus Castrop-Rauxel ein. In ihrem Garten habe sich eine fremde Katze niedergelassen und vermutlich auch bereits Nachwuchs zur Welt gebracht, erklärte eine Dame am Telefon. „Instinktiv hat die Frau richtig gehandelt“, erinnert sich Christina Oddey. „Sie hat der Katzenmama etwas zu Essen in die Nähe gestellt und ansonsten die kleine Familie in Ruhe gelassen. Und: Sie hat direkt uns informiert.“

Das Leid der Streunerkatzen in Waltrop, Castrop-Rauxel und Suderwich

Vor über vier Jahren rief Christina Oddey gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten die Privat-Initiative Streunerseelen – stray souls foundation ins Leben. Das Ziel: Mit Futterstellen, medizinischer Versorgung und Kastrationsaktionen das Leid der verwilderten Streunerkatzen in Waltrop, Castrop-Rauxel und Recklinghausen-Suderwich einzudämmen. „Wir reden hier von Katzen, die Nachkommen von unkastrierten Freigängern und ausgesetzten Hauskatzen sind“, so die Tierschützerin. „Meist bereits draußen geboren führen Sie ein hartes, entbehrungsreiches, von Parasiten und Krankheiten geprägtes Leben.“ Und dennoch: „So hart dieses Straßenleben auch ist, irgendwie kommen diese Tiere zurecht bzw. müssen es.“ Denn in ein Zuhause bei Menschen könne man diese verwilderten Tiere nicht mehr vermitteln. „Alles, was uns da noch bleibt, ist es, die Katzen draußen in ihrem Revier zu versorgen, so gut es eben geht, und sie kastrieren zu lassen, damit sie sich nicht noch weiter vermehren.“ Schätzungen nach gibt es allein im Kreis Recklinghausen etwa 15.000 solcher freilebenden Katzen – Tendenz steigend. Doch die Katzenmama in dem Castrop-Rauxeler Garten ist keine davon.

Noch am gleichen Abend nach dem Anruf treffen die Streunerseelen in dem kleinen Garten ein. Mit dabei haben sie eine Lebendfalle. Die Falle postieren die Tierschützer vor einem Sack mit Gartenabfällen. Ihn hat sich die Katzenmama als Geburtstätte für ihre Kinder ausgesucht. Zu hören ist auch ein ganz leises Katzenfiepen. Das Futter, das die Melderin bereitgestellt hatte, wurde bereits vor Stunden weggeräumt. Nur etwas Futter bleibt zurück. Und das befindet sich in der Falle. Alles ist vorbereitet, die Falle scharf gestellt. Die Tierschützer ziehen sich in Hör- und Sichtweite zurück. Nun heißt es warten.

Und tatsächlich dauert es nicht lange. Nach etwa einer halbe Stunde kommt Bewegung in den Sack mit den Gartenabfällen. Dann kraucht etwas Zierliches vorsichtig aus seinem Versteck und geht zielstrebig auf die Lebendfalle zu. Zu groß ist der Hunger, als das man auf einen schnellen Happen verzichten könnte. Mag dieser Kasten aus Gittergeflecht auch noch so bedrohlich wirken.

Klein, süß und endlich in Sicherheit

Plöng! Mit einem lauten Scheppern fällt der Verschluss der Fangbox zu. Die Katze sitzt in der Falle. Nun heißt es für die Tierschützer schnell sein. Das Tier wird kurz in Augenschein genommen und dann die Fangbox mit einem Tuch abgedeckt. „Diese Fangboxen sind der humanste Weg, Katzen einzufangen“, erklärt Christina Oddey. „Die Verletzungsgefahr ist sehr gering. Viele Katzen spielen aber verrückt, wenn sie bemerken, dass sie in der Falle sitzen, es nicht mehr vor- und zurückgeht. Die Freiheit noch durch das Gitter vor Augen, toben sie wie wild und suchen einen Ausweg ins Freie.“ Dann könne es durchaus sein, dass sich die Tiere leichte Blessuren zuziehen. „Deshalb decken wir die Fangboxen sofort ab. Ohne Blick in die Freiheit beruhigen sich die Tiere schnell.“

So klein waren die Kinder von Olympia, als sie von den Tierschützern gesichert wurden. Ostara wartet übrigens noch immer auf ihrer Pflegestelle auf die richtigen Menschen, die ihr ein neues Zuhause geben wollen. | Foto: Streunerseelen - stray souls foundation
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Als nächstes nehmen sich die beiden Tierschützer den Gartensack vor. Behutsam durchsucht Christina Oddeys Lebensgefährte die Gartenabfälle. Und da sind sie: Vier kleine Katzenbabys. Die Augen fast alle noch geschlossen, dürften sie erst wenige Tage alt sein. Vorsichtig nimmt der Tierschützer jedes einzelne in Augenschein. Aufatmen. Soweit scheint es allen gut zu gehen. Was man von der Mutter jedoch leider nicht sagen kann.

Auch die kleine Ocean wartet noch auf ein neues Zuhause. Fest steht jedoch, sie zieht nur gemeinsam mit ihrer Schwester Ostara aus. | Foto: Streunerseelen - stray souls foundation
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Mangelernährung, Flöhe und kaum noch Muskulatur

Schon in der Falle machte das Muttertier einen recht erbärmlichen Eindruck. Auf der Pflegestelle angekommen, wo Mutter und Kinder wieder vereint sind, zeigt sich jedoch das ganze Ausmaß. Olympia, so tauften die Tierschützer die kleine Mami, ist nicht nur extrem zierlich, sondern auch abgemagert bis auf die Knochen. Ihre Beine nicht dicker als die Äste aus dem Gartensack, in dem sie Zuflucht gesucht hat. Das Gesicht eingefallen. Wenige Tage später wird die Tierärztin feststellen: Olympia wiegt keine zwei Kilo, hat neben einer schwere Mangelernährung und Flöhen auch diverse Darmparasiten. Die Muskulatur kaum noch vorhanden. Und Olympia ist noch jung. „Auf ein bis zwei Jahren schätzte die Tierärztin das zierliche Wesen“, so Christina Oddey.

Während sich Olympia im warmen Pflegezimmer um ihren Nachwuchs kümmern durfte, umsorgten die Tierschützer die junge Mami. „Wir haben sie gegen ihre Parasiten behandelt und dafür gesorgt, dass sie genügend Nahrung zu sich nimmt. So konnte sich Olympia ganz in Ruhe um die Aufzucht ihrer Kleinen bemühen.“ Und Olympia zeigt sich als hingebungsvolle Mama. „Sie hat sich komplett für ihre Babys aufgeopfert. Körperlich selbst am Ende hat sie keines ihrer Kinder aufgegeben“, beschreibt die Tierschützerin die Situation. „Alle durften an ihren Zitzen trinken. Und als die Kleinen damit begonnen haben, feste Nahrung zu sich zu nehmen, hatten für Olympia ihre Kinder immer Vorrang am Futternapf.“

Olympia auf der Pflegestelle. | Foto: Streunerseelen - stray souls foundation
  • Olympia auf der Pflegestelle.
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Wenn sich die Tierschützer ihrem Nachwuchs näherten, habe Mama sich bemüht, möglichst bedrohlich zu fauchen, um so die Eindringlinge zu verscheuchen. „Das war schon irgendwie witzig. Ein so kleines, zierliches Wesen, das versucht, die Löwenmama zu mimen.“ Christina Oddey lächelt bei dem Gedanken daran. Wirklich gefährlich sei die Situation nie gewesen. „Olympia hat nicht ein einziges Mal auch nur daran gedacht, ihre Zähne und Krallen einzusetzen.“ Ganz im Gegenteil: Wenn es nicht um ihre Kinder ging, habe sich Olympia als absolut handzahm entpuppt. „Es hat nicht lange gedauert und die zierliche Maus lies sich streicheln und lag bei meinem Lebensgefährten auf dem Schoß.“ Spätestens jetzt sei klar gewesen: Olympia ist keine Streunerin! „So verhält sich keine Straßenkatze“, erklärt die Tierschützerin. „Normalerweise sind wir es gewohnt, dass die Katzen, um die wir uns kümmern, alles versuchen, um nicht in der Nähe von Menschen zu sein. Und wenn sie dafür versuchen müssen, mit ihren Krallen einem die Haut vom Gesicht zu ziehen.“

Olympia – wahrscheinlich eines der zahlreichen Corona-Opfer

Bei einer solchen Zutraulichkeit, wie sie Olympia an den Tag legte, war auch das obligatorische Absuchen nach einem Mikrochip kein Problem. „Wie so oft war natürlich auch Olympia nicht gechipt.“ Um trotzdem einen möglichen Besitzer zu finden, veröffentlichten die Tierschützer Fotos in den sozialen Netzwerken und durchforsteten die Tierregister nach Suchanzeigen sowie Facebookseiten über vermisste Tiere. Aber Fehlanzeige: Olympia wurde offensichtlich nicht vermisst. „Das ist leider trauriger Alltag. Ein Tier wird unbequem, passt nicht mehr ins Leben seiner Menschen oder verursacht Tierarztkosten und schon wird es entsorgt.“ Klassisch kenne man das von Hunden, die zur Urlaubszeit an Autobahnraststätten angebunden werden. „Weitaus häufiger trifft es aber Katzen oder Kleintiere wie Kaninchen“, sagt Christina Oddey. „Irgendwie haben diese verantwortungslosen Menschen im Kopf, dass diese Tiere draußen in der Natur schon zurechtkommen werden. Dem ist aber mitnichten so!“ Olympia sei dafür ein gutes Beispiel. „Selbst im geschützten Pflegezimmer hat sich die kleine Maus total verängstigt in einer Höhle verkrochen, sobald es draußen geregnet oder auch nur etwas mehr der Wind gepfiffen hat. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es für sie gewesen ist, plötzlich draußen diesen Gefahren ausgesetzt zu sein.“

So wie Olympia ergeht es vielen Hauskatzen in Deutschland. Doch seien es, so die Tierschützer, noch nie so viele wie in diesem Jahr gewesen. Ein Grund dafür könne die Corona-Krise aus den vergangenen Jahren sein. „Mit Lockdown und Kontaktsperren haben sich viele Menschen ein Haustier zugelegt. Darunter auch viele kleine Kätzchen“, erklärt die 38-jährige Tierschützerin. „Und jetzt, nachdem die Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen der Vergangenheit angehören, treffen wir vermehrt vermeintliche Streunerkatzen an, die komischerweise handzahm, aber total abgemagert sind, draußen überhaupt nicht zurechtkommen und alle von den Tierärzten auf ein Alter von ein bis drei Jahren geschätzt werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“

Auch jetzt noch, im Dezember und bei Eiseskälte, sind die Tierschützer der Streunerseelen – stray souls foundation draußen unterwegs, um den vielen Straßenkatzen im Vest zu helfen. Und immer wieder stoßen sie dabei auf die sogenannten Corona-Opfer. Die Geschichte von Olympia und ihren vier Kindern ist dabei nur ein Beispiel. Eines, das zum Glück gut ausgegangen ist. Ohne Hilfe, da sind sich Christina Oddey und ihr Lebensgefährte sicher, hätten weder Mama noch die Kinder draußen überlebt.

Auf der Suche nach einem Zuhause

Groß geworden - so sehen die Kinder von Olympia heute aus: Ostara und Ocean suchen noch ein gemeinsames Zuhause. Bei Interesse bitte bei den Streunerseelen melden. | Foto: Streunerseelen - stray souls foundation
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Nur durch den Anruf der aufmerksamen Castrop-Rauxelerin und dem Eingreifen der Tierschützer kann die Geschichte der kleinen Familie weitergeschrieben werden. So hat Olympia sich erholt. „Sie wiegt mittlerweile über drei Kilo und hat ein tolles neues Zuhause gefunden. Bei Menschen, die sie lieben und einer Spielgefährtin inklusive“, freut sich Christina Oddey für ihr ehemaliges Sorgenkind. Zwei ihrer Kinder sind ebenfalls bereits aus dem Pflegezimmer in ein Für-Immer-Zuhause ausgezogen. „Die anderen beiden, zwei Mädchen, sind noch auf der Suche und warten auf ihrer Pflegestelle auf tierliebe und verantwortungsvolle Menschen, die sie adoptieren möchten“, sagt die Tierschützerin. „Wer Interesse an zwei ganz tollen und schmusigen Kätzchen hat, kann sich gerne bei uns melden. Denn auch die beiden haben es verdient, endlich ein neues Kapitel in ihrer Lebensgeschichte anzufangen.“

KONTAKT:

Streunerseelen – stray souls foundation
Tel.: 01 57 / 31 31 25 85
Email: hilfe@streunerseelen.org

Autor:

Lars Riedel aus Castrop-Rauxel

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