Zweiter Weltkrieg: Karlheinz Rauhut (78) erinnert sich an die Zeit der Evakuierung
Seit Monaten begleiten einen die Berichte über die Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen, bei Wind und Wetter an Grenzen ausharren und in improvisierten Unterkünften leben. Viele ältere Deutsche kennen ein ähnliches Schicksal. Sie waren während der Nazi-Zeit auf der Flucht vor dem Bombenkrieg und können ebenfalls von Gewalt und Entbehrungen berichten. Einer von ihnen ist Karlheinz Rauhut.
Als die Bomben auf Castrop-Rauxel fielen, wurde der gebürtige Ickerner, der 1937 zur Welt kam, mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder zunächst ins Allgäu evakuiert. Von dort ging es 1942 in die Nähe von Pyritz in Pommern. „Man wurde nicht mit offenen Armen empfangen. Man war da Flüchtling“, erzählt der heute 78-Jährige. Die ehemalige Scheune eines Großgrundbesitzers, in der Feldbetten aufgestellt worden waren, diente als vorübergehendes Zuhause.
Sudetenland
Nachdem Rauhuts Vater im Krieg gefallen war, ging es zurück nach Ickern, bevor die nächste Evakuierung nach Lachowitz im Sudetenland, dem heutigen Tschechien, anstand. „Anderthalb Stunden mussten alle Dorfkinder durch Wald und über einen Fluss bis zur Schule gehen“, erinnert Rauhut sich. Für die strengen Winter gab es im Dorf ein kleines Schulgebäude, in dem die Familie einquartiert wurde. Bald stieß auch die Großmutter, die zuvor in Sachsen evakuiert war, dazu.
„Wir wurden in der Dorfgemeinschaft akzeptiert, weil wir mitgearbeitet haben“, erzählt Rauhut. Sein kleiner Bruder habe Gänse gehütet, während er selbst die Kühe hütete. „Ich habe mich auf die Leitkuh gesetzt.“ So ging es dann hinaus aus dem Dorf zu einer Lichtung im Wald.
Russen und Tschechen
Von 1943 bis Kriegsende blieb die Familie in Lachowitz. Erste Besatzer vor Ort waren die Amerikaner, die Rauhut Kaugummi und Schokolade schenkten. Dann folgten die Russen. Tagsüber fuhr er mit ihnen auf dem Panjewagen, um „Grünes“ zu holen. Doch abends, wenn die russischen Soldaten getrunken hatten, musste er seine Mutter vor ihnen beschützen. „Vor ihnen war keine Frau sicher.“ Noch heute weiß er, dass eine Ladenbesitzerin und ihre Tochter vergewaltigt wurden.
Danach sind die Tschechen ins Dorf gekommen. „Sie haben sich die Höfe angeeignet“, berichtet Rauhut, der miterlebt hat, wie ein Bauer, der sich wehrte, zu Tode gefoltert wurde.
Erst ins Lager, dann nach Bayern
Schließlich wurde die Dorfgemeinschaft mit dem Leiterwagen in ein Lager verfrachtet. „Sechs Wochen waren wir da, und die ganze Zeit bekamen wir dreimal am Tag Eintopf aus verfaulten Steckrüben“, erinnert sich Rauhut. Von dort wurde die Familie Mitte 1945 in einem überfüllten Eisenbahnwaggon nach Bayern transportiert. „Wir konnten nur stehen, und man hatte keine Chance, der Notdurft der anderen zu entkommen.“
In Bayern angekommen dachte Rauhut, dass es nun aufwärts gehen würde, „weil wir wieder in Deutschland waren“. Doch monatelang musste die Familie über einem Schweinestall hausen und auf Strohsäcken schlafen, bevor es Ende 1946 zurück nach Ickern ging.
Ihre kleine Wohnung hier war zerbombt. „Wir schliefen auf Matratzen auf dem Boden“, berichtet Rauhut von der Zeit, bevor man der Familie eine andere Wohnung zuwies. „23 Quadratmeter für fünf Personen hatten wir dort.“ Denn auch ein Onkel lebte nun mit in der Wohnung.
Zurück in Ickern
Da die Mutter nur eine kleine Kriegerwitwenrente erhielt, ging Rauhut mit Freunden bei Bauern betteln, stoppelte Kartoffeln und sammelte Ähren. Etwas besser wurde es, als die Mutter eine Putzstelle in einer Baracke bekam, in der Bergleute lebten.
Und für eine bessere Unterkunft der Familie sorgte Karlheinz Rauhut schließlich 1952 selbst. „Da wurde in den Aapwiesen neu gebaut, aber nur für Bergleute.“ Also fing er mit 14 Jahren als Berglehrling auf der Zeche Victor 3/4 an. „Damals habe ich das erst als Strafe empfunden“, blickt er zurück. „Aber heute bin ich stolz, Bergmann gewesen zu sein.“
Autor:Vera Demuth aus Bochum |
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