„Wir begleiten die Leute“: Michael Siegbert übernahm die Trinkhalle der Eltern
„Das kenne ich, das kann ich“, dachte sich Michael Siegbert, als er 2003 den Kiosk an der Pallasstraße 30 in Eigenregie übernahm. Denn seit 1989 hatten seine Eltern die Trinkhalle in Rauxel geführt, und schon als Jugendlicher half der heute 44-Jährige, den wir in Teil zwei der Reihe „Kioskgeschichten“ vorstellen, mit.
„Früher habe ich das nicht gewollt“, erzählt Siegbert über seinen Beruf. Nach dem Schulabschluss studierte er Sozialpädagogik, doch da er in diesem Bereich keine Anstellung fand, entschied er sich schließlich für den Kiosk. „Jetzt ist es mir in Fleisch und Blut übergegangen“, sagt er.
Als Michael Siegberts Eltern die Bude übernahmen, gab es nur einen Schalterverkauf und es waren lediglich wenige Zeitungen und Tabaksorten erhältlich. Mit dem Umbau des Gebäudes einige Jahre später folgte auch der Ausbau des Sortiments. „Alles, was meine Eltern einnahmen, haben sie wieder in Waren investiert und so den Laden aufgebaut“, erinnert sich der 44-Jährige. „Wir waren der Kiosk, der alles hat.“
Schwierige Situation
Mittlerweile ist die Situation jedoch schwieriger geworden, und Siegbert hat den Lebensmittelbereich „um einiges reduziert“. Und im Februar 2015 hat er die sechs Angestellten entlassen müssen, die ihn und seinen Partner Michael, der seit einigen Jahren ebenfalls in der Trinkhalle tätig ist, auf Stundenbasis entlasteten. Ein weiterer Einschnitt kam mit der Eröffnung des Netto-Markts Ende des vergangenen Jahres. „Dadurch haben wir 25 Prozent Einbußen“, erzählt Siegbert, „aber ich kann es verstehen, dass es den Laden gibt.“
Seit geraumer Zeit hat er einen Nebenjob bei einem Bestattungsunternehmen und sucht einen zweiten, denn der Gewinn des Kiosks allein reicht nicht aus, um zwei Existenzen zu sichern, sich ein Hobby leisten zu können und etwas für die Altersversorgung zurückzulegen. „Das ist momentan der Knackpunkt“, sagt Siegbert mit Blick auf die Zukunft.
Ein weiterer Nachteil ist das mangelnde Privatleben. Zwischen 5.30 und 7.30 Uhr öffnet der Kiosk und schließt an allen sieben Tagen der Woche um 21 Uhr. „Wir müssen immer präsent sein“, sagt Siegbert.
Kunden halten die Treue
Spaß hat er aber nach wir vor an seiner Arbeit, was nicht zuletzt an den Menschen liegt. Es gibt Kunden, die der Bude seit Jahrzehnten die Treue halten. „Mehrere gehen sogar nicht zu Netto. Das ist schon sehr nett“, freut sich der 44-Jährige.
„Wir begleiten die Leute, die hier wohnen.“ Denn viele kommen auch nur für ein paar Minuten vorbei, wenn sie jemanden zum Reden brauchen. „Wehwehchen, Probleme mit den Kindern, Geldprobleme – das ist alles schon da gewesen. Selbst Sexualprobleme haben wir schon erörtert“, sagt Siegbert über die Bandbreite der Themen.
Mit dem Vorschlag, einen Postenverkauf, zum Beispiel mit Haushaltswaren, anzubieten, bewarben sich Michael Siegbert und sein Partner um die Teilnahme am 1. Tag der Trinkhallen am 20. August. Allerdings wurden sie nicht ausgewählt und haben noch nicht entschieden, ob sie den Sonderverkauf trotzdem anbieten.
Mythos Bude
Aus dem Stadtbild sind sie bis heute nicht wegzudenken, auch wenn es sie nicht mehr in so großer Zahl gibt wie vor einigen Jahrzehnten: Kioske, Trinkhallen und Buden. Ursprünglich zu Beginn der Industrialisierung als Verkaufsstelle für Mineralwasser entstanden, dienen sie schon seit Langem dazu, sich mal eben eine Schachtel Zigaretten, etwas Süßes oder eine Zeitschrift zu kaufen oder einfach nur ein paar Worte zu quatschen. Den Mythos Bude als Ort für Gelegenheitskäufe und als sozialem Treffpunkt feiert die Ruhr Tourismus GmbH mit einem Jahr der Trinkhalle, dessen zentrale Veranstaltung am 20. August der 1. Tag der Trinkhallen ist. Aus diesem Anlass stellt der Stadtanzeiger in der Reihe „Kioskgeschichten“ die fünf Castrop-Rauxeler Buden vor, die sich um eine Teilnahme beworben haben.
Die übrigen Portraits lesen Sie hier:
Markt-Kiosk
Ullas kleine Welt
BonBonBude
Lotto Tabak Presse Obercastrop
Autor:Vera Demuth aus Bochum |
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