Sie überlebte die Gustloff-Katastrophe
„Auf einmal wurde das Schiff ganz hell erleuchtet. Grell-hell. Dann ging es langsam unter. Senkte sich in die Ostsee. Immer mehr. Es war Winter, eiskalt. Ich hielt meine Tochter auf dem Arm. Dann war alles aus. Wir fanden uns im Wasser wieder.“ Die schrecklichen Bilder wird Charlotte Fischer nicht mehr los. „Sie sind hier drin und hier“, sagt sie, zeigt auf ihr Herz und den Kopf. Als die „Wilhelm Gustloff“ am 30. Januar 1945 unterging, war die heute 88-jährige Castrop-Rauxelerin an Bord.
Drei Torpedos eines sowjetisches U-Bootes hatten die „Gustloff“ auf ihrer Fahrt von Gotenhafen nach Westen getroffen. Vor der pommerschen Küste sank das Schiff.
„Ein Krieg ist grausam“, sagt Charlotte Fischer. „Aber das würde ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen.“ Als die „Gustloff“ in der Ostsee versank, war Charlotte Fischer 22 Jahre alt. Bei der Katastrophe verlor sie ihre Mutter, Tochter, ältere Schwester, Nichte und Neffen.
„Das Oberdeck, die Rettungsboote - alles war vereist“, erinnert sich die 88-Jährige. „Die Menschen waren keine Menschen mehr. Wer am besten drängen konnte, kam in die Rettungsboote. Viele sprangen schon oben rein.“
Ihre Familie hatte sich am Oberdeck aufgehalten. „Wir mussten nur eine Treppe hochgehen, haben uns alle an der Reling festgehalten.“ Charlotte Fischer hielt ihre zweieinhalbjährige Tochter fest. „Irgendwie kam ich im Wasser zwischen zwei Rettungsboote, wurde angesprochen. ‚Geben Sie mir die Hand‘, riefen sie. Ich sagte: ‚Nehmen Sie erst meine Tochter.‘“ Irgendwann taten sie es, holten das Kind ins Boot. Doch es war zu spät: Die Kleine hatte einen Herzschlag erlitten.
„Die Nacht war schwarz. Man konnte nichts sehen. Irgendwann hörte ich die Stimme meiner Schwester: ‚Lottchen, bist du das?‘, fragte sie. Sie war die einzige, die aus meiner Familie gerettet wurde.“ Wie viele Passagiere tatsächlich an Bord der „Gustloff“ waren, vermag Charlotte Fischer nicht zu sagen. „Das Schiff war überladen. Manche sagen 8.000, andere 10.000, wiederum andere sprechen von 12.000 Menschen.“ Rund 1.200 von ihnen überlebten die Katastrophe.
„Eine bewegende Geschichte“, sagt Bürgermeister Johannes Beisenherz. Charlotte Fischer überreichte ihm jetzt ein Buch („Die Gustloff Katastrophe - Bericht eines Überlebenden“ von Helmut Schön). „Ich besitze es seit fast 60 Jahren, habe es oft gelesen, gehegt und gepflegt. Und ich weiß, dass es jetzt weiter gepflegt wird“, sagt Charlotte Fischer. Seit 50 Jahren lebt sie in Castrop-Rauxel. Mit der Vergangenheit setzt sich Charlotte Fischer intensiv auseinander. Sie verdrängt nicht. „Ich will alles von der Gustloff wissen, alles sehen“, sagte sie. „Die Menschen sollten nicht immer nach Höherem greifen, sondern mit dem zufrieden sein, was sie haben“, erklärt sie. Und wünscht sich „nie wieder Krieg.“
Autor:Nina Möhlmeier aus Castrop-Rauxel |
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