Schatten-Memoiren (2) - Horst Schmechel berichtet von den Russen
Die Russen kamen
„Als die Russen Berlin erreichten, dachten wir es sei endlich vorbei. Doch die Russen beseitigten unsere Not nicht, sie verschlimmerten sie“, erzählt Horst Schmechel (89) seine Geschichte weiter. Die Schüler der Franz-Hillebrand-Hauptschule hören gebannt zu.
„Mit den Russen in Berlin wurde das Elend noch größer.
Die Russen vergewaltigten viele junge Frauen. Eines Tages rief mir ein Freund zu, ich müsse auf die Straße kommen.
Auf der Straße lagen drei junge Mädchen, alle vergewaltigt. Ich wollte helfen, doch plötzlich hielt ein Russe mit einer Maschinenpistole auf mich. Ich konnte nichts tun“, erzählt Horst Schmechel.
„Die Russen vergewaltigten und plünderten. Wir hatten irgendwann nichts mehr zu Essen. Man war ständig auf der Suche nach Nahrung. Ein anderer Freund hatte mir gesagt, dass man vom Güterbahnhof Speck stehlen könnte und so stahl ich Speck. Ich trug ein riesengroßes Stück durch die Stadt und war fast zuhause, als ich zwei Russen traf. Sie sahen den Speck und nahmen mich mit in ein Wirtshaus. In dem Wirtshaus waren zwanzig Russen. Sie gaben mir Wodka und schnitten vom Speck ab. Sie feierten mit mir.“
Irgendwann sei er völlig betrunken zuhause gewesen - glücklicherweise mit dem halben Speck, sodass es endlich mal wieder etwas Gutes zu essen gab.
Auch in der Zeit nach den Nazis habe er in zwei Situationen großes Glück gehabt.
„Ich habe eigentlich immer Glück gehabt, sonst würde ich heute nicht vor euch stehen“, erinnert er sich.
„Eines Tages habe ich aus Pferden Fleisch geschnitten, damit wir etwas zu essen hatten. Erneut begegneten mir zwei Russen. Sie wollten meinen Ausweis sehen. Ich hatte keinen Ausweis, aber aus irgendeinem Grund hatte ich von jemandem ein Arbeitsbuch in der Tasche. Ich zog es heraus, zeigte es und konnte mich ausweisen - sonst wäre das mein Ende gewesen.
Sie sagten Faschist, nahmen mich mit und brachten mich in das Strafgefängnis Berlin-Plötzensee - jenes Gefängnis, in dem Claus Schenk Graf von Stauffenberg hingerichtet wurde.“
Er habe gehört, dass alle Gefangenen nach Sibirien sollten und gewusst, dass er fliehen müsste. „Ich beobachtete einige Tage die Abläufe, dann entdeckte ich meine Chance. Abends kamen immer neue Gefangene ins Lager - meistens auf Lastwagen. Die Lastwagen hielten immer am Eingangsbereich. Die Russen gingen nur auf einer Seite entlang. Die andere Seite war unbewacht und lag im Dunkeln“, erinnert sich Horst Schmechel.
„Ich entschied mich einfach aus dem Lager zu gehen. Ich hatte Angst. Nach hundert Metern dachte ich, dass gleich ein Schuss ertöne. Nach zweihundert Metern wartete ich auf einen Knall, nach dreihundert Metern auf Gebrüll. Schließlich drehte ich mich um. Ich hatte es geschafft. Niemand hatte mich entdeckt.
Ich begegnete noch einem Trupp. Ich sagte, der Kommandant habe mich nach Hause geschickt. Sie glaubten mir. Ich war entkommen.“
Keine Woche später hätten sich bereits alle Strafgefangenen auf dem Weg nach Sibirien befunden. Sie seien erst 4 Jahre später zurückgekommen. 50 Prozent der Gefangenen seien in Sibirien im Arbeitslager gestorben.
„Nach meiner Flucht aus dem Strafgefängnis hat sich alles zunehmend normalisiert“, sagt Horst Schmechel.
Die Zeit der Luftbrücke (Berlin) sei noch schwer gewesen, aber nicht zu vergleichen mit dem Nazi-Terror oder der anfänglichen Besatzung durch die Russen.
„Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt. Mein Leben habe ich sehr Ernst genommen, aber ich hatte immer Humor. Ich habe versucht das Beste aus jeder Situation zu machen“, beendet Horst Schmechel die Erzählung seines filmreifen Lebens.
Den Schülern gibt der den Spruch auf den Weg „Erfolg, ist die Summe der Bemühungen“, und erntet mit dem Schulgong tosenden Applaus.
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Autor:Markus Tomshöfer aus Castrop-Rauxel |
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