„Inklusion ist eine Jahrhundertaufgabe“: Ein Besuch bei der Martin-Luther-King-Schule
„Wir befürworten inklusive Maßnahmen bei den Schülern, die die notwendigen Voraussetzungen mitbringen“, sagt Wolfgang Scholl, Leiter der Martin-Luther-King-Schule (Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen). „Wir halten aber nichts davon, Inklusion nach Quote zu betreiben.“ Was die inklusive Beschulung aus ihrer Sicht so schwierig mache, und wo man die Vorteile einer Förderschule sehe, erklären er und Konrektorin Susanne Aschenbach im Gespräch mit dem Stadtanzeiger.
Um Kindern mit einem erhöhten Förderbedarf gerecht werden zu können, benötige man vor allem eine Grundvoraussetzung. „Man braucht den fachlichen Austausch im Kollegium“, ist Wolfgang Scholl überzeugt.
Dies sei die große Stärke der Martin-Luther-King-Schule. „Wir sind hier ein sehr kleines System. Das hat den unschlagbaren Vorteil, dass wir alle unsere 132 Schüler mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen kennen“, so Scholl. An einer Regelschule sei man als Sonderpädagoge eher ein Einzelkämpfer, befürchtet er.
Die Martin-Luther-King-Schule sei ein geschützer Raum, biete den Schülern Sicherheit und feste, gewachsene Strukturen.
Schüler in Sorge über ungewisse Zukunft
„Es gibt bei uns einige Schüler, die an einem deutlich größeren Schulsystem untergehen würden“, sorgt sich auch Susanne Aschenbach. Die ungewisse Zukunft der Martin-Luther-King-Schule sei ein Thema, das viel diskutiert werde. „Eine Schülerin hat mich zum Beispiel gefragt, ob ich ihr versprechen könne, dass sie an einer anderen Schule nicht gemobbt wird“, so Aschenbach.
Laut Gesetz stünden einem Schüler mit erhöhtem Förderbedarf, der eine Regelschule besuche, wöchentlich nur 2,5 Stunden sonderpädagogische Betreuung zu. „Rein rechnerisch bekommen unsere Kinder das auch nur“, erklärt Scholl. Dadurch, dass man ausschließlich sonderpädagogisch qualifizierte Lehrkräfte im Kollegium habe, böten sich aber dennoch sehr viel bessere Möglichkeiten einer individuellen Betreuung.
In der Regel habe man es an der Martin-Luther-King-Schule mit Schülern zu tun, die einen mindestens zweijährigen Lernrückstand auf gleichaltrige Schüler einer Regelschule haben.
Zwar sei dennoch der Wunsch und Anspruch da, sie so zu fördern, dass man sie wieder in eine Regelschule integrieren könne. Dies sei allerdings oft utopisch. Man fokussiere sich deshalb in erster Linie auf eine „perspektivisch integrative Arbeit“, biete viele berufsfördernde Maßnahmen an und könne jedem Schüler nach dem Abschluss eine Perspektive geben – sei es, durch einen Ausbildungsplatz oder durch ein Weiterbildungsangebot.
Inklusion nicht schlechtreden
„Wir wollen die Inklusion nicht schlechtreden“, sagt Scholl. „Wir halten sie allerdings für eine Jahrhundertaufgabe.“ Man benötige Geld, Personal, Räume, Fortbildungen und vor allem ausreichend Zeit.
Außerdem sei das Thema Inklusion ein gesamtgesellschaftliches Problem, das man nicht nur auf die Schule begrenzen könne. „Ich finde es sehr begrüßenswert, dass jetzt Bewegung in die Sache kommt“, bemerkt Susanne Aschenbach. Sie habe allerdings die Sorge, dass es nach dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf inklusive Beschulung ab dem Schuljahr 2014/15 nicht mehr weitergehe und das Thema weniger intensiv diskutiert und weiterentwickelt werde.
Autor:Verena Wengorz aus Castrop-Rauxel |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.