„Er war ein wirklich guter Mensch“ - eine Nachkriegsgeschichte

Günther Bickert war nicht viel älter als auf dem Foto hier, als er kurz vor Kriegsende noch eingezogen wurde – der Beginn einer schweren Zeit, die der heute 83-Jährige nur knapp überlebte. | Foto: �Foto: Privat
  • Günther Bickert war nicht viel älter als auf dem Foto hier, als er kurz vor Kriegsende noch eingezogen wurde – der Beginn einer schweren Zeit, die der heute 83-Jährige nur knapp überlebte.
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Ihr Vater rette ihm einst das Leben: Viele Jahre nach Kriegsende hat Günther Bickert Marlen Jakubowski ausfindig gemacht. Ohne ihren Vater Richard Marlow hätte der heute 83-Jährige die russische Kriegsgefangenschaft kaum überlebt.
Januar 1945: Der Zweite Weltkrieg ist für das Deutsche Reich und seine Verbündeten so gut wir verloren. Während Briten und Amerikaner von Westen her anrücken, befreit die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz, Synonym für die unfassbaren Folgen der nationalsozialistischen Rassenideologie.
Gleichwohl Adolf Hitler sich mit dem engsten Zirkel der Macht in den Führerbunker unter der Reichskanzlei zurückzieht, werden ohne Rücksicht auf Verluste alle noch zur Verfügung stehenden Reserven für den „Endsieg“ mobilisiert. Mit anderen Worten: Alte, Versehrte und auch junge Menschen werden an der sogenannten „Heimatfront“ verheizt.
So erging es auch Günther Bickert, der im Januar 1945 als 15-Jähriger zum Soldaten gemacht wurde. „Wir waren als Hitlerjugend eingezogen worden“, erinnert sich der 83-jährige Rentner heute. „Deshalb wurden wir von den Russen als SS eingeschätzt.“
Bickert kam im brandenburgischen Soldin – der Ort liegt heute in Polen und heißt Myslibórz – in russische Gefangenschaft; über Landsberg (Gorzów Wielkopolski) gelangte er nach Posen (Poznan). Weil Bickert für die anderen Kriegsgefangenen Tee kochte, wäre er beinahe erschossen worden: Das Kochen auf offenem Feuer war den Gefangenen unter Todesstrafe verboten. Erst in letzter Sekunde kam ein russischer Offizier und hielt die Vollstreckung durch ein Erschießungskommando auf.
Bickert kam in ein Kriegsgefangenenlager in Krementschuk in der Ukraine. Hier sollte er den Flugaschekanal in einem großen Werk reinigen, eine Arbeit, die ihn fast das Leben kostete. Denn das Reinigen der Anlage nahm mehrere Tage in Anspruch und belastete die Atemwege des damals 16-Jährigen schwer. Der schwer Erkrankte wurde von einem anderen Kriegsgefangenen, Richard Marlow, gepflegt.
„In der Stube“, schreibt Bickert in seinem Brief an Marlen Jakubowski, „lagen wir mit vier Kameraden. Richard fütterte mich zusätzlich mit seinen Esswaren. Er saß oft lange an meinem Bett, denn das Schlucken fiel mir immer noch sehr schwer. Richard hatte, bevor er ins Krankenrevier kam, auf dem Basar seinen Mantel gegen Esswaren getauscht.“
Das gemeinsame Schicksal schweißt die beiden Männer zusammen. Günther Bickert erfährt viel über das Leben seines Mitgefangenen. „Richard“, heißt es in dem Brief weiter, „erzählte viel von zu Hause. Von Fürstenwalde, wo er ein Haus an der Spree hat, und von seinem DKW mit Speichenrädern. Er war von Beruf Elektriker. Ihn beschäftigte aber vor allem, dass er seine Tochter, die im Krieg geboren wurde, noch nicht gesehen hatte.“ Doch während Günther Bickert die gemeinsame Gefangenschaft überstand, verstarb Richard Marlow in der Ukraine.
Nach einigen weiteren bewegten Jahren in der ehemaligen DDR kam Günther Bickert schließlich 1956 nach Castrop-Rauxel. Hier heiratete er und bekam mit seiner Frau drei Kinder.
„Als junger Mensch“, schreibt Günther Bickert in seinem Brief, „hat man die Vergangenheit verdrängt, jetzt im Alter lebt man mehr in der Vergangenheit.“ In naher Zukunft will der Rentner sich mit der Tochter seines Mitgefangenen treffen – um ihr zu erzählen, „dass Ihr Vater ein wirklich guter Mensch war.“

Autor:

Sascha Ruczinski aus Schwelm

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