Interview mit Dr. Annette Jessinghaus
Einsamkeit macht krank: "Wir sind auf soziale Gemeinschaft programmiert"

Dr. med. Annette Jessinghaus ist Oberärztin an der Klinik für Seelische Gesundheit im Evangelischen Krankenhaus Castrop-Rauxel.
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Dr. med. Annette Jessinghaus ist Oberärztin an der Klinik für Seelische Gesundheit im Evangelischen Krankenhaus Castrop-Rauxel. Im November veranstaltete die Klinik ein Symposium zum Thema „Einsamkeit und Krankheit.“ Zahlreiche Fachvorträge und praxisnahe Workshops begleiteten den Tag. Im Anschluss gab Frau Dr. Jessinghaus ein Interview zum Thema. Hier gibt die Oberärztin Aufschluss darüber, wie sich Einsamkeit auf die Gesundheit auswirkt, was dagegen hilft und wieso es so schwierig ist, ihr zu entkommen.

Weihnachten steht vor der Tür, für viele Menschen eine mit Traurigkeit verbundene Zeit, vor allem dann, wenn Sie einsam sind. Macht Einsamkeit krank?
Dr. Jessinghaus: Natürlich wird den Menschen gerade jetzt, in der Adventszeit, besonders bewusst, wenn sie einsam sind. Entwicklungsgeschichtlich gesehen sind wir Menschen auf ein Leben in der sozialen Gemeinschaft „programmiert“. Wenn wir uns länger einsam fühlen, versetzt das den Körper in Alarmbereitschaft und verursacht Stress.

In welcher Form wirkt sich das auf den Körper aus?
Dr. Jessinghaus: Der Körper produziert mehr Cortisol, Blutdruck und Blutzucker steigen, das Immunsystem wird geschwächt. Die Betroffenen schlafen oft schlecht, ernähren sich ungesund, konsumieren häufiger Alkohol oder Nikotin und bewegen sich wenig. Dies alles begünstigt Herzerkrankungen, Schlaganfälle, Diabetes, aber auch Depression, Angst- und Demenzerkrankungen. Über die Zusammenhänge haben wir bei der Tagung mit Experten diskutiert.

Wie definieren Sie Einsamkeit?

Dr. Jessinghaus: Einsamkeit ist mit einem unangenehmen Empfinden verbunden, während wir beim Alleinsein auch an ein positives Gefühl denken können. Es gibt sehr viele Definitionen von Einsamkeit. Eine besonders passende hat Prof. Dr. Schwab, der viel zu Einsamkeit geforscht hat, bei unserem Symposium eingebracht: Einsamkeit ist das quälende Bewusstsein eines inneren Abstands zu den anderen Menschen und die damit einhergehende Sehnsucht nach Verbundenheit in befriedigenden, sinngebenden Beziehungen.

Warum ist das Thema Einsamkeit noch immer ein Tabu-Thema?
Dr. Jessinghaus: Menschen, die sich einsam fühlen, suchen oft die Schuld bei sich selbst – sie denken, dass andere Menschen sie nicht mögen oder meiden. Sie fühlen sich unattraktiv oder nicht erfolgreich genug und ziehen sich zurück. In unserer so vernetzten, digitalen Welt ist es besonders beschämend, wenn ich mir eingestehen muss, dass ich die Kontakte nicht so hinkriege, wie die Anderen das schaffen. Und das verstärkt wieder den Rückzug und die Isolation.

Also ein Teufelskreis?
Dr. Jessinghaus: Leider ist das so. Und aus diesem Teufelskreis finden die Betroffenen häufig nicht allein wieder heraus.

Was können einsame Menschen konkret tun, um aus diesem Teufelskreis zu entfliehen?

Dr. Jessinghaus: Das ist sehr individuell. Rausgehen und mit Leuten Kontakt aufnehmen, sei es im Chor, in Sportvereinen, bei der Volkshochschule, in der Kirche oder der Gemeinde, je nach Alterskategorie, wäre natürlich die beste Lösung. Aber genau da liegt ja oft die Hürde und viele Menschen, vor allem psychisch Erkrankte, trauen sich das nicht. Manchmal braucht man dann aufsuchende Hilfen, wie einen Pflegedienst oder ambulant betreutes Wohnen, wenn der Rückzug besonders groß ist. Und dann ist es natürlich eine Aufgabe in der Psychotherapie, gemeinsam mit den Betroffenen herauszufinden, warum sie sich zurückziehen, wie das mit einer seelischen Erkrankung zusammenhängen kann und wie sie da wieder hinausfinden. Und genau darum ging es natürlich auch in unserem Symposium, wie man in Einzel- oder auch Gruppenpsychotherapie den Betroffenen helfen kann.

Autor:

Ev. Krankenhausgemeinschaft aus Herne

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