"Hunger" als adäquates Trainingshilfsmittel?

„Soll ich meinen Hund hungern lassen, bevor sie zu uns kommen?“, ist eine sehr häufig gestellte Frage, von Kunden an mich. Gerade oder besonders dann, wenn diese Menschen schon Hundeschulen bzw. Trainererfahrungen gemacht haben. Meine Standardantwort ist ein kategorisches, imperatives, „Nein!“, mit der gleichzeitigen Bitte, dem Hund aber auch nicht im Gegenzug ein halbes Schwein auf Toast zu kredenzen, 10 Minuten bevor das Training beginnen soll. Ich kenne sämtliche Argumente, die gerne angeführt werden, wenn es darum geht den Hund hungern zu lassen, um ihn nett ausgedrückt, dem Training etwas „zugänglicher“ zu machen. Ich halte diese Argumente schon im Ansatz für verkehrt, tierschutzrelevant und nicht hilfreich. Im Folgenden möchte ich meine Meinung zu diesem Thema auch gerne darlegen und begründen. Gegen das „Hungern“ lassen, sprechen viele Dinge, es gibt ethische, psychische und physiologische Gründe, durch die sich diese „Trainingsmethode“ verbieten und ad absurdum führen lässt.
Die ethisch- moralische Betrachtung des bewussten Nahrungsentzuges eines abhängigen Lebewesens, um es gefügig zu machen, fällt für mich unter den Begriff Machtmissbrauch und Folter. Da wird jetzt der eine oder andere Kollege aufschreien und den viel strapazierten Vergleich vom Wolf als „Urvater“ des Hundes heranziehen. Dieser Vergleich hinkt und ist wissenschaftlich auch nicht haltbar- der Hund ist kein Wolf. Und auch wenn ein Organismus evolutiv darauf eingestellt ist, dass er energiemäßig große Zeitspannen der Entbehrung überleben kann, so ist das ein „Notfallprogramm“ und niemals die Regel. Auch unser Körper ist immer noch auf Dürrezeiten eingestellt, obwohl wir Industrienationen im absoluten Nahrungsüberfluss leben. Ein milliardenschwerer Wirtschaftszweig lebt sehr profitabel von der Kollision zwischen steinzeitlichen Fettdepots und dem parallel dazu völlig pervertierten Schönheitsideal, das nach einem „Size Zero“ strebt. Die Überlebensstrategie der freilebenden Wölfe, viel Nahrung in kurzer Zeit aufzunehmen und in Energiereserven anzulegen, ist zwar sinnvoll, aber es überleben auch hier nur die gesunden und starken Tiere. Allein an dieser Stelle, drängt sich mir die Frage auf, ob ich in den letzten Jahren auch nur eine Handvoll wirklich gesunder Hunde angetroffen habe, die solche Strapazen überleben würden?
Physiologisch gesehen spricht einiges gegen die Hungervariante. Klar ist, dass ein Hund, sofern gesund, hungern kann und wahrscheinlich trotzdem überlebt, aber das heißt ja im Umkehrschluss nicht, dass es für ihn ohne gesundheitlichen Folgen bleibt. Hunde, unter Nahrungsentzug, leiden ebenso wie wir, z.B.: an Unterzuckerung und seinen Folgen; wie Übelkeit, Kopfschmerz, Unkonzentriertheit, niedriger Frustrationstoleranz, etc.. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, das mich wenig so ungehalten macht wie Hunger, deshalb komme ich auch nicht hungrig zum Training. Ein Aggregatszustand, indem ich dann wirklich keinem meiner Kunden zu zumuten wäre. Es macht, so gesehen wenig Sinn, beispielsweise an der Frustrationstoleranz zu arbeiten, mit einem Hund, dessen Reaktionsschwelle künstlich über Hunger schon in den Minusbereich verschoben wurde.
Ein Hund verbraucht bei Gehirn- und Körperleistung ebenso wie wir Glukose, ist diese aufgebraucht, fällt seine Leistungskurve rapide ab- wie soll er überhaupt Leistungen bringen, wenn er schon mit leeren Tanks den Motor startet? Die während des Trainings verabreichten Futterhäppchen, brauchen über den Verdauungsvorgang viel zu lange bis sie so weit aufgespalten sind, dass sie dem Gehirn oder den Muskeln als Brennstoff dienen könnten. Im Gegenteil, die Verdauung entzieht dem Gehirn noch zusätzlich Sauerstoff und Energie, unser Hund wird träge- das alles während des Trainings, dass doch eigentlich dem freudigen Lernen dienen sollte.
Nun, hier wird schon der Eine oder Andere widersprechen, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass sein Hund hungrig und mit Aussicht (meist wörtlich zu nehmen) auf ein Leckerchen, plötzlich Situationen meisterte, die er vorher rigeros verweigert hat. An dieser Stelle kommen wir zu den psychischen Problematiken, die diese Art von Training ausmacht. Ein Hund, der eine Situation als konfliktreich erkennt, wird auf sie dementsprechend reagieren. Einfaches Beispiel, ein Hund traut sich nicht ein bestimmtes Hindernis zu überqueren, er verweigert, hält immer eine bestimmte Distanz und beobachtet aus der sicheren Entfernung, wie die anderen Hunde und ihre Menschen munter die Übung vorführen. Dieser Hund hat einen Grund, warum er sich so und nicht anders verhält und es ist wichtig, dies erst einmal zu erkennen und dann an zu erkennen. Beim Hungertraining passiert im besten Fall, dass der Hund völlig blind seiner „Nahrung“ folgt, ohne die eigentliche Übung überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn etwas zu erlernen. Ich persönlich finde es ist nicht „ok“ die Befindlichkeit des eigenen Hundes zu ignorieren, weil ich die jeweilige Übung als „ungefährlich“ einstufe, um ihn dann mit allen Mitteln dadurch zu locken. Einen ausgehungerten Hund mit einem Keks vor der Nase, bewusst in einen potentiellen Konflikt zu locken, um ihn dann mit der Lösung allein zu lassen, ist grausam, ignorant und nicht ungefährlich. (Anmerkung: Die meisten Beißunfälle zwischen Kindern und Hunden passieren durch Distanzunterschreitungen, die ursächlich beim Menschen zu suchen sind.)
Bei der reinen Handfütterung ergeben sich außerdem einige Schwierigkeiten, die man nicht außer Acht lassen sollte. So kann man einem Hund, der zur Ressourcenverteidigung neigt, ungewollt eine neue „verteidigungswürdige“ Ressource auftrainieren (Mensch wird zur Ressource). Einem Hund, dessen „Baustelle“ im Jagd-, Angst,- oder Aggressionsbereich liegt, kann man über die Futterschiene eh nicht belohnen. Das eigentlich anvisierte Lernziel kann vom dringenden Bedürfnis „Hunger stillen zu wollen“, überlagert werden. Einige Verhaltensauffälligkeiten, entstehen erst über die physischen und psychischen Folgen vom Hungergefühl( Unterzuckerung, Unruhe, Erregbarkeit, usw.). Rein technisch ergibt sich bei Näherem hinsehen oft ein ganz pragmatisches Problem, Handfütterung lässt sich am einfachsten über Trockenfuttergaben bewerkstelligen. Ich möchte an dieser Stelle keine Diskussion über Trockenfutter pro oder kontra beginnen, aber jeder der so füttert, sollte dringend die Flüssigkeitsaufnahme seines Hundes im Blick haben. Hunde, die Trockenfutter essen brauchen erstens Flüssigkeit für den Verdauungsvorgang im Magen und zweitens, macht Trockenfutter still und ergreifend Durst.
Mein Hund bekommt, genau wie wir, drei Mahlzeiten täglich, allerdings bekommt er sie viel pünktlicher als wir Menschen, zum einen, weil er bestimmte Medikamente einnehmen muss, die zwingend an bestimmte Zeiten gebunden sind, zum anderen , um keinerlei Erwartungsunsicherheit meines Hundes an die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse entsteht. Natürlich arbeite ich ihn auch über Futterbelohnungsgaben aus der Hand, aber in seinem Belohnungskatalog macht das nur einen geringen Teil aus. Er hat Futter, zumindest draußen, immer als eher minderwertige Belohnung empfunden. Er fällt bei uns nie in ein „Hungerloch“ und seine Mahlzeiten fallen nie so aus, dass er die Dehnbarkeit seiner Magenwände auf ihre Belastbarkeit testen muss. Für unseren Alltag heißt das, es spricht nie etwas dagegen, auch nach dem leckeren Mahl mit mir zu arbeiten, zu spielen oder spazieren zu gehen. Er bekommt außerdem zwischendurch gerne etwas supertolles, stinkiges zum Kauen- zur Beruhigung, Beschäftigung und Zahnpflege. Dass ihm, auch während des Trainings immer ausreichend Wasser zur Verfügung steht ist selbstverständlich, denn es gibt nur eins was schlimmer ist als Hunger- Durst. Wenn wir etwas gemeinsam trainieren, zeigt er mir seine Grenzen und Konflikte sehr deutlich. Ich muss mir dann Gedanken darüber machen, wo seine Motivation hinter diesem Verhalten liegt, um ihm zu helfen und nicht, was ich ihm alles entziehe, um ihn „führig“ zu machen.
Heike Hillebrand( Hillebrand-hilft-Hundehaltern)

Autor:

Heike Hillebrand aus Bönen

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