Ein Bild - Eine Geschichte
Der Götter Zorn

Dunkle Wolken zogen auf. Immer dichter ballten sie sich zusammen und verschlangen das Sonnenlicht, bis nur noch Dunkelheit übrig war. Siena zog den Umhang enger um sich. Sie hatte es kommen sehen, doch niemand hatte ihre warnenden Worte hören wollen. Nun würden sie alle den Zorn der Götter spüren müssen. Aufrecht stand sie inmitten des heiligen Steinkreises. Ihr Umhang flatterte im aufkommenden Wind und erste Regentropfen trafen ihr Gesicht. Sie wusste, dass es ein großer Fehler gewesen war, den Göttern im Frühjahr nicht das ihnen zustehende Opfer darzubringen. Der Winter war hart und lang gewesen. Ein Teil des Viehs war eingegangen und die Getreidevorräte waren so erschöpft, dass es geradeso zur Aussaat reichte. Und so hatten die Ältesten beschlossen, von den wenigen Ziegen, welche die Kälte überlebt hatten, keine zu opfern und auch von dem Getreide nichts den Göttern darzubringen. Ihre gefüllten Mägen waren ihnen näher als die alte Tradition. Doch sie ahnten nicht, welchen Zorn sie damit hinaufbeschworen. Siena kannte die Legenden, doch niemand wollte ihr glauben. Wann war nur der Zweifel an der Macht der Götter aufgekommen? Siena erinnerte sich nicht mehr. Sie wusste nur, dass ihr schon lange nicht mehr der Respekt entgegengebracht wurde, der einer Seherin zustand. Die Tropfen fielen dichter und durchnässten ihr Haar und ihre Kleidung. Sie reckte ihr Gesicht dem Himmel entgegen, hieß die Flut willkommen. Die Ernte war noch nicht eingebracht, das Vieh graste auf den flachen Wiesen am Fluss. Im anschwellenden Wasser würden die Tiere ertrinken und der schwere Regen, würde die vollen Ähren von den Halmen brechen. Schon bald würden die Menschen den Zorn der Götter mit voller Wucht spüren und sich auf die alten Werte besinnen, während sie ihren Verlust beklagten und Hunger litten. Der Regen prasselte nun erbarmungslos auf das Land nieder. Siena hob das kleine Bündel auf, das neben ihr auf dem Boden lag, und schaute ein letztes Mal zurück zum Dorf. Die Hütten waren durch den dichten Regen kaum zu erkennen. Hier war sie aufgewachsen, doch nun war es Zeit zu gehen.
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Autor:

Sabine Kalkowski aus Bergkamen

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