Ein Bild - Eine Geschichte
Zauberhafter Winter

Elio gähnte herzhaft, dann schlug er die Bettdecke zurück und schlurfte zum Fenster. Er lächelte, als er die verschneite Landschaft sah. Gestern war noch alles braun gewesen, nur ein paar halbvertrocknete Blätter hatten an den sonst kahlen Bäumen gehangen. Über Nacht hatte sich die Welt in eine dicke weiße Decke gehüllt. Er mochte Schnee, sein reines Weiß, scharfe Kanten machte er weich. Stille lag über der Landschaft, wenn es geschneit hatte. Er lächelte noch eine Weile vor sich hin, bis ihm langsam dämmerte, was der nächtliche Schneefall bedeutete.
„Verdammte Pferdescheiße!“, fluchte er verhalten. Er hatte für heute einen Ausflug in die Stadt geplant. Er wollte seine Vorräte an Getreide, getrockneten Fleisch- und Fischwaren, Käse und diverser anderer Dinge für den Winter auffüllen. Er hatte dies vor dem ersten Schnee tun wollen, denn es war schwierig, im Schnee vorwärtszukommen, vor allem wenn er seinen Handwagen dabeihatte. Schließlich konnte er den Krempel nicht tragen, wäre viel zu schwer. Er öffnete das Fenster und steckte den Kopf hinaus. „Verflixter Entenarsch, vergammelte Zuckertorte, elender Fliegendreck!“ Der Schnee lag hüfthoch bis kurz unter den Fenstersims. Wenn er jetzt die Tür öffnete, würde ein Berg Schnee in seinem Wohnzimmer landen, ohne dass er nur einen Meter weit gekommen wäre.
Er schloss das Fenster wieder, denn es wehte ein eisiger Wind herein, und zog seinen Morgenmantel über. Was machte er jetzt? Er brauchte die Lebensmittel. Er konnte den Gang in die Stadt maximal noch eine Woche hinauszögern, aber dann musste es sein. Allerdings wusste er aus Erfahrung, dass der Schnee in den Bergen liegen blieb, sobald er einmal gefallen war. Verärgert stampfte er auf. Wäre er doch nur schon letzte Woche gegangen, aber er hatte einfach keine Lust gehabt. Das hatte er jetzt davon.
Es half nichts. Grummelnd zog er sich an. Kurz verfluchte er seine Entscheidung, sein Heim in den Bergen zu bauen, zwei Stunden Fußmarsch von der nächsten größeren Siedlung entfernt. Aber dann erinnerte er sich wieder, warum er hierhergezogen war. Die Stille und Einsamkeit, die saubere Luft. Die Menschen wussten, wo er zu finden war, wenn sie seine Dienste benötigten. Und für seinen Geschmack kamen immer noch zu viele zu seinem Haus.
Mürrisch öffnete er wieder das Fenster und beugte sich vor. Mit seinem Zauberstab deutete er auf den Schnee vor der Haustür und sprach den Wärmezauber. Erst langsam, dann schneller schwand der Schnee und gab seine Haustür frei. Elio schmolz einen Pfad zum Schuppen, wo er seinen Handwagen aufbewahrte und wo auch seine Hühner wohnten. Er musste sie noch füttern, bevor er loszog. Zufrieden schloss er das Fenster und stöhnte frustriert auf, als er sah, dass Wasser unter der Haustür in das Wohnzimmer gelaufen war und seinen Teppich durchtränkt hatte. Wenn er ihn so liegen ließ, würde er heute Abend muffig riechen. Wütend stampfte er wieder auf. Er vergaß jedes Mal die Ritze unter der Tür zu verstopfen, wenn er Schnee vorm Haus schmolz. Während er seinen Zauberstab auf den Teppich richtete, schwor er sich zum hundertsten Mal, dass er nächstes Jahr rechtzeitig seine Vorräte für den Winter anlegen würde. Zufrieden sah er zu, wie der Teppich zu dampfen anfing. Aber es ging ihm zu langsam. Er musste sich beeilen, wenn er vor Anbruch der Dunkelheit sein Haus wieder erreichen wollte. Er erhöhte die Temperatur, Dampf füllte den Raum und er öffnete Fenster und Tür, den Zauberstab weiter auf den Teppich gerichtet. Er sah nur einen Moment nicht hin, als ihm schon ein brenzliger Geruch in die Nase stieg. Der Dampf färbte sich schwarz und eine kleine Flamme züngelte auf seinem Teppich. Fluchend trat er die Flammen aus und ließ dann die Schultern hängen. Es kam jedes Jahr ein weiterer schwarzer Fleck hinzu. Er seufzte, schüttelte sich dann und drückte die Schultern durch. Dies war der letzte Brandfleck, versprochen!
Er zog seinen Mantel über, schloss sorgfältig die Haustür ab und holte seinen Handwagen aus dem Schuppen. Den Hühnern warf er eine Handvoll Getreide hin, strich jedem von ihnen über den Rücken und machte sich auf den Weg in die Stadt. Den Zauberstab vor sich gerichtet bahnte er sich seinen Weg durch den Schnee. Beinahe fand er seine gute Laune wieder, mit der er aufgewacht war, als die ersten Flocken fielen. Zornig reckte er die Faust in den grauen Himmel. „Hättest du damit nicht bis morgen warten können?“ Jetzt musste er sich auch den Weg zurück durch den Schnee schmelzen. Konnte der Tag noch schlimmer werden?
www.sabine-kalkowski-schriftsteller.de

Autor:

Sabine Kalkowski aus Bergkamen

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