Ein Bild - Eine Geschichte
Wächter der Ewigkeit

Elena hakte Markus unter und rückte dicht an ihn heran.
„Alles in Ordnung?“
„Na ja, bisschen unheimlich sind sie schon. Ich habe das Gefühl, dass sie mir hinterherschauen.“
Markus lachte, machte seinen Arm los und legte ihn um Elenas Schultern. „Deine Fantasie geht wieder mit dir durch.“ Er drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe.
„Gar nicht wahr!“ Sie öffnete die Broschüre, die ihnen an der Pforte zusammen mit den Eintrittskarten in die Hand gedrückt worden war. „Hier steht: Die Ritter aus Holz sind die verwunschene Leibwache des Grafen Wolfram von Unterlohe. Er selbst war Alchimist und suchte, wie viele dieser Zunft, nach dem Stein der Weisen. Es heißt, dass er ihn nicht nur gefunden, sondern auch angewendet hat. Seine Leibgarde ist dazu verdammt, auf ewig die Ehre des Grafen zu schützen und diejenigen zu strafen, die sein Ansehen verletzen.“
„Pft. Alchemie. Wir wissen doch mittlerweile, dass das alles Scharlatane waren. Das sind nur geschnitzte Figuren.“
Elena schaute zu dem Totenschädel des Wächters, an dem sie gerade vorbeischlenderten. Zehn von ihnen säumten den Weg vom Torhaus bis zum Schloss. Er sah ihr direkt in die Augen.
„Komm jetzt, wir haben nur noch eine Stunde, bevor sie abschließen.“ Markus zog sie weiter.
Elena lief ein Schauer über den Rücken und die Haare auf ihren Armen stellten sich auf. Sie hatte das Gefühl, angestarrt zu werden und bevor sie die Kühle des dicken Gemäuers betraten, schaute Elena sich um. Der Holzsoldat blickte geradeaus. Sie seufzte erleichtert. Er war nur eine Figur aus Holz.

„Schau dir den an.“ Markus lachte laut. Er zeigte auf ein Ölgemälde vom Grafen. Er trug ein buntes Gewand und einen spitzen Hut. Dicht beieinanderstehende Glubschaugen schielten über eine lange krumme Nase, die auf der rechten Seite von einer großen Warze verziert wurde. Wulstige Lippen ließen das fliehende Kinn noch kleiner erscheinen. Es war wirklich kein schöner Anblick. „Der sieht aus wie Hexe Baba Jaga. Wahrscheinlich hat man den kleinen Kindern erzählt, dass er sie holen kommt, wenn sie nicht artig sind.“ Markus schoss ein Foto. „Das glaubt uns sonst niemand. Kein Wunder, dass er so viel Zeit für sein Alchemiezeugs hatte. So wie der aussieht, hat den nicht mal eine Blinde rangelassen.“
Im Schloss war es still geworden. Elena horchte unbehaglich nach anderen Besuchern. Außer ihnen schien niemand mehr hier zu sein. Die große Eingangstür schlug mit einem Knall zu. Markus sah auf die Uhr. „Warum machen sie die Tür schon zu? Wir haben noch eine halbe Stunde.“
„Du hättest dich nicht über ihn lustig machen sollen!“ Elena fühlte eine Spannung in der Luft wie vor einem Gewitter. Etwas stimmte nicht. „Lass uns gehen, bitte.“
Markus nahm sie an der Hand. „Besser ist das, bevor sie uns hier einsperren.“ Sie liefen zurück zum Eingang. Sie hasteten die große Treppe hinab, die ins Foyer zur Eingangstür führte. Auf den letzten Stufen stoppten sie abrupt. Elena klammerte sich an Markus. Ihr Herz pochte, als wollte es aus der Brust springen. Ihre Kehle schnürte sich zu, sodass sie kaum Luft bekam.
Die Tür war verschlossen. Vor ihr standen die zehn hölzernen Wächter und starrten zu ihnen hinauf.
www.sabine-kalkowski-schriftsteller.de

Autor:

Sabine Kalkowski aus Bergkamen

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