Ein Bild - Eine Geschichte
Sorgen eines Vaters

Gespannt betrat König Sirius seine neuen Gemächer. Er hatte sie im sonnigen Westflügel, in dem sonst Gäste untergebracht wurden, eigens für sich neu ausstatten lassen. Eine Renovierung war längst nötig gewesen und für Gäste war auch der Ostflügel gut genug.
Er strich mit den Fingern über die neue Wandvertäfelung. Die feinen Muster zauberten ein Lächeln auf seine Lippen. Genauso hatte er es sich gewünscht. Er ging zum Bett, zog die Tagesdecke aus grünem Samt und die darunter liegende Decke zur Seite und ließ sich auf die Matratze sinken. Nicht zu weich und nicht zu fest, sie war perfekt. Heute Nacht würde er gut schlafen. Zum ersten Mal seit Monaten würde er wieder gut schlafen.
Er stand auf, schlenderte zum Fenster und sah in den Garten hinunter. Warum war ihm nicht früher der Gedanke gekommen, diesen Flügel zu beziehen? Die Aussicht war viel schöner als auf den trüben Fluss an der Ostseite. Nun, sein Vater hatte es geliebt, von der Morgensonne geweckt zu werden. Ein Vergnügen, dass er nicht einmal ansatzweise teilte.
„Nun, mein König, was sagt Ihr?“ Der Verwalter knetete nervös seine Kappe, die er vom Kopf genommen hatte.
Sirius wandte sich stirnrunzelnd zu ihm um, er wollte nicht sofort zeigen, dass er sehr zufrieden war. Nicht, dass sie sich darauf ausruhen und nachlässig werden würden. „Es ist ...“ Der Verwalter schwitzte. Er tat Sirius fast leid. „... angemessen.“ Er sah sich noch einmal betont langsam um. Es musste doch wenigstens etwas zu kritisieren geben. „Es fehlt die Obstschale auf dem Tisch im Wohnzimmer und die Blumensträuße sind zu klein.“
Der Verwalter stieß erleichtert die Luft aus. „Verzeiht mein König, das lasse ich sofort beheben.“
Sirius nickte gnädig. „Es ist schon spät. Lasst mir noch etwas warmen Gewürzwein bringen, dann will ich zu Bett gehen.“ Er winkte den Verwalter fort und nickte seinem Leibdiener zu. „Hilf mir beim Ausziehen, Ilai.“

Mit einem Seufzer ließ Sirius den Kopf auf die Kissen sinken. Sein Leibdiener strich die Bettdecke glatt, löschte das Licht und zog leise die Tür hinter sich zu. Sirius schloss die Augen, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Er lauschte auf das Geräusch, bevor ihm bewusst wurde, dass er es hier in seinem neuen Schlafzimmer nicht mehr hören würde.
Er hatte niemandem davon erzählt. Seit Monaten hatte sich in seinem alten Schlafzimmer nachts quietschend die Schranktür geöffnet. Schritte waren näher gekommen und er hatte gequältes Atmen neben seinem Bett vernommen. Schweißgebadet hatte er stundenlang starr im Bett gelegen, die Augen fest zusammengekniffen. Er wusste nicht, wessen Geist da neben ihm gestanden hatte. Er hatte es nicht gewagt, die Augen zu öffnen oder zu fragen. Irgendwann war er immer in unruhigen Schlaf gefallen und viel zu früh von der aufgehenden Sonne geweckt worden. Jedes Mal stand eine Schranktür offen und die Vorhänge waren zurückgezogen. Jedes Mal war er aus dem Bett geklettert, hatte die Vorhänge zugezogen und die Tür geschlossen. Ein wenig Schlaf hatte er meist noch gefunden, doch es war nicht genug gewesen. Dazu kam die Furcht vor der Nacht. Doch das würde sich jetzt ändern.
Er drehte sich auf die Seite. Es klickte, gut geölte Scharniere bewegten sich fast lautlos. Schritte ertönten und kamen auf sein Bett zu. Sirius erstarrte. Der Geist war ihm gefolgt. Sollte der Albtraum ewig weitergehen? Er ertrug das nicht länger.
Langsam öffnete er die Augen. Sein Nachthemd klebte feucht an seinem Körper, sein Mund war völlig ausgetrocknet vor Angst. Aber er musste das jetzt klären, sonst würde es nie enden.
„Ah, du bist doch noch wach.“ In der Stimme seines Vaters klang ein Echo mit, als ob sie in einer leeren Halle standen.
„Vater?“ Sirius war verwirrt. Warum quälte sein Vater ihn? Sie hatten zeitlebens ein gutes Verhältnis gehabt.
„Schönes Zimmer.“ Der Geist nickte anerkennend mit dem Kopf. „Ich habe schon mehrfach versucht, mit dir zu reden, aber du hast immer geschlafen und ich wollte dich nicht wecken.“
„Was möchtest du?“, brachte Sirius krächzend hervor. Seine Zunge klebte ihm fast am Gaumen, doch er wagte es nicht, nach dem Wasserglas zu greifen.
„Ich wollte dir nur sagen, dass die Besitzurkunde für Schloss Teramo in dem Geheimfach auf der linken Seite des Klaviers in meinem Zimmer ist. Ich konnte es dir nicht mehr vor meinem Tod sagen. Ich habe sie nicht in meinem Schreibtisch oder im Tresor aufbewahrt, was auch gut war.“
Sirius erinnerte sich an den Einbruch, bei dem das Arbeitszimmer seines Vaters durchwühlt und der Tresor aufgebrochen war.
„Gräfin Milena wird mir in Kürze Gesellschaft leisten und dann kannst mit Hilfe der Urkunde das Schloss von ihren Verwandten zurückfordern. Ich hatte es ihr nicht geschenkt, sondern nur zur Nutzung überlassen, solange sie lebt.“
Sirius setzte sich auf. Um diesen alten Kasten gab es schon seit langer Zeit Streit. Die Familie Altario behauptete seit Jahren, dass dieses Schloss ihnen gehörte. Doch eine gültige Urkunde konnten sie nie vorweisen und nach dem Einbruch hieß es, dass auch der König es nicht könne. „Warum ...?“
„Hör mir zu, ich habe nicht viel Zeit. Du musst das tiefe C und das hohe A zusammen drücken, dann geht das Fach auf.“ Der Geist seines Vaters sah auf Sirius herab und lächelte ihn an. „Ich habe deine Mutter geliebt, weißt du? Aber nach ihrem viel zu frühen Tod, hat mir Milena Trost gespendet. So, ich muss jetzt gehen. Ach ja, viele Grüße von deiner Mutter, du sollst im Winter schön die warmen Unterhosen anziehen, damit du dich nicht erkältest.“ Damit verblasste er.
Sirius starrte noch einen Moment auf die Stelle, an der sein Vater gestanden hatte. Deswegen hatte er ihn seit Monaten um den Schlaf gebracht? Das Dokument hatte er längst gefunden. Er hatte seinen Vater einmal dabei beobachtet, wie er dort etwas hineingetan hatte und gleich nach dem Tod seines Vaters nachgesehen. Mit der Familie Altario hatte er sich geeinigt und das baufällige Gemäuer für ein hübsches Sümmchen verkauft. Davon hatte er die Renovierung bezahlt.
Mit einem Seufzer ließ er sich wieder auf die Kissen sinken, schloss die Augen und schlief ein.
www.sabine-kalkowski-schriftsteller.de

Autor:

Sabine Kalkowski aus Bergkamen

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