Ein Bild - Eine Geschichte
Sie kommen bei Nacht
Hakon ignorierte das hektische Geklapper und Gepolter hinter ihm. Unbeirrt presste er das Fernrohr ans Auge und starrte in Richtung Land. Der Leuchtturm auf der Mole wies ihnen den Weg, dahinter strahlten die weiß gestrichenen Häuser hell in der Sonne, die bald untergehen würde. Die vertraute Anspannung nahm langsam von ihm Besitz. Sie begann mit einem Kribbeln im Bauch, ließ sein Herz schneller schlagen und seine Atemzüge wurden tiefer und kräftiger. Er spürte das Gewicht seines Schwertes an der linken Seite, die Axt hing rechts an seinem Gürtel. Sein Schild lehnte an der Schiffswand, sein Helm lag daneben. Er war bereit.
„Und?“
Hakon bewegte sich nicht, als Folkvar neben ihn trat und sich schwer auf die Reling stützte.
„Nichts, sie sind ahnungslos.“
Folkvar grunzte und nickte. Er drehte sich um. „Holt das Segel ein. Wir wollen nicht, dass sie uns bemerken.“
Die Sonne sank tiefer und tauchte das Meer und die Häuser an der Küste in oranges und rotes Licht.
Mit leisem Platschen glitten die Ruder in das Wasser. Immer schneller schnitt das schlanke Schiff durch die Wellen. Hakon schwitzte unter seinem Kettenhemd. Schwert, Axt, Schild und Helm lagen griffbereit zu seinen Füßen. Den Blick hatte er starr auf den Leuchtturm gerichtet, der schnell näher kam. Seine Arme schmerzten und er keuchte wie auch sein Kamerad neben ihm. Es war nicht mehr weit.
Der Leuchtturm glitt links an ihnen vorbei. Jeder Ruderschlag brachte sie näher an das Ziel ihrer Begierde. Hakons Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Hafenstadt Ardena war wohlhabend, so hieß es. Es wartete reiche Beute auf sie.
Nach diesem Raubzug konnte er endlich den kleinen Hof am Rand von Viger, seinem Heimatdorf, dem alten Fjell abkaufen und Alva, die Tochter des Schmieds, freien. Ihr rundes Gesicht tauchte in seinen Gedanken auf. Sie hatte keine Tränen vergossen, als sie ihn verabschiedet hatte, doch ihr letzter Kuss hatte ihm alles gesagt. Sie wartete auf ihn. Mögen die Götter ihm gewähren, dass er siegreich zurückkehren würde.
Der Mann am Bug hob die Hand und Hakon und seine Kameraden hielten die Ruder waagerecht und zogen sie ein. Lautlos glitten sie in den Hafen und näherten sich einem der Stege. Fischerboote schwankten in den Wellen, als sie anlegten.
Hakon holte tief Luft und legte sich in Windeseile die Waffen an, setzte den Helm auf und nahm den Rundschild fest in die Hand. Schweigend wartete er, als das Schiff am Steg festgemacht wurde und mehrere Planken angelegt wurden. Es war so weit. Er konnte alles gewinnen oder alles verlieren.
Die ersten Männer liefen die Planken auf den Steg hinunter. Ein Schrei aus vielen Kehlen erhob sich. Hakon trat auf eine Planke und eilte sie hinab. Er zog sein Schwert und schlug es gegen den Schild, holte tief Luft für einen weiteren Schrei und folgte seinen Gefährten.
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Autor:Sabine Kalkowski aus Bergkamen | |
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