Ein Bild - Eine Geschichte

Liebestropfen

Glenn rieb die Biergläser trocken und stellte sie zurück ins Regal. Die Tür zu seiner Kneipe ging auf und Joe kam herein. Joe war nicht sein richtiger Name. Glenn wusste nicht, wie der Mann hieß. Seit gut drei Wochen kam er jeden Abend hierher, setzte sich an den Tisch neben der Jukebox und trank zwei bis drei Bier. Den ganzen Abend hielt er sich daran fest, dann ging er wieder. Glenn nannte ihn insgeheim Joe und als dieser nach ihm winkte, füllte er ein Glas mit Bier und brachte es ihm. Joe nickte ihm zu und behielt dabei die ganze Zeit die Tür im Auge.
Glenn warf einen Blick auf die Uhr. Jane müsste gleich kommen. Natürlich hieß auch sie nicht Jane. Auch sie kam seit gut drei Wochen in Glenns Bar, setzte sich an einen Tisch in der Nähe der Garderobe und trank zwei bis drei Gläser Cola, bevor sie wieder ging. Dabei hatte sie Joe genau im Blick.
Die Tür ging auf und Jane betrat den Raum, sah zur Jukebox, entdeckte Joe, lächelte ihm zu und setzte sich an ihren Tisch. Glenn brachte ihr die Cola, bevor sie ihn rufen musste.
Er verschwand wieder hinter seinem Tresen und bediente die Gäste, die dort saßen. Dabei warf er immer wieder einen Blick auf die Zwei, die sich seit drei Wochen jeden Abend anlächelten und doch wieder allein nach Hause gingen. Keiner von ihnen traute sich, den ersten Schritt zu machen. Es war ein Trauerspiel.
Glenn hörte nur mit halbem Ohr dem alten Carlos zu, der von seiner Heimat erzählte. Er nickte, brummte immer wieder und behielt dabei die Zwei im Auge. Carlos war damit zufrieden, solange sein Glas nicht allzu lange leer blieb.
Zwei Arme hoben sich. Zeit für seinen Auftritt. Er füllte Cola und Bier in die Gläser. Carlos schenkte er noch einen Schnaps ein. Als dieser den Kopf in den Nacken warf, fügte er in die vor ihm stehenden Gläser je drei Tropfen aus einer kleinen Flasche hinzu, die außer Sichtweite der Gäste unter dem Tresen stand. Es wäre doch gelacht, wenn er nicht etwas Bewegung in die Sache bringen könnte. Er brachte Jane und Joe ihre Getränke und gesellte sich wieder zu Carlos, der nun auf den Mann neben ihm am Tresen einredete. Pferderennen. Carlos‘ zweites Lieblingsthema.
Jane und Joe tranken den ersten Schluck.
„Ja, Windsurfer hat mit zwei Längen Vorsprung gewonnen. Ein Teufelskerl, habe ich immer gesagt, oder Glenn?“
„Mh!“
Carlos ließ sich von Glenns Einsilbigkeit nicht beirren.
Glenn hielt die Finger unter dem Tresen gekreuzt. Jeden Augenblick musste etwas geschehen. Die beiden hatten genug getrunken, damit die Tropfen ihre Wirkung entfalten konnten.
„Was starrst du die ganze Zeit an?“
Glenn wandte sich Carlos zu, der ihm anklagend sein leeres Bierglas vor die Nase hielt. Glenn füllte es. „Ich muss auch die anderen Gäste im Auge behalten, du bist nicht der Einzige, der Durst hat.“
Carlos lachte und versenkte die Nase im Bier.
Jane war aufgestanden, zögernd stand sie neben ihrem Tisch. Glenn befürchtete schon, dass sie gehen würde. Die Tropfen waren nicht mehr ganz frisch gewesen. Doch dann nahm sie entschlossen ihr Glas und ging zu Joe hinüber. Joe wurde rot, strahlte über beide Ohren und Jane setzte sich. Es dauerte nicht lange und beide waren in ein Gespräch vertieft, lachten viel dabei und rückten immer näher zusammen.
Glenn grinste breit, wann immer er einen Blick in ihre Richtung warf. Dieses Mal würden sie nicht alleine nach Hause gehen.
Carlos warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, nach wem Glenn immer wieder schaute. „Na, das wurde aber auch Zeit. Das konnte man ja kaum noch mit ansehen.“
Glenn nickte und schenkte sich und Carlos einen Schnaps ein. Sie stießen an. „Ja, mein Bester, es wurde endlich Zeit.“ Sein Blick fiel auf die fast leere Flasche unter seinem Tresen. Es wurde Zeit, dass er neue Liebestropfen herstellte.
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